Am Ende von Jahr 1 des Corona-Regimes sind wir alle um manche unerwartete Erkenntnis und Erfahrung reicher. Dazu gehört nicht nur, daß wir in diesem Jahr des permanenten Ausnahmezustandes damit konfrontiert wurden, daß die klassischen Medien — die großen überregionalen Tageszeitungen und die gebührenfinanzierten Fernseh- und Rundfunkkanäle — sich aus der kritischen Berichterstattung nahezu vollständig verabschiedet haben und sich offenbar nur noch als Verstärker regierungsamtlicher Verlautbarungen begreifen. Sondern dazu gehört auch, daß die Wissenschaft um ihr kritisches Potential gebracht wurde und an die Stelle argumentativ geschärfter Auseinandersetzungen über das, was uns als virale Welt entgegensteht, der ewige Monolog eines Staatsvirologen trat, der nicht mehr rein sachlich über virale Sachen sprach, sondern apokalyptisch über das virenverseuchte Ende der Welt — das nur verhindert werden könne, wenn man bereit sei, ihm und der von ihm beratenen Regierung zu folgen und also den perpetuierten Ausnahmezustand zu akzeptieren; jedenfalls so lange, bis die Welt wieder Sars-CoV-2-frei wäre.
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Schaut man nun, was diese von den Medien und der Wissenschaft betriebene Aushebelung von Kritik für das insgesamt der Medien bedeutet, fallen zwei Entwicklungen auf.
Zum einen, daß das Versagen der klassischen Medien dadurch kompensiert wurde, daß die kritische Öffentlichkeit, die es nach wie vor gibt, in den digitalen Medien einen neuen Ort fand, an dem die kontroversen Debatten stattfinden und der Prozeß der Aufklärung weitergeführt werden konnte. Wer vor, sagen wir, fünf Jahren sich noch halbwegs verläßlich informiert fühlen durfte, wenn er die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Allgemeine Zeitung oder Die Zeit las, muß sich heute neben der Welt und der BILD-Zeitung an Tichys Einblick, die Achse des Guten, Boris Reitschuster, Dushan Wegner, Telepolis, Sciencefiles, Rubikon oder die Nachdenkseiten wenden, wenn er nach einer kritischen Aufbereitung der Fakten und Argumente sucht und nach einer kontroversen Darstellung, die das Denken nicht lahmlegt, sondern beflügelt. Und wer auf diesem Weg des beflügelten Denkens die knappste Präzision sucht, wird bei Norbert Bolz und seiner auf Twitter mitgeteilten »Wahrheit in einem Satz« reichlich Anregungen finden. Kurz und gut: Das nahezu ausnahmslose Versagen der klassischen journalistischen Großmedien konnte durch digitale Alternativmedien mehr als nur kompensiert werden.
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Zum andern fällt auf, daß die Wissenschaftsmedien noch keine solche auf breiter Front stattfindende Kompensationsbewegung zeigen. Das liegt nicht nur daran, daß die wissenschaftlichen Großmedien vom Typ Nature oder Science schon vor Jahren eine digitale Wende hingelegt haben und daher auch im digitalen Umfeld die Platzhirsche geblieben sind, die sie zuvor in der analogen Welt schon waren. Es liegt offenbar vor allem daran, daß die wissenschaftlichen Medien im allgemeinen nicht der Logik der konkurrierenden Vielfalt folgen, sondern der ganz anderen Logik der »herrschenden Lehre«, also der kanonischen Geltung bestimmter Methoden und Theorien, die über die von den Studenten anzueignenden Lehrbücher und die von den Fachwissenschaftlern zur Kenntnis zu nehmenden Fachzeitschriften als allgemeingültig gesetzt werden. Während daher der »Mainstream« der journalistischen Medien schlicht und einfach an einer Abwendung des zahlenden Publikums zugrunde zu gehen droht, sorgen die auf Kanonizität angelegten Mechanismen der Wissenschaft dafür, daß dort der »Mainstream« als »herrschende Lehre« in jeder Studenten- und Forschergeneration neu durchgesetzt wird. Wer in dieser Situation ein kritisches wissenschaftliches Konkurrenzblatt gründet, fördert mit dieser Gründung nicht die wissenschaftliche Vielfalt, sondern schreibt sich aus dem Forschungskonsens und damit auch aus den staatlichen Förderprogrammen der Wissenschaft glatt heraus.
Das erklärt, warum kritische Wissenschaft vom Medienwandel nicht profitiert: Der Wandel zu digitalen Fachzeitschriften übersetzt die etablierte »herrschende Lehre« einfach ins Digitale, und die mit staatlichen Subventionsmillionen aufgebauten »Open-Access«-Zeitschriften, die per definitionem allesamt digital und im Internet daherkommen, sind alleine schon aufgrund der Tatsache, daß sie ohne staatliche Fördermittel nicht möglich wären, keine kritischen Fachzeitschriften; sie bauen lediglich die von den staatlichen Subventionsgebern gewünschten Wissenschaftsrichtungen ins Digitale hinein aus.
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Neu ist das alles nicht. Der Wissenschaftshistoriker Thomas S. Kuhn hat schon vor Jahrzehnten darauf aufmerksam gemacht, daß die Basis wissenschaftlicher Revolutionen nicht die überraschende und vollkommen einleuchtende neue Theorie ist, sondern die sich aufschaukelnde Krise der kanonischen Wissenschaft, verursacht durch die Entdeckung von nicht mehr zu ignorierenden Fakten, die mit der geltenden Theorie nicht erklärt werden können. Die Pointe ist dabei freilich die, daß die mit der herrschenden Lehre inkommensurablen Fakten erst dann zu einer Krise und in der Folge auch neuen Theorie führen, wenn die Wissenschaftler bereit sind, ihr gewohntes Weltbild infrage zu stellen und, wie Kuhn es nannte, einen »Paradigmenwechsel« zu vollziehen.
Daß ein solcher »Paradigmenwechsel« durch die herrschende Drittmittelfinanzierung der Universitäten erschwert wird, liegt auf der Hand. Denn die über die Verteilung der Subventionsmittel entscheidenden Personen und Gremien, die im Rahmen der jeweils »herrschenden Lehre« ihre Karriere gemacht haben, werden den Ast, auf dem sie großgeworden sind und Platz genommen haben, nicht einmal mit der Nagelfeile ankratzen. Statt dessen werden sie, wie wir es nun schon seit Jahren erleben, begeistert dabei mittun, das wissenschaftliche Publikationswesen dank reichlich fließender Subventionsgelder zu digitalisieren, und sie werden sich und anderen dabei einreden, daß diese Digitalisierung ein revolutionärer Wandel der Wissenschaft sei, gerade auch dadurch, daß die digitale Wissenschaft nun sozusagen eine »Wissenschaft für Jedermann« sei, frei und entgeltfrei abrufbar übers Internet.
Diese wissenschafts- und gesellschaftspolitische These darf seit diesem Jahr als widerlegt gelten. Denn keines der digitalen und erst recht keines der »Open-Access«- Wissenschaftsorgane hat die Debatte um die Gefährlichkeit von Sars-CoV-2 auf das kritische Niveau gehoben, das notwendig gewesen wäre, um über Pro und Contra staatlicher Maßnahmen wohlinformiert entscheiden zu können. Statt dessen trat wieder das gute alte gedruckte Buch als Kassiber auf, mit dessen Hilfe die interessierte Öffentlichkeit Kritisches zum Virus in Erfahrung bringen konnte. Und diejenigen Wissenschaftler, die aus dem von den »Staatswissenschaftlern« administrierten Konsens ausbrachen, konnten für diesen Ausbruch nicht mehr das Umfeld der wissenschaftlichen Fachorgane nutzen, sondern mußten versuchen, nach dem Vorbild der journalistischen Alternativmedien auf digitale Alternativstrukturen auszuweichen. Wer dabei die bekannten asozialen Medien vom Typ »Facebook« oder »YouTube« nutzte, sah sich schnell zensiert, will sagen: seine Beiträge wurden blockiert und gelöscht. Wer sich davon unabhängig machen wollte, mußte seine kritischen Beiträge entweder in den oben erwähnten digitalen Alternativmedien unterbringen oder eine eigene digitale Infrastruktur aufbauen, und selbst dann noch mußte er darauf hoffen, daß die Suchalgorithmen der großen Suchmaschinen die kritischen Beiträge auf diesen unabhängigen Infrastrukturen überhaupt anzeigten, jedenfalls an einer für die Suchenden noch einsehbaren Stelle auf der Trefferliste.
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Wie es aussieht, wird sich der Prozeß der Sonderung der kritischen von den Staatsmedien — der journalistischen wie der wissenschaftlichen — in den vor uns liegenden Monaten des Jahres 2 des Corona-Regimes beschleunigen. Die einst blühenden und Qualität liefernden überregionalen Zeitungen werden weiterhin rasant an Auflage verlieren und noch tiefer in den Strudel staatlicher Subventionspolitik geraten. Und an ihrer Stelle werden die übers Internet greifbaren alternativ-kritischen Zeitungen und Zeitschriften an Auflage, Aufrufzahlen und Reichweite gewinnen. Dasselbe wird, in freilich bescheidenerem Umfang, in den Wissenschaften geschehen. Man kann das daran erkennen, daß die von Tausenden von Wissenschaftlern und Ärzten unterstützte »Great Barrington Declaration«, die eine vollständige Neuausrichtung im medizinischen und politischen Umgang mit dem Corona-Virus fordert, dies auf einer eigenen digitalen Plattform mit eigenem Server tat und tut. Und man kann es daran erkennen, daß die große wissenschaftliche Kritik an dem von Christian Drosten konzipierten PCR-Test, mit dem die Massen auf das Corona-Virus getestet werden, samt der Forderung nach einer Zurückziehung der Publikation, in der Drosten et al. das Testkonzept beschrieben haben, ebenfalls auf eine eigene digitale Infrastruktur auswich und nicht über die gewohnten Fachzeitschriften lief.
Ob aus diesen bescheidenen Anfangen ein »Paradigmenwechsel« wird, muß sich zeigen. Die staatlich subventionierte Wissenschaft und die das Subventionssystem lenkenden Gremien, vor allem die Deutsche Forschungsgemeinschaft, werden diesen »Paradigmenwechsel« mit aller Macht zu verhindern suchen. Was sie nicht bedenken, ist freilich der Umstand, daß Wissenschaft sich zuletzt nicht selbst legitimiert und auch die Politik nicht die Instanz ist, um eine »herrschende Lehre« auf Dauer stellen zu können. Die Letztinstanz für die Geltung wissenschaftlicher Theorien ist immer eine doppelte: die Wirklichkeit, die dafür sorgt, daß bestimmte Theorien im Alltag auch funktionieren (oder nicht), und die Gesellschaft, die sich bestimmten Theorien zu- oder sich von ihnen abwendet und also darüber entscheidet, ob es überhaupt zu einer Alltagsbewährung bestimmter Theorien kommt. Das eine ist nicht ohne das andere, und beides ist himmelweit von der Parole »Follow the science!« entfernt, die eine wissenschaftliche Parole zu sein vorgibt, in Wahrheit aber eine rein dogmatische Setzung wissenschaftsfremder Apokalyptiker ist.
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