Mit dem zeitgenössischen Buch ist es so eine Sache. Wer die Entwicklung der letzten Jahre verfolgt hat, der weiß, daß einige Verlage das Problem der Lagerkosten auf kreative Weise zu lösen versuchen, indem sie entweder gar kein Lager mehr vorhalten und den Bedarf durch einen schnell hergestellten digitalen Nachdruck zu decken versuchen oder nur noch ein kleines Lager vorhalten, das man immer wieder mit einer kleinen und digital hergestellten Nachauflage aufstocken kann. Man merkt den Unterschied als Kunde zumeist daran, daß im ersten Fall eine Wartezeit von zwei oder mehr Wochen angesagt ist, wenn man ein im Katalog als lieferbar angezeigtes Buch bestellt, denn das lieferbare Buch ist faktisch noch gar nicht vorhanden und muß erst in Eile nachgedruckt werden; und das dauert trotz aller Digitalität dann doch. Im zweiten Fall aber ist das Buch, weil ja stets ein kleiner Lagerbestand vorhanden ist, sofort lieferbar.
In beiden Fällen aber erhält man ein Buch, das drucktechnisch zu wünschen läßt. Das liegt schlicht daran, daß der digitale Nachdruck in den allermeisten Fällen auf der Basis einer früheren Auflage hergestellt wurde, die man der Einfachheit halber eingescannt hat: das spart die Neuerstellung des Satzes, aus der dann eine hochauflösende digitale Druckvorlage hergestellt werden könnte; statt dessen scannt man den vorhandenen Satz und nimmt dabei in Kauf, daß die daraus gewonnene Druckvorlage an Schärfe verliert. Das Ergebnis ist dann, daß die einzelnen Buchstaben an Randschärfe verlieren und ebendeshalb der Satz leicht verwaschen wirkt und ebendeshalb auch schlechter lesbar ist: das Auge wird durch einen ausgefranst wirkenden Text offenbar permanent irritiert, und diese Irritation versucht es, durch eine verstärkte Anstrengung bei der optischen Ergänzung der Wort- und Zeilenbilder zu kompensieren. Kurz und nicht gut: Wer einen solchen Text vor die Augen bekommt, tut sich deutlich schwerer mit dem Lesen, denn er ermüdet schneller.
[Ausgefranste Buchstaben.]
Und sage man nicht, daß man aus der Frühzeit des Druckes doch durchaus problematische Bücher hat, bei denen die Zeilen nicht immer gehalten wurden oder einzelne Buchstaben ausgebrochen waren. Diese Bücher waren, selbst wenn das der Fall war, doch immer scharf gedruckt, randscharf. Dagegen haben wir dank der digitalreprographischen Technik, die heutzutage zum Einsatz kommt, einen unscharfen Druck, als sei der Buchstabe nur noch mühsam daran zu hindern gewesen, in sein papierenes Umfeld auszufließen. Im Grunde also ein digitales Klecksen.
Das hochgradig Ärgerliche daran ist, daß nur einige wenige Verlage darauf hinweisen, daß das im Katalog als lieferbar angezeigte Buch in Wahrheit nicht lieferbar ist, sondern bei Bestellung allererst hergestellt oder aus dem Lager als digitale Reprographie geliefert wird. Weist der Verlag nicht auf diesen Sachverhalt hin und läßt er den Kunden in dem guten Glauben, er erwerbe ein druckfrisches Exemplar, hängt die Sache davon ab, ob der Kunde diesen verlegerischen Trick bemerkt. Bemerkt er ihn, weil er den drucktechnischen Qualitätsunterschied bemerkt, wird es ihm mit einiger Wahrscheinlichkeit so gehen wie mir: Ich für meinen Teil fühle mich, wenn ich den Trick bemerke, durch den Verlag an der Nase herumgeführt. Und dann ärgere ich mich. Sehr.
[Randscharfe Buchstaben.]
Ich habe daher in der Vergangenheit in den Fällen, in denen das Problem besonders eklatant und also besonders ärgerlich war — offenbar gibt es herstellungsbedingt durchaus Qualitätsunterschiede beim verlegerisch-digitalen Murksen —, das Buch an den Verlag zurückgehen lassen. Interessanterweise ist auch jede dieser Remissionen von Verlagsseite akzeptiert worden. Ich vermute, man will dieses Faß nicht aufmachen, um bei womöglich einsetzender öffentlicher Diskussion keinen Imageschaden zu erleiden. Das ist blauäugig, denn bei jedem Leser, dem es widerfährt, daß er einen digitalen Schlechtdruck vom Verlag geliefert bekommt, hat der Verlag in diesem Moment bereits sein Image beschädigt. Diesen Schaden vermeidet man nicht, indem man die Tatsache der digitalen Reprographie in den Katalogen verschweigt und für das digitale Murksbuch denselben Preis verlangt wie für ein Neubuch, in der Hoffnung, der Kunde würde nicht bemerken, was man ihm unterjubelt. Diesen Schaden vermeidet man nur, wenn man dem Kunden nicht nur offen sagt, was man ihm bietet, ein Neubuch oder eine digitale Reprographie, sondern wenn man den feststellbaren Qualitätsunterschied dann auch im Preis zum Ausdruck bringt.
Und bitte schön, liebe Verleger: Natürlich ist es legitim, die Herstellungs- und Lagerkosten zu senken, wenn neue technische Möglichkeiten die Chance dazu bieten; wenn bei dieser Maßnahme aber ein erkennbar schlechteres Produkt zu demselben Preis wie vor wenigen Jahren die drucktechnisch perfekte Originalausgabe das Haus verläßt, dann kippt die Kostensenkung direkt in Kundenfrust um. Wir haben dann bei dem Kulturgut Buch dieselbe Situation wie bei all diesen Nahrungsmitteln, die eine Zeitlang mit guten Zutaten hergestellt werden, bis irgendein Controller entdeckt, daß man dasselbe Produkt auch mit weniger guten Zutaten unters Volk bringen kann, das, blöd wie es ist, nichts bemerkt und weiterfrißt. Irrtum: Irgendwer merkt die Sache immer, und wenn sie bemerkt wird, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich der Qualitätsverlust herumspricht; wenn er sich aber herumspricht, wird aus dem Kassenschlager schneller als gedacht ein Ladenhüter, denn niemand kauft auf Dauer, was das Geld nicht wert ist. Und ob etwas das Geld wert ist oder nicht, darüber entscheidet zuletzt nicht der schlaue Controller, dem es gelingt, ein Weile ein X für ein U zu verkaufen, sondern der aufmerksame Kunde, der irgendwann bemerkt, daß das U nur ein X ist.
[Ausgefranste Buchstaben.]
Mein Rat daher an den Leser: Prüfen Sie nach Erhalt des Buches den Druck sorgfältig nach; geben Sie unzulängliche und nicht ausgewiesene Nachdrucke an den Verlag zurück und verlangen Sie eine Erstattung des Kaufpreises. Und dann setzen Sie sich an Ihren Computer und bestellen die womöglich noch greifbare Erstauflage des Buches über ein Antiquariat Ihrer Wahl! Das sollte in den allermeisten Fällen sogar günstiger sein als das vermeintlich druckfrische Verlagsexemplar, das man Ihnen andienen wollte.