Soziale Virologie I

Wie die Infektiologie in die Alltagssprache kam

Geschrieben von Jürgen Schmid am 16.3.2023

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Zu Beginn des ersten Post-Corona-Jahres, wo erkennbar wird, wie klammheimlich sich die Täter und Mitläufer aus ihrer Verantwortung für die angerichteten Schäden davonstehlen wollen, wo immer mehr dieser Schäden dramatisch offensichtlich werden, nicht zuletzt durch die Veröffentlichung von Hinter­grund­informa­tionen aus dem normalerweise vor der Öffentlichkeit abgeschotteten Paralleluniversum der polit-medialen Schadensverursacher in den Twitter-Files, den Lockdown-Files und jüngst den Pfizer-Files, wo eine Auf­arbeitung der Schädigung von Gesundheit und Gesell­schaft im Namen der Gesundheit langsam, aber schleppend in Gang kommt, massiv behindert durch eben jenen polit-medialen Eliten-Komplex, der die Schäden ange­richtet hat — in einer solchen Phase des Bilanzierens ist es angemessen, sich der Frage zu stellen, wie eine Gesellschaft beschaffen sein mußte, um als formatiertes Angstkollektiv im Wahnsinn einer Massenpsychose zu versinken. Die vierteilige Serie »Soziale Virologie« beginnt ihren Antwortversuch mit dem Hinweis auf eine wirkmäch­tige Sphärenverschiebung in unserer Sprache, die der coronaren Hygiene-Hysterie Vorschub geleistet hat.


Unserer Gegenwart hat eine starke Neigung entwickelt, Menschen und Verhaltens­weisen mit medizinischer Begrifflichkeit als »toxisch« oder »infektiös« zu diskreditieren, um sie sprachsymbolisch aus der »demo­kra­tischen« Gemeinschaft auszuschließen. Im Folgenden soll an signi­fikan­ten Beispielen versucht werden, die Akzeptanz von Distanzierungsgeboten im Namen einer »sozialen Hygiene« zu verstehen und ihre Verwüstungsspur sichtbar zu machen.

Bei welchem Thema auch immer — ein simples Reiz-Reaktionsschema entscheidet darüber, ob eine Meinung einer Zensur unterzogen werden muß oder frei geäußert werden darf. Reinheit und Unreinheit des Fühlens, Denkens und Sprechens werden in einer algorithmischen Sortierung präzise geschieden. Es existieren dabei lediglich zwei Pole: gut und böse, ein Fegefeuer ist nicht vorgesehen. Explizit formuliert oder unausgesprochen mitschwingend — stets droht eine Infektion mit keimbehafteten Gedanken, vor der nur strengste Hygienemaßnahmen schützen können.

Wie die Infektiologie unsere Alltagssprache verändert, ist ein viel zu wenig beachteter Vorgang. Natürlich drängen sich anno 2023 assoziativ sofort die Neusprech-Exzesse sub specie Coronensis mit ihren »Hygiene-Regeln« auf, aber eine Formulierung wie »Das Video von Influencer XYZ ging viral« hat mit der Corona-Pandemie und ihren nicht zuletzt verbalen Irrwegen wenig, mit allgemeiner Sprachunsensibilität sehr viel zu tun. Auffällig bereits die Ver­drehung der Erwünschbarkeit, wenn etwas, vor dem man sich fürchtet und das man im Zero-Covid-Wahn um jeden Preis verhindern will, die Ausbreitung von Viren, bei viral gehenden Social-Media-Inhalten völlig unreflek­tiert auf die medial induzierte Infizierung des Homo Digitalis mit cyber-generiertem Gedankengut übertragen wird — oft genug in bewundernd-anerkennender Wertung.

Drawing[Einflußsphären einer viralen Verbreitung. Quelle: DarwinPeacock, Maklaan, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons.]

Impfung und Bekeimung im viralen Marketing

Virales Marketing steht bei jedem, der etwas anzubieten hat, für das er anderen Geld aus der Tasche ziehen möchte, hoch im Kurs. Wer im Zeitalter des Homo Digitalis seine Produkte möglichst vielen potentiellen Kunden gleichzeitig anpreisen, wer seine Botschaften »in kürzester Zeit« »wie einen Virus verbreiten« will, greift zu einer Errungenschaft des Werbemarkts, dessen Kampagnen den »Mensch als freiwilligen [sic!] Träger für die Verbreitung eines Meme z. B. über Social Media, Mundpropaganda oder Mail nutzt«. Die analoge Mund-zu-Mund-Übertragung viraler Boschaften aus dem Internet hat es der Marketingbranche angetan, wofür beispielhaft die Hannoveraner »Agentur für ganzheitliche Online-Marketing-Strategien« namens Aufgesang steht: »Mundpropaganda (Word of Mouth)«, so heißt es auf deren Homepage, soll »positive Emotionen«, ausgelöst etwa von einem Werbespot, von Konsument zu Konsument tragen, indem Empfehlungen »persönlich« an Freunde aus­ge­sprochen werden. Sogenanntes »Seeding«, so Aufgesang, helfe »bei der virenartigen Verbreitung von Inhalten über Influencer«, eine optimale Reichweite zu erzielen.

Unter viralem »Seeding« — wörtlich »Aussaat«, auch: »Impfung« oder »Bekeimung« — versteht das Werbegewerbe laut Wikipedia, »dass Infor­mationen über ein Produkt oder eine Dienstleistung innerhalb kürzester Zeit, ähnlich einem biologischen Virus, von Mensch zu Mensch weitergetragen werden«. Diese Viralität des Marketings ist ein beklemmendes Beispiel für neoliberalen Sprachgebrauch in der Vermarktlichung nahezu jedes Lebens­bereichs und der gewinnmaximierenden Vernutzung der Welt, in der der Mensch auf seine Funktion als Konsument reduziert und damit weitgehend entmenschlicht wird.

Soziale Hygiene in menschengemachten Immunsystemen

Wir haben unseren Rundgang durch das Panoptikum der sozialen Virologie mit er­wünschten, positiv bewerteten, willentlich herbeigeführten Infektionen des beseelten Tieres Mensch begonnen. Wir müssen uns aber auch dem Abwehr­zauber zuwenden, den unsere Sprache aus dem Reich der virologischen Petri­schale entliehen hat, um Mißliebiges zu bannen, zu ächten, zu krimina­li­sieren, zu entmenschlichen, letztlich auszuschließen aus der Gemeinschaft der »Demokraten«.

Umgekehrt zur positiven Aufladung von Vernetzung wurde schon lange vor der staatsstreichartigen Implementierung des Corona-Regimes ein Hygiene-Gebot etabliert, das einen angemessenen Abstand zu Personen, Gruppen oder Meinungen forderte, die als geistig »infektiös« markiert wurden. So hat etwa der Publizist Henryk M. Broder die Rückgabe seines Börne-Preises mit Blick auf den in seinen Augen unwürdigen neuen Preisträger Peter Sloterdijk, einem angeblichen »Terrorversteher«, mit der Notwendigkeit »sozialer Hygiene« begründet. Mit jemandem, der 9/11 verharm­lose, so Broder, wolle er auf keiner gemeinsamen Auszeichnungsbühne erscheinen.

2022 distanzierte sich Broder von der Schweizer Zeitung Weltwoche, für die er lange als Autor tätig war, wegen »Roger Köppels [des Herausgebers] Russo­philie«, wie die Neue Zürcher Zeitung meldet, justament in derselben Woche, als Broders eigener Blog Achgut zum Ziel einer Distanzierungsattacke wurde — Immunitätsforderungen können durchaus die Form eines Bumerangs annehmen. Auf einem weiteren Blatt stünde die Erzählung, wie sich Sloterdijk seinerseits von seinem langjährigen Assis­tenten Marc Jongen distanzierte, weil dieser als Politiker für die AfD aktiv wurde. (Aber die Geschichte immer verworrenerer Distanzierungskapriolen zu schreiben, wo Hygieniker jederzeit selbst zu Aussätzigen werden können, ist hier nicht der Ort.)

Soziale Distanzierung[Soziale Distanzierung. Quelle: Bild von Majaranda auf Pixabay.]

Der Philosoph Peter Sloterdijk wiederum, einem breiten Publikum bekannt geworden durch seine Moderation des »Philosophischen Quartetts«, muß sich nicht wundern, in den Strudel biologischer Metaphorik gezogen zu werden, bemüht er doch selbst mit grimmigem Behagen das Bild von den Immun­systemen zur Beschreibung der prekären Bedingungen menschlichen In-der-Welt-Seins. In seinem Sphären-Projekt erklärt er »eine durch Aufklärung erworbene metaphysische Immun­schwäche« zur »Urtatsache der Neuzeit«, seit dem Erdenbewohner in der kopernikanischen Wende bewußt wurde, daß keine Himmelskugel sein irdisches Dasein überwölbt und schützt — und er dem Schweigen der unendlichen Räume des Weltalls ausgeliefert ist. In Sloterdijks Worten: »Die Kugel ist tot, der Haltekreis ist gesprengt, der Immunzauber der klassischen Ontotheologie ist wirkungslos geworden« (Globen, 1999, S. 588).

Wohin führt ein Denken, das menschliche Existenz immunologisch verbildlicht in Sprache zu fassen versucht? Irgendeinen Grund für das epochale Versagen vieler Intellektueller von Sloterdijk’schem Format im Angesicht einer Virus-»Pandemie«, deren menschheitsgefährdende Dimension mehr polit-medial erzeugt als faktisch medizinisch nachweisbar war, muß es ja geben. Wenn der Philosoph auf den Corona-Betrug hereinfällt — oder in vielen Interviews zumindest öffentlich vorgibt, darauf hereinzufallen —, wurde er vielleicht halluzinatorisches Opfer seiner selbst geschaffenen »Meta­phern­delirien« (Ludger Lütkehaus)? Hinsichtlich einer Ethik des (akademischen) Disputs bemüht Sloterdijk im Gesprächsband Die Sonne und der Tod (2009, S. 267) in nahezu frivoler Formulierungslust eine »Keimfreiheit, die für wissen­schaftli­ches Operie­ren vonnöten« sei, um »Infektionen« vom Forschungsbetrieb fernzuhalten; »Diskursregeln« sind ihm »Des­infektions­mittel«, um Universitäten vor »infektiösem Betriebsklima« zu bewahren. Kamen solch metaphorisch-magischem Abwehrzauber die plötzlich real existierenden Desinfektionsspender aller Orten, das hysterische Hygiene-Geschrei aus allen Mündern, im Gesamten das »aseptische Gesund­heits­ver­ständnis« (Heribert Prantl) der Corona-Jahre mit ihrer wahnwitzigen Forderung nach klinischer Keimfreiheit unter der Zero-Covid-Flagge plötzlich theorie-bestätigend entgegen? Es wäre nicht der einzige Fall, in dem sich ein semantischer Zeichen-Errichter im verbal produzierten Wald seiner eigenen Phantasie verirrt. (Wir werden auf die Causa Sloterdijk im vierten Teil zurückkommen.)

Der (Alp)Traum von einer Keimfreiheit des Denkens

Im »Literarischen Quartett«, 1995 gesendet aus jenem Hotel »Drei Mohren« in Augsburg, dessen altehrwürdiger Name inzwischen der Keimfreiheit zum Opfer gefallen ist, be­kennt Hellmuth Karasek (ab Minute 48:30): »Meine Generation [Karasek ist Jahrgang 1934] hat [Knut] Hamsun mit einem beunruhigten Gefühl gelesen. […] Wir haben uns damals [in der Nachkriegszeit] mit der Frage beschäftigt: Kann faschistische Literatur gut sein? […] Ich habe jetzt Mysterien wieder gelesen — und mit großer Begeisterung gelesen. Aber ich habe auf Indizien geachtet. Ich hab’ gedacht: Was zeigt sich? Wo ist der Keim? Und der Keim ist natürlich da — der liegt in dieser antizivilisatorischen Revolte […].«

Der Historiker Peter de Mendelssohn notierte 1953, »daß Hamsun sich sein ganzes erwachsenes Leben lang Schritt für Schritt stetig auf Hitler zubewegte, und daß er unweigerlich bei ihm landen mußte«. Hamsun ist Jahrgang 1859, Hitler 1889, die beiden trennen 30 Jahre. Als Hamsun Mysterien schrieb (der Roman erschien auf Norwegisch 1892, in deutscher Erstübersetzung 1894), war Hitler noch nicht einmal im Kindergartenalter, im Jahr 1917, als Hamsuns Segen der Erde erschien, lag er als Gefreiter im Schützengraben. Mendelssohns Argumentation wirkt ahistorisch und in ihrer verqueren Ideologiekritik ideologisch verbohrt. Wie hätte sich Hamsun auf jemandes Ideologie zubewegen können zu einer Zeit, als der Zielpunkt von seiner späteren Weltanschauung selbst noch nichts wußte? Analog zu dieser Unzeitigkeit bedeutet Karaseks Entdeckung von »faschistischer Literatur«, lange bevor der Begriff Faschismus überhaupt geboren wurde, eine detektivische Meisterleistung — allenfalls hätte er Mysterien als präfaschistischen Roman bezeichnen können.

Ein solches denunziatorisches, Stellen suchendes Lesen, wie es Karasek offenherzig propagiert, das eher der Durchkämmung eines als feindlich deklarierten Landstrichs gleicht als dem Verstehenwollen eines literarischen Werkes im Kontext seiner Entstehungszeit, hat die gedankliche Keimfreiheit als Ziel ausgerufen. Nur unter übelwollenden Prämissen skizzierter Art, die sich allzu tief eingebrannt haben ins kollektive deutsche Bewußtsein, kann eine Situation gedacht werden, in der die Stadt München auf die Idee kommen konnte, Theodor Heuss auf die Liste der Verdachtsfälle derer zu setzen, die als Namensgeber für Straßen zukünftig nicht mehr tragbar seien. Der erste Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland habe (unverzeihlich!) in den 1920er Jahren geäußert, das Ostjudentum sei nur schwer integrierbar. Eine »verdächtige« Stelle — Amos Oz’ Autobiographie Eine Geschichte von Licht und Finsternis enthält deutlich Geringschätzigeres zum Ostjudentum aus dem innerjüdischen Diskurs — im vieltausendseitigen Werk eines Journalisten und Publizisten, aufgespürt von Historikern des Münchner Stadtarchivs, die sich für diese Wühlarbeit hergegeben haben — und schon steht eine untadelige Persönlichkeit auf der Anklagebank vor dem Tribunal der SPD-Stadtratsfraktion, einem jener überzähligen »Gerichtshöfe der Moral«, die nach Hermann Lübbe »keine Prozessordnung kennen«. Das ist eine der Fleurs du Mal aus der »Praxis des hypermoralisch motivierten Amoralismus« (Peter Sloterdijk, Zorn und Zeit, 2006, S. 232), die aus einer inquisitorischen Indizien-Lektüre in Hellmuth Karaseks Manier aufgeblüht sind.

Rechts[Rechts. Bild von Andrew Martin auf Pixabay.]

Wehe, wenn Menschen als Gift bezeichnet werden

Im Münchner Stadtbild kann man Stickern begegnen, auf denen die Abkürzung TUM für »Technische Universität München« vorwurfsvoll gedeutet wird als »Toxic Unreflected Masculinity«. Die Frage nach dem Ursprung des Verdikts »toxische Männlichkeit« kann und soll hier nicht abschließend geklärt werden — die anklagende Verknüpfung zweier Eigenschaften entstammt jedenfalls dem radikalfeministischen Kampf gegen das, was in diesen Kreisen »Patriarchat« genannt wird.

Zeit-Redakteurin Anna Mayr, Bachelorette in Literaturwissenschaften, nach eigenem Bekunden »Journalistin, weil ich nichts anderes kann«, weiß, »dass der durchschnitt­liche Patriarchenkörper einmal täglich morgens abgespült werden muß, um erträg­lich zu riechen«. Frolleinmayr — auch eine Selbsbezeichnung — hat herausgefunden (exklusiv), »dass unsere Welt von alten, dicken Männern regiert wird — und von deren Hygienestandards« — weshalb es Frauenpflicht sei, sich nicht jeden Tag zu duschen.

In der bayerischen Landes­haupt­stadt forderte im Mai 2019 der Demon­stra­tions­zug einer Gruppierung, die sich »Die Vielen« nannte, in unnachahmlich toleranter Sprache unter #KEINETOLERANZDERINTOLERANZ schwarz auf Pink, das »Patriarchat ab[zu]fucken« — ergänzt durch weitere Fuckereien ohne manch obszönen Vokal unter FCKCSU FCKAFD FCKSEEHOFER FCKNZS ACSUAB.

Ein brutal schöner Beleg für das Verb »abfucken« findet sich in einem Elaborat der Philosophin und Kulturanthropologin Luise Meier für die Wochenzeitung Der Freitag: »Alles abfucken statt Karriere! Echte Frauen­befreiung funktioniert nur als Revolution«. Frau Meier will »den Mann ausknocken«, es böte sich an, »etwas in den Drink zu mixen«; sie feiert das SCUM Manifesto von Valerie Solanas »als Fundgrube für radikalfemi­nistische Strategien«: »SCUM heißt übersetzt Abschaum, wurde aber vom Verleger mit dem Untertitel ›Society for Cutting Up Men‹ versehen: Gesellschaft zur Zerstückelung von Männern. […] ›SCUM wird Teil der unwork force (Nichtarbeits­kraft), der Fuck-up Force sein‹, schreibt Solanas. ›SCUM-Büro- und Fabrik­arbeiter­innen werden, außer daß sie ihre Arbeit abfucken, heimlich die Betriebseinrichtung zer­stören.‹« Das Fazit daraus: »Statt der Forderung nach Vereinbarkeit von Familie und Karriere heißt es hier [in der Solanas-Meier-Welt]: Warum nicht beides abfucken?«

Meiers Vorbild Valerie Solanas wurde — so sagt es uns Wikipedia — »durch ihren Mordversuch an Andy Warhol bekannt«, der Abgefuckte überlebte am 3. Juni 1968 mehrere Schüsse der »radikal-feministischen Schriftstellerin« in Milz, Bauch, Leber und Speiseröhre. Gut zu wissen, wie sich die Berliner Philosophin Luise Meier »Den Mann ausknocken« im Idealfall vorstellt. Frau Staatsanwalt, bitte übernehmen Sie!

Man sollte sich hin und wieder darüber vergewissern, wer den öffentlichen Diskurs (nicht nur verbal) vergiftet. Manchmal würden die Giftmischer in ihren Metaphern­fehlgriffen fast unfreiwillig komisch wirken, wäre eine Vorstellung wie das »Auffahren von Militärfahrzeugen mit phallischen Kanonenrohren an der als weiblich konnotierten Ukraine«, wie sie die TAZ in einer »These zur toxischen Männlichkeit« auffährt, im real existierenden Kriegsgeschehen samt deutscher Panzerbeteiligung nicht monströs zynisch.

Panzer mit Rohr[Netzfund.]

Das Magazin Focus bietet in der Rubrik »Praxistipps« Aufklärung über das Modewort »toxisch«, mit dem »nicht mehr nur ein biologisch-medizinischer Vorgang« (sprich: Vergiftung des Körpers) beschrieben werde, »sondern auch Menschen und Situationen« (eine »toxische Arbeitskultur« etwa), die als »giftig« oder »schädlich« angesehen werden.

In der Finanzkrise hat die Welt zudem lernen müssen, daß es »toxische Aktien« und »toxische Kredite« gibt, für deren Entsorgung die Bankenbranche Sondermülldeponien errichtete, die auf den sprechenden Namen »bad bank« getauft wurden.

»Toxische Menschen« hingegen, so der Focus, »gelten oft als manipulativ, beherr­schend und eifersüchtig. Mit diesem Verhalten schaden sie ihren Mitmenschen.« Dieser Annahme entsproß eine überbordende Ratgeberliteratur, die zum Abbruch von »toxischen Beziehungen« motivieren will — Tiki Küstenmachers Bestseller Simplify Your Life tendiert in diese Richtung, die auch vor dem Aussortieren von Menschen nicht zurückschreckt.

Schließlich belehrt der Focus in seinem Praxisteil, daß auch die eigenen Eltern toxisch sein können. Letztere Erkenntnis inspirierte sehr wache Bekennt­nis­journa­listen zu Texten wie »Hilfe, mein Vater wählt die AfD«. Und der Ungeimpfte wird in dieser Sichtweise schnell zum »Blinddarm« — wollte heißen: Wenn der Sozialkörper bereits von Krank­heit befallen ist, müssen chirurgische Eingriffe erwogen werden. Aber niemand hatte die Absicht, die Gesellschaft zu spalten.

Dogmatismus gegen Kritik immunisieren

»Wie immunisiert man gegen Infodemie?«, fragt Medienarzt Eckart von Hirschhausen inmitten der Corona-Pandemie. Ohne Zögern stellt er fest: »Wir haben nicht nur eine Epidemie, sondern auch eine Infodemie, einen gefährlichen Verlust an Deutungs­hoheit von Politik, Wissenschaft und Medien.« Neben der Selbstentlarvung, daß Deutungshoheit wie selbstverständlich für die eigene Peer Group beansprucht wird — und zwar als Monopol —, verrät der omnipräsente TV-Welterklärer seine Vorstellung von Hygienestandards im gesellschaftlichen Zusammenleben: »Wir haben alle gelernt, uns die Hände zu waschen, um keine Keime weiterzugeben. Wann lernen wir, auch auf den Handys Hygienestandards einzuhalten und keine toxischen Falschinformationen weiterzugeben?« Zur Erinnerung: Richtig war in der Pandemie, was der Regierungsvirologe Christian Drosten dekretiert hat, falsch war alles, was es wagte, diese ex cathedra, gerne via NDR-Podcast verkündeten unfehlbaren Glau­benswahrheiten auch nur hauchzart in Frage zu stellen. Dabei hätte jedem mündigen Bürger gut angestanden, Georg Christoph Lichtenberg beim Wort zu nehmen: »Dinge zu bezweifeln, die ganz ohne weitere Untersuchung geglaubt werden, das ist die Hauptsache überall.«

Während Sloterdijk im Sphären-Projekt eine anthropologische Sorge um behütende Schutzräume für die Gesamtspezies Mensch umtreibt, formuliert Hirschhausen eine dezidiert ausgrenzende Klientelpolitik, um vorgeblich »gute« Zeitgenossen von ver­meintlich moralisch Minderwertigen zu scheiden. Hirschhausens Immunisierungs­bestrebungen zielen natürlich nicht zuletzt darauf, die eigene Deutungshoheit vor Konkurrenz zu schützen und letztlich ein Monopol an Meinungsmacht auf dem lukrativen Markt der Aufmerk­sam­keits­öko­nomie zu errichten.

Hirschhausen fordert genau jene Immunisierungsstrategien gegen Kritik, die Hans Albert, Philosoph des Kritischen Rationalismus — er feierte im Februar 2023 seinen 102. Geburtstag — als dogmatisch entlarvt und als anti-aufklärerisch verwirft. Sein konziser Text »Die Idee der kritischen Vernunft. Zur Problematik der rationalen Begründung und des Dogmatismus« aus dem Jahr 1989 — ein Plädoyer für die denkerische Tugend »der unvoreingenommenen Analyse und Prüfung von Anschauungen, Wertungen, Autoritäten und Institutionen« — verdient eine konzentrierte Lektüre in unserer Zeit.

Hans Albert, ein Weggefährte Karl Poppers, pocht umso dringlicher auf den Gebrauch der Vernunft, je mehr »sich alle möglichen Verfechter von Auf­fassun­gen, die durch kritische Untersuchungen gefährdet sind, große Mühe geben, eine solche Fehleinschätzung zu fördern und den Wirkungs­bereich der Kritik nach Möglichkeit einzuschränken«.

Was Drosten vorexerzierte und Hirschhausen apodiktisch forderte, »die Wissenschaft« — als ob es sie im unhinterfragbaren Singular gäbe — müsse bedingungslos akzeptiert werden, trifft auf Hans Alberts heftige Gegenrede: »Der Anspruch, im vollen und alleinigen Besitz der Wahrheit zu sein und daher kritische Argumente nicht beachten zu müssen — ein Anspruch, der im engeren Bereich der Wissenschaft meist als naiv und keineswegs als Zeichen der Überlegenheit gilt [Albert beschreibt die Situation des Jahres 1989], erweist sich in anderen Bereichen oft als von erstaunlicher Durchschlagskraft, wenn er mit der Fähigkeit verbunden ist, wichtige Bedürfnisse zu befriedigen«. Man hört mit Schaudern erneut Wielers Diktum, die RKI-Regeln dürften »nie hinterfragt werden«, das in Söders »Alles muß in eine Richtung laufen« zur Realpolitik mutierte. Das Bedürfnis, das durch die Corona-Politik befriedigt wurde, war ein erträumter allumfassender Schutz vor Ansteckung, gipfelnd in der Zero-Covid-Hybris, ein pathologisches Sicherheitsbedürfnis, erzeugt durch nackte Angst, die wiederum von der Politik im Zusammenspiel mit gleichgeschalteten Medien erst geschürt wurde.

Auch zum Verständnis medialer Propaganda verhilft uns Hans Albert: »Es ist möglich, Anschauungen aller Art gegen jede Kritik zu immunisieren, sie ent­sprechend zu formulieren, zu interpretieren und zu behandeln. […] Man kann sie institutionell ab­sichern, indem man die soziale Kom­munikation in ent­sprechen­der Weise kanalisiert, einschränkt und in bestimmten Richtungen unterbindet, so daß man gegen kritische Argumente aus bestimmten sozialen Bereichen weitgehend geschützt ist.« Nichts anderes hat das präcoronare »Event 201«, »eine sonderbare Pandemie-Übung« im Oktober 2019 geprobt und das Bundes­innen­ministerium in seinem frühen Strategie­papier zur Panikerzeugung, Meinungsgleichschaltung, Zensurausübung und Widerspruchdiskreditie­rung planen lassen.

Gemeinsam Denken[Gemeinsam Denken. Quelle: Pixabay.]

Was wäre eine Vernunft, die Immunitätsforderungen von Dogmatikern hinterfragt? »Die Idee der kritischen Prüfung ist eine methodische Idee, die darauf zurückgeht, daß unser Denken und Handeln der Irrtumsmöglichkeit unterworfen ist, so daß derjenige, der ein echtes Interesse an der Wahrheit hat, daran interessiert sein muß, die Schwächen und Schwierigkeiten seiner Denkresultate und Problemlösungen kennenzulernen, Gegenargumente zu hören und seine Ideen mit Alternativen konfrontiert zu sehen, um sie vergleichen, modifizieren und revidieren zu können. Nur Anschauungen, die kritischen Argumenten ausgesetzt werden, können sich bewähren.« So funktioniert in normalen Zeiten Wissenschaft. Aber auch der »normale« Mensch dürfte im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte wichtige existentielle Ent­schei­dun­gen so treffen. Regierung und Qualitätsmedien taten in Corona-Zeiten das Gegenteil.

Grundsätzlich können Immunisierungsstrategien gegen kritische Vernunft, so Albert, »nur in erkenntnisfremden Motiven wurzeln«. Und — die Fälle Drosten, Hirschhausen, Wieler et. al. bestätigen es — auch »säkulare Ideologien können Glaubenspflicht und Gehorsamsanspruch institutionell verankern und ihre Glaubenssätze durch Strategien der logischen und sozialen Immunisierung vor Kritik schützen. Auch hier treten Unfehlbarkeits­ansprüche auf, wie sie im theologischen Bereich seit langem üblich sind. Auch hier bilden sich unter Umständen im Gegensatz zur offiziellen Orthodoxie Häresien, die der Verfolgung ausgesetzt sind.« Der vielgeschmähte »Covidiot«, der verleumdete »Querdenker«, der als asozial gebrandmarkte sogenannte »Corona-Leugner«, der letztlich fast durchgängig richtig liegende, lange Zeit kriminalisierte »Verschwörungstheoretiker« — alle diese vernunftgesteuerten Kritiker der Corona-Psychose sind Zeitzeugen dafür, wie eine Orthodoxie Häresien erfindet, um sie bekämpfen zu können.

Man könnte alleine mit dem angeführten Essay Hans Alberts als Werk­zeug­kasten das gespenstische Corona-Szenario psychologisch erklären — ein letztes Beispiel: »Im Zusammenhang mit solchen Immunisierungsversuchen findet man sehr oft eine moralische Prämierung des schlichten und naiven Glaubens, der keine Zweifel kennt und daher unerschütterlich ist, als einer Tugend und dementsprechend eine Diffamierung kritischen Denkens für den betreffenden Bereich als unsittlich und zersetzend.« Wie gesagt — ein philosophischer Weckruf aus dem Jahre 1989.

Seit März 2020 mußten wir als fassungslose Zeitgenossen einer propa­gan­distisch eindrucks­voll inszenierten »Immunisierung gegen jede kritische Prüfung« beiwohnen, die — wider alle Vernunft — den Maßnahmenstaat ermöglichte und jahrelang schein­legitimierte. Hans Albert zieht — zur Zeit der Abfassung seines Textes fast visionär — das Fazit: »Wenn man die praktischen Früchte dogmatischen Denkens zur Kenntnis nimmt [in unserem Fall den konkreten Maßnahmen-Staat], dann muß man starke Zweifel daran bekommen, ob es sich lohnt, dogmatischen Glauben zu prämieren und kritisches Denken zu diffamieren und einzuschränken.«

Von der sprachlichen Etablierung eines »Cordon sanitaire« gegen Regierungskritik …

Vor 20 Jahren haben sich einige frankophone Parteien in Belgien darauf geeinigt, »an Diskussionen mit rechtsextremen Parteien nicht teilzunehmen« und jede Form der Zusammenarbeit auszuschließen. Damit wurde erstmals ein Verhaltenskodex etabliert, der als »Cordon sanitaire« eine Brandmauer gegen rechts hochziehen sollte.

Als Cordon sanitaire — französisch für »Sperrgürtel« beziehungsweise »Pufferzone« — bezeichnet man eigentlich ein Isolationsgebiet zur Eindämmung von Seuchen. Aus den medizinischen Fachtermini ins politische Feld gewandert ist der Hygiene-»Sperrgürtel« im Abwehr­kampf gegen den Bolschewismus in der Sowjetunion. Seine Neuauflage erlebt die Begrifflichkeit in der Abgrenzung gegen den anderen Pol des politischen Spektrums, sprich: gegen alles, was Linke für rechts halten. So konnte der Politikwissenschaftler Michael Minkenberg 2018 einen »›cordon sanitaire‹ aller demokratischen Parteien« fordern, »also« — präzisiert er — »eine klare Abgrenzung von der radikalen Rechten«. Was die radikale Rechte genau ist, erfährt man hingegen in der ganzen Abgrenzungsrhetorik eher selten.

Der SPD-nahen Denkfabrik Friedrich-Ebert-Stiftung ging es um den »Umgang mit Rechtspopulismus in Europa« — Linksextremismus Marke Antifa gilt in diesen Kreisen als ehrenhafte »Handarbeit«. Doch die »Gegenstrategie« eines Hygiene-Walls konnte, gerade für eine Partei in Regierungsverantwortung, schnell und einfach angewandt werden auf unbequeme Regierungs-Kritiker aller Art: In Corona-Zeiten erfand die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken zur Isolierung unerwünschter Ansichten — d. h. Regierungskritik — das Schlagwort »Covidioten«, das sie selbst und angeschlossene Funkhäuser geschickt mit dem Ausschlußverdikt »rechts« kurzschlossen. Als dann noch die Antifa und deren publizistische Unterstützerinnen, etwa in der Frankfurter Rundschau, diese Einsichten zur Devise »Man marschiert nicht mit Nazis« herunter­gebrochen hatten, war Minkenbergs »Cordon Sanitaire« perfekt ins Corona-Regime eingepaßt.

Klempner[Saubermachen. Quelle: Bild von Alexa auf Pixabay.]

… zur Denunziation und Kriminalisierung Andersdenkender als »Superspreader«

Wer sich — wie der Philosoph Peter Sloterdijk an einem bestimmten Punkt seiner Denkmäander — im Glauben befindet, daß die demokratische Entscheidung für den Brexit eine »politische Epidemie« sei, der mit medialen »Impfungen« begegnet werden müßte, hat eine gefährliche Kategorie in den Diskurs eingeführt, die fortan seine Weltsicht und diejenige seiner ihm zustimmenden Leserschaft bestimmen wird.

Wer immunologischen Metaphern sagbar macht und als handelsüblich in der öffentliche Diskursarena platziert, etabliert damit über seinen eigenen Haus­gebrauch hinaus ein allgemein zugängliches Verleum­dungs­in­stru­men­tarium zur Abwehr mißliebiger Meinungen aller Art. Wer den Populismus, den er als negativ und gefährlich, im Bild als infektiös markiert, nachdem er ihn als ausschließlich »rechtes« Phänomen isoliert hat, als eine Art virale Epidemie für alles verantwortlich macht, was nicht seinen eigenen Wunschvorstellungen von Wirklichkeit entspricht und als Therapie »Impfungen«, sprich: pro­pa­gan­disti­sche Umerziehung der Virenträger (vulgo: Gehirnwäsche) verordnet, hat freiheitliche Denktraditionen verlassen.

Wer will sich wundern, wenn in einem solchen Sprachklima, das sich im Corona-Staat ohnehin der Dominanz von Infektionsfurcht und Hygienekult hingegeben hatte, Staatsorgane auf die Idee kommen, Oppositionelle mit einem neu kreierten Reizwort der Pandemie-Verbalisierung zu stigmatisieren. So hieß es im ersten Corona-Sommer 2020, die »neue Rechte«, allen voran die Oppositionspartei AfD, wäre entlarvt als »Superspreader von Hass und Gewalt«.

Spreading[Spreading. Quelle: Pixabay.]

Thomas Haldenwang, ranghöchster Verfassungsschützer der Bundesrepublik Deutschland, aktualisierte diesen polit-medizinischen Diagnosenzwitter paßgenau mit der Feststellung, die von ihm als »Superspreader« pathologisierten Akteure würden »unser gesellschaftliches Miteinander verseuchen«. Politischer Seuchenalarm also inmitten virologischer Seuchenhysterie, verbal getriggert und ermutigt durch den erfolgreichen Testlauf einer angstbasierten Herrschaftsform, die das Corona-Regime zur Zufriedenheit der medialen Hegemonie etabliert hatte.

Heino Bosselmann, als Autor der Zeitschrift Sezession einer derjenigen, dem attestiert wurde, als politisch Infektiöser eine Gefahr für Mitmenschen und Gemeinwohl darzustellen, faßt die geisterhafte verbale Amalgamisierung von medizinischer und politischer Bedrohungskulisse unter dem Titel »Politische Hygienevorschrift« so in Worte: »Wie der Mensch vor der Gefahr der Ansteckung mit dem ›neuartigen Corona-Virus‹ geschützt ist, wenn er sich nur an die Hygiene-Vorschriften hält, so ist er vor politischen Abirrungen und Perversionen gefeit, wenn er verinnerlicht, was die Deutungsbehörden des Staates und die ihm nachgeordneten [vielleicht sogar eher: die den Staat vor sich her treibenden] Medien gegen rechts aufbieten. Ebenso wie ›Corona‹ zum Leitbegriff aller Gefährdungen wurde, stellt ›rechts‹ das Synonym für jegliche politische Unart dar.«

Sprache bestimmt das Bewußtsein. Wer lange genug und widerspruchsfrei in sprachlichen Welten lebt, die Menschen in metaphorischem Sinne als Träger gefährlicher und gefährdender geistiger Viren identifizieren und stigmatisieren, wird sehr willig zustimmen, wenn ein staatliches Hygiene-Regime angesichts einer viral induzierten »Pandemie« ernst macht — »die Samthandschuhe abstreifen« nannte Peter Sloterdijk die exekutorischen Hygiene-Exzesse des »Staates« anerkennend —, indem realiter jeder Mitmensch unter den Generalverdacht des Todbringers gestellt wurde. Sich nicht der Herrschaft der Virologie zu unterwerfen, weder unter dem Label einer sogenannten Pandemie noch unter dem Moraldiktat von sprachnormensetzenden Sozialhygienikern — das scheint eine der vordringlichsten Aufgaben unserer Zeit.

Hygiene[Hygiene. Quelle: zukunftssicherer auf Pixabay.]

In Teil II wird erkundet, welche Denker aus dem Umfeld der sozialen Virologie die Problematik des Maßnahmenstaats thematisiert haben, bevor die Corona-Pandemie in Szene gesetzt wurde — und wie sich diese Theoretiker aus der Affäre zogen, als im März 2020 ihre Denkmodelle auf die Wirklichkeit im Ausnahmezustand trafen. Zunächst muß konstatiert werden, daß allzu viele Intellektuelle ihr denkerisches Koordinatensystem verraten haben (so sie die Pandemie erlebten) oder von ihren epigonalen Interpreten posthum mißinterpretiert wurden.