Der Krieg des Pazifisten und des Helden

Geschrieben von Uwe Jochum am 8.7.2023

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Uwe Jochum

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Es gibt zwei Perspektiven auf den Krieg.

Die erste Perspektive ist die das Pazifisten. Er lehnt den Krieg als Mittel der politischen Auseinandersetzung ab und fordert die Abschaffung des Militärs. In seiner extremen Form, wie sie etwa Eugen Drewermann vertritt, lehnt der Pazifist jede Form von Gewalt bis in das persönliche Umfeld ab und dehnt das auf die Gegenwehr gegen die von einem anderen Menschen ausgehende Gewalt aus: Man soll sich nicht wehren, weil das den Kreislauf der Aggression in Gang halte; man soll sich orientieren an Jesus, der dafür war, die linke Backe hinzuhalten, wenn man auf die rechte geschlagen wurde (Mt 5,39). In der neueren Literatur nimmt Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues die Position des Pazifisten ein.

Die zweite Perspektive auf den Krieg ist die des Helden. Daß es Aggression unter den Menschen gibt, daß diese sich zu Aggressionsgruppen formieren, die politische und andere Ziele mit Gewalt durchzusetzen versuchen, wird als gegeben akzeptiert. Die Vermeidung von Gegenwehr angesichts eines Angriffs gilt als persönliches Versagen, als Feigheit; Staaten, die einem Angreifer nichts entgegenzusetzen haben denn unterwürfiges Bitten um Schonung werden nicht Ernst genommen. Worauf es ankommt, sagt der Held, ist, sich zur Wehr zu setzen, mit dem Einsatz der eigenen Person, zur Not bis zum Äußersten gehend. Wer das nicht in Betracht ziehen könne beim Handeln, solle erst gar nicht zu handeln versuchen, denn er werde dem Gegner immer unterliegen, schon beim kleinsten konträren Windhauch, erst recht beim großen kriegerischen Angriff. Der Held also setzt das, was er oder seine Gemeinschaft erreichen will, höher als sein Leben; er wird dafür geehrt, gerade wenn er beim Einsatz seines Lebens stirbt. In der neueren Literatur nimmt Ernst Jüngers In Stahlgewittern die Position des Helden ein.

Drawing[Der Schloßwald von Ypern im Ersten Weltkrieg. Quelle: Frank Hurley, Public domain, via Wikimedia Commons.]

Ist der Pazifist eo ipso »links«, der Held »rechts«? Man will uns das glauben machen. Aber die Sache geht nicht auf: Ist der »Futurismus«, der den Krieg verherrlichte, rechts, oder nicht doch eher links, weil er antikapitalistisch und antiklerikal orientiert war? Und ist Ernst Jünger rechts, weil er ein Held nicht nur sein wollte, sondern wirklich einer war, oder doch eher links, weil er im Zweiten Weltkrieg eine »Friedensschrift« verfaßte und 1960 über den »Weltstaat« nachdachte, der keine Armeen mehr benötige und den er dadurch angekündigt sah, daß sich die Geschlechter anzugleichen beginnen? Und ist es wirklich links, einen »Arbeitszwang« für alle zu fordern und die »Errichtung industrieller Armeen besonders für den Ackerbau«, wie Marx es im Kommunistischen Manifest getan hat? Also die menschliche Aggression vom Menschen weg auf die Natur zu lenken, auf die die »industriellen Armeen« losgelassen werden?

Wie also? Nun, ich schlage vor, einen Schritt zurückzutreten. Dann sehen wir, daß die Kriegsfrage in eine ganz andere Frage eingebettet ist, in die Frage nach dem guten, nämlich richtigen, Leben und der guten, nämlich richtigen, Gesellschaft: Die einen wollen das Bestehende beseitigen, weil es nicht gut genug sei, sie träumen von einer »kreativen Zerstörung«, am besten einer finalkreativen, die alles Böse abräumt und nur noch das Gute und besser noch bloß das Allerbeste übrigläßt, so wie es Marx im Kommunistischen Manifest getan hat und wie es heute die Grünen tun, die gegen den Klimawandel »kämpfen«, gegen das CO2, die Benzin- und Dieselautos, die Fleischesser und Falschheizer. Die andern aber wollen das Bestehende bewahren, weil sie die Erfahrung gemacht haben, daß das angeblich Bessere, sobald man sich an seine Verwirklichung macht, sich viel zu oft als das real Schlechtere entpuppt — denn die Wirklichkeit ist viel komplexer als es sich die Plänemacher vom Schlage des Karl Marx denken, die allen Ernstes glauben, ein »gemeinschaftlicher Plan« zum Aufbau der besten aller Welten sei nicht nur denkmöglich, sondern auch realmachbar. Daher, so sagt der Bewahrer, belassen wir im Zweifelsfall alles wie es ist, ehe wir bei dem Versuch, das Bessere zu suchen und umzusetzen, alle aufeinander und auf die Natur losgehen.

Drawing[Das Alta Wind Energy Center in Kalifornien. Quelle: Z22, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons.]

Krieg und die Vermeidung von Krieg sind also keine Sache von links oder rechts. Sie sind eine Sache der Erfahrung und mithin der Lebensklugheit, die ein jüngerer Mensch nicht hat, weshalb noch jede revolutionäre Bewegung damit arbeiten konnte, daß sie die Ahnungslosigkeit der Jungen in einen Kampf gegen das Bestehende und seine erfahrenen Verteidiger umbog. Wo es gelang, war das Ende vom Lied die Zerstörung der realen Lebensgrundlagen und eine Verarmung aller, die die Kämpfe überhaupt überlebt hatten. Mit Ausnahme natürlich der üblichen Kriegsprofiteure, die die angesagten Parolen einfach mitheulten und hinter dem Rücken der Fanatisierten ihr eigenes Ding durchzogen. Es gab sie immer, die Lobbyisten der Kriegswirtschaft, die aus dem Untergang der anderen ihren Vorteil zogen: die Hersteller von Preußisch Blau, von Armeestiefeln, von Solaranlagen und Windrädern, die alle vom erfolgreichen Kampf gegen den Feind künden und doch nur Merkzeichen des Kampfes gegen die überkommene Welt sind, in der wir uns in unserer ökologischen Gesellschaftsnische eingerichtet hatten.

Wer wissen will, was passiert, wenn man die Menschen aufeinanderhetzt bei der Suche nach einem »gemeinsamen Plan«, beim Kampf gegen die bösen Andersmeiner und Abweichler, beim Kampf auf der Seite der unschuldigen Natur — der wird nicht bei den Moralisten fündig werden, sondern bei den Realisten und denen, die in all diesen Kämpfen erfahren haben, was es heißt, zu verlieren: die Ruhe, den Wohlstand, die Kinder, die Freiheit jenseits irgendwelcher »Pläne«, die andere mit einem haben. Also fündig werden etwa bei Ernst Jünger, von dem man erfahren kann, was es heißt, vorne an der Front zu stehen, über Jahre, und der im Graben neben einem stehende Kamerad erhält in diesem Augenblick einen Kopfschuß und der englische Offizier, den man im Kampf um einen Bunker tödlich verletzt hat, bittet im Sterben um eine Zigarette. Fündig werden bei Ford Madox Ford, von dem man erfahren kann, wie im Krieg jeder Plan ein Unding ist, die Organisation des Organisationsversagens, der Verantwortungslosigkeit, des schieren Unvermögens, und wie daheim alles vor die Hunde geht und der Soldat nach vier Jahren in ein fremdes Land zurückkehrt, in dem nichts mehr so ist wie es war, weil der Krieg das Schlechte auch in die Heimat gespült hat und die Profiteure des Krieges mit ihren neu erworbenen Vermögen die alten Adelssitze kaufen und dort ein neues Regime errichten, das nichts mehr zu tun hat mit den alten Banden zwischen Herren und Gesinde, zwischen Grundherren und Pächtern und Dörflern, die alle aufeinander angewiesen waren. Da kann der Kriegsprofiteur nur lachen, seine neu erworbenen Äcker sind gedüngt mit dem Tod der anderen und ergeben eine fette Erde, auf die er die neuen Maschinen und die neuen Methoden losläßt, um aus ihr herauszuholen, was nur möglich ist und Geld bringt. Am Ende stehen überall in der Landschaft häßliche neue Bungalows neben den alten Herrensitzen, pflegeleichte Grasteppiche verdrängen die herrschaftlichen Parks, das Gesinde verschwindet aus den großen Anwesen und lebt jetzt irgendwo hinter dem Dorf oder der Kleinstadt in kärglichen Siedlungen, von denen es frühmorgens zu Fuß zur Arbeit muß, viele Kilometer weit, und die alten Bäume werden gefällt, um dem Neuen Platz zu machen, einer Garage etwa für das elektrisch fahrende Automobil, oder den Windmühlen, mit denen ein paar Jahre lang bei günstigem Wetter Strom erzeugt wird, bis der Sturm die Flügel knickt und den großen Plan zunichte macht.

Drawing[Aias trägt den toten Achilleus vom Schlachtfeld. Quelle: München, Staatliche Antikensammlungen, Public domain, via Wikimedia Commons.]

Es gibt zwei Perspektiven auf den Krieg. Die Perspektive des fröhlichen Vernichters und kreativen Zerstörers, der sich für mutig hält, weil er nicht weiß, daß sein Mut aus der Verkennung der Realität entspringt und also gar kein Mut ist, sondern Hybris. Oder die Perspektive des Trauernden, der weiß, wie viel in der Geschichte schon verlorenging an Gutem, und der weiß, wieviel es kostet, das Gute auch nur ein wenig über die Zeit hinwegzuretten: Es kostet den Mut, sich der Realität zu stellen und den Einsatz der Person zu wagen, auch wenn man sich nicht sicher sein kann, daß der Einsatz gelingt. Ich stelle mir vor, Achilleus war ein solcher Trauernder.


Erstveröffentlichung, ohne Abbildungen, auf der Website der Sezession am 24. Juni 2023.