Draußen sein

Geschrieben von Jürgen Schmid am 31.7.2023

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Jürgen Schmid

Historiker

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Wie kann man sich verhalten in einer Welt, die Kopf steht? Eine Typologie der Möglichkeiten, auf die Lage zu reagieren.

Der Adabei

Nicht wenige sind dabei beim Kopfstehen: aus Überzeugung, als Opportunisten oder — wie allzu viele bei Corona — um ein Zuviel an Leidensdruck zu vermeiden. Es sind die Adabeis, wie in Bayern jene genannt werden, die nicht leben können, ohne sich irgendeiner Gruppierung anzuschließen, von der sie annehmen, daß sie Vorteile aus ihr ziehen können. Wer noch nie »dabei« war, selbst bei weniger irren Projekten nicht wie sie jetzt en vogue sind — warum sollte so jemand ausgerechnet am idiotischsten Experiment teilnehmen, das die Menschheit je sah, der Abschaffung von Wirklichkeit zugunsten eines ideologisch verblendeten Teufelsritts?

»I support the current thing«: Was formuliert wurde, um die Vertreter des Typus Adabei lächerlich zu machen, bringt deren Dilemma neben aller Häme perfekt auf den Punkt. Besonders bitter muß der Umstand aufstoßen, daß sich der komplette journalistische Mainstream in diese Gruppe eingereiht hat. Richard Wagner, jüngst verstorbener Schriftsteller aus dem Banat, sezierte das Psychogramm jener medialen Mitläuferfiguren: »Dem Redakteur geht es darum, Redakteur zu bleiben, egal worum es geht. So hat an seiner Publikationsentscheidung die Überlegung, ob ein Thema und die damit verbundene Botschaft seiner Karriere, seinem Ruhm, seiner Selbstdarstellung nützt oder schadet, einen gewichtigen Anteil. […] Vielleicht ist der Konformismus, der ständig zunimmt, ja wirklich auf diese Kleinigkeiten zurückzuführen. Auf die Angst, den Job einzubüßen, die den Menschen offenbar vorsichtiger macht, als die Aussicht auf Knastjahre. Es muß unendlich schmerzhafter sein, die Standards nicht genießen zu können, als die Freiheit einzubüßen.«

Ein Nanny-Staat hat sich breit gemacht, der sich kümmert, ob der Bürger will oder nicht — in der Corona-Pandemie wurde dieser Zugriff übergriffig, zuweilen fast totalitär. Norbert Bolz attestierte in seinem Lagebericht Die ungeliebte Freiheit (2010) eine »Krankheit des Verwaltet-werden-Wollens«. Im Osten der Republik hat der Realsozialismus einen »vormundschaftlichen Staat« geschaffen, dessen Vorstellung, den Bürger erziehen zu wollen, der Bürgerrechtler Jürgen Henrich in seinem berühmt gewordenen Buch 1989 — zur Wendezeit — beschrieb. Regierungen mit autoritären Gelüsten hätten immer neidisch nach China geblickt, nach den dortigen Möglichkeiten, durchzuregieren, Maßnahmen einfacher durchsetzen zu können. Nun deren Import nach Deutschland? Wie reagieren diejenigen, die noch länger hier leben müssen — die heute jungen Menschen —, auf diese Entwicklungen?

Legowelt [Bild von Eak K. auf Pixabay.]

Wer berufsbedingt tiefere Einblicke ins Koordinatensystem heutiger Jugendlicher hat, beobachtet eine erschreckende Tendenz: Junge Leute haben zunehmend Angst vor dem Dissens. Jugendliche der Generation Z sind oft dazu konditioniert, individuelle Freiheit vorrangig als Egoismus wahrzunehmen. Freiheit ist für viele von ihnen kein positiver besetzter, erstrebenswerter Zustand, sondern gilt als Voraussetzung, Böses zu tun und egoistisch gegen die Gemeinschaft zu stehen.

Es ist eine bekannte Tatsache, daß NGOs wie die Amadeu-Antonio-Stiftung in Kindergärten und an Schulen konditionierend auf Heranwachsende einwirken, daß dort jede Menge mit Fördergeldern verbundener Aktionismus kampagnenartig auftritt, »Schule mit Courage« etwa. Und wer sich engagiert im Sinne der staatlich gelenkten »Zivilgesellschaft«, erhält Benefits. Wer als Jugendlicher plötzlich in Kommissionen mit Erwachsenen sitzen darf, als gleichberechtigter Mitentscheider akzeptiert, wird versuchen, diesen Status zu erreichen — was gelingt mit Konformität zu dem Wertesystem, das die staatlichen Akteure propagieren. Kein Wunder, daß der Widerspruchsgeist schwindet, wenn allerlei Vorteile locken. Nonkonformismus ist schwierig geworden, der Preis, den Abweichler zu zahlen haben, wird immer weiter in die Höhe getrieben. Allerdings fühlen sich Jugendliche, die papageienartig das artikulieren, was die »Zivilgesellschaft« ihnen vorgibt, gerne als widerständig. Konformität ist das neue Unkonform.

Viel zu viele sind extrem konfliktscheu geworden, das scheint fast ein neuer Trend: Es gibt einen Sog hin zum Mainstream. Der Einzelne will mehrheitsfähig sein, was für junge Leute — für ihr Leben in den sozialen Netzwerken mindestens genauso wie fürs analoge Dasein — enorm wichtig ist: Man will um keinen Preis ausgeschlossen sein von der Gruppe der Richtigmeinenden. Deshalb ist man halt auch dabei.

Der Pudding

Nicht jeder kann auf die charakterliche Deformation zurückgreifen, stets genau dafür zu sein, wofür die relevante Masse gerade schreit. Nicht jeder ist geeignet als opportunistische Fahne im Wind des jeweiligen Zeitgeistes. Viele, vielleicht die Mehrheit, will mit solchen Überlegungen und Anfechtungen eigentlich gar nicht konfrontiert werden. Diese unpolitischen Zeitgenossen bevorzugen es, sich einzurichten in ihren Leben — und wollen dabei möglichst wenig von äußeren Umständen belästigt werden. Wenn nun eine Zeit anbricht, in der ihnen dieser Rückzug ins Private durch äußeren Druck verunmöglicht wird, neigen sie dazu, sich so gut es geht wegzuducken und sich vor einer konkreten Positionierung zu drücken. Sie glauben, am ungestörtesten bleiben zu können unter der Devise: Nicht wirklich dabei, aber auch nicht wirklich dagegen sein.

Es ist wohl die klassische Position der breiten Masse — man nenne sie Mitläufertum. Dazu gehört ein gerüttelt Maß an Unwissenheit und Unreflektiertheit; es genügt zu sagen, daß sich solche Leute nie mit dem Lesen von Büchern belasten und ihre Informationsquellen tunlichst nie über das Staatsfernsehen und die lokale Schundpresse hinaus ausweiten. Egal, in welcher Sozialschicht sich diese Zeitgenossen bewegen, auf ihre Persönlichkeitsstruktur trifft das Bonmot Benjamin Bertons zu: »Was den Außenstehenden frappierte, war die extreme geistige Dürftigkeit ihres Gesprächs.«1 Es sind »Idioten« im griechischen Sinne des Wortes — »Privatpersonen« (Gemoll), die sich nicht fürs Staatsleben interessieren — ebenso wie nach heute gängigem Sprachgebrauch; wohlstandsverwahrloste Protagonisten eines »depressiven Hedonismus«, meist ohne bis zum Zusammenbruch auch nur zu ahnen, daß ihr Materialismus eine nihilistische Grundierung aufweist und zwingend in die Depression führen muß, ja in depressiver Sinnlosigkeit des eigenen Lebens eigentlich erst seinen tragischen Ausgang nimmt.

Es ist der Typus Mensch, der sich nie emanzipiert im Wortsinn, der stets das tut und für richtig hält, was seine angestammte Peer Group für richtig hält, Erwachsene, die nicht erwachsen sind, sondern ihr ganzes Leben an Marionettenfäden hängen; diejenigen, die auf die Frage: »Wie geht’s« antworten: »Muß«; die selbst im Angesicht des Burnouts noch sagen, »es muß ja weiter gehen« — und mit »weiter« tatsächlich daßelbe meinen, was sie in den Burnout geführt hat.

Pudding [Bild von Michal Jarmoluk auf Pixabay.]

Der Mitläufer verhindert das Abgleiten einer Demokratie ins Nirwana nicht nur nicht, sein massenhaftes Vorhandensein ist die Bedingung dieser Möglichkeit. Dieser Typus verhält sich wie ein Pudding, der sich nicht zu einer Form bekennen will, die greifbar ist; er stellt eine dehnbare Masse dar, die formbar ist, weil sie der Formung kaum Widerstand entgegensetzt.

Der Ausgestoßene

Immer häufiger tritt ein Typus auf, der lange eine bedeutende Rolle im System gespielt hat — und der an irgendeinem Punkt, durch eine wenn auch noch so kleine Abweichung, vom System verstoßen wurde. Einer, der im Schlaraffenland war — und nun nicht mehr mitschmausen darf. Einer, der drinnen war, wider Willen seinen Platz im Establishment verlassen mußte, aber um jeden Preis wieder hineinwill. Der Adabei, den es zurückdrängt ins Dabeisein.

Eine gespenstische Mixtur. Eine Rächerfigur, die sich gerne als Robin Hood inszeniert, als Beschützer der Entrechteten (sich selbst zuerst meinend), als Verkünder alternativer Wahrheiten, die aber so alternativ gar nicht sein dürfen, weil er ja seinen Platz am alternativen Katzentisch nicht zementieren, sondern verlassen will in Richtung Mainstream. Viele AfD-Politiker kommen aus dem Establishment, konnten dort in den Altparteien nicht wie gewünscht reüssieren — und versuchen es jetzt auf dem Ticket der Opposition, wieder oder erstmals ins gelobte Land der Adabeis zu gelangen. Oder ein ehemaliger Verfassungsschutzpräsident, der nun via WerteUnion wieder rüttelt am für ihn vorerst verschlossenen Tor von Macht und Ansehen. Kann man auf solche Leute bauen?

Mensch und Sturm [Bild von Engin Akyurt auf Pixabay.]

Neben bereits Ausgestoßenen irrlichtern zu viele Konservative durch die Manege, deren größte Angst es ist, ausgestoßen zu werden — Träger jener »verdorbenen Aspekte des Konservatismus«, mit denen Manfred Kleine-Hartlage, Renegat der linken Szene, hart ins Gericht geht, vor allem mit ihrer »servile[n] Anbetung etablierter Macht«. Wandere die Macht nach links, so tue es auch der Mainstreamkonservative, wobei er sich »seinen Verrat als ›Pragmatismus‹ und ›Modernität‹ schön« rede und »seine Blöße allenfalls mit dem Feigenblatt einer scheinkonservativen Phraseologie« bedecke.2 Was ist damit gewonnen, wenn sich ein solcher Konservativer einreden kann, er wäre »ja noch im Gespräch« und könne nicht-linke Standpunkte einbringen, weil er in der FAZ publiziert, die sich schon längst von echten konservativen Standpunkten abgewendet und ins Lager der »Progressiven« geschwenkt ist?

Ein Sonderfall muß hier ergänzt werden, dessen Position im gesellschaftlichen Koordinatensystem sich gerade dramatisch verändert: War es jahrzehntelang problemlos möglich, als grundsätzlicher Parteigänger von wem auch immer in Einzelfragen abweichen zu dürfen, ohne die Gruppenmitgliedschaft zu verlieren, wird eine solche Position vom linksgrünen Mainstream zunehmend verunmöglicht. Partei sein heißt nun immer und in jeder Frage: bis in Detail und Sprachregelung hinein dabei sein — oder komplett raus fliegen. Dabei sein bedeutet im Grünen Reich buchstäblich: mit Haut und Haaren. Gerade letzteres, »kulturell aneignende« Dreadlocks, wurden einer »progressiven« Sängerin, die auf einer FFF-Demonstration auftreten wollte und nicht einmal inhaltlich abgewichen war von der reinen Lehre, zum Verhängnis.

Unsere polarisierte Zeit erfordert grundsätzlich: Farbe bekennen.

Der Renegat

In den letzten Wochen wurde eine Comedianine auffällig, weil sie der »heute show« abtrünnig ging, in der sie das jeweilige »current thing« der woken Sekte aggressiv bewarb und alle Andersdenkeden als verachtenswerte Kreaturen beschimpfte. Nun hat die Dame, deren Name nichts zur Sache tut, plötzlich für sich entdeckt, daß sie nicht mehr dabei mitmachen will, jeden Abweichler von einer vorgegebenen Einheitsmeinung als »rechtsextrem« zu framen — und ist (vorerst?) aus dem woken Haltungs-Business (früher als Journalismus bekannt) mit lautem Knall ausgestiegen.

Ist sie deshalb schon eine Renegatin, eine, die die Seiten gewechselt hat? Nun: Eine Comedianine kann per se etwas nicht sein, wozu es intellektuellen Hintergrund benötigt, auch Ernsthaftigkeit der Begründung und Selbstreflexion des Seitenwechsels. Caroline Sommerfeld etwa ist eine Renegatin, auch Manfred Kleine-Hartlage — zwei Denker der neurechten Szene, die ihre linke Vergangenheit aufgearbeitet und reflektiert haben. Einer der bekanntesten Renegaten dieser Art war Günter Maschke. Er wurde von seinen marxistischen Ideen in Kuba kuriert, wo er gleichzeitig mit Hans Magnus Enzensberger weilte. Im Gegensatz zu diesem, der seither zwar auch zweifelte am Segen des real existierenden Kommunismus, aber nicht im Traum daran dachte, sich als Renegat um seine Position im lukrativen linken Kulturbetrieb zu bringen, die er sich nun einmal mühsam erarbeitet hatte, zog Maschke logische Konsequenzen. International könnte man die großen Namen bemühen: Arthur Koestler (Sonnenfinsternis) oder Milovan Djilas als berühmte Abtrünnige des Kommunismus. (Was besagte Comedianine aus ihrem Ausstieg künftig machen wird, wo und wie sie sich in politischen Fragen engagieren wird, zu welcher Reflexionsleistung über den Weg der eigenen Person sie fähig ist — all das muß sich erst noch zeigen.)

Keine Renegaten sind Standpunktlose wie ein langjähriger linksaffiner Spiegel-Redakteur, der jetzt als Focus-Kolumnist als pseudo-widerständiges Feigenblatt des Konservatismus reüssiert, stets kleine Nadelstiche setzend, aber immer nur bis zu dem Grad, wo es gefährlich wird, aus dem Hauptstrom zu fallen. Nicht nur für Achgut-Leser dürften solche Gestalten mit ihrer »Balance zwischen Anbiederung an den Mainstream und vorsichtigem Widerspruch dagegen« »unerträglich« sein. Wer sich verhält wie »ein Konservativer, der noch eingeladen werden möchte« (Wolfgang Röhl auf Achgut), bildet keinen Fels in der Brandung des destruktiven Zeitgeistes. Welche Fehlentwicklung soll ein solch unsicherer Kantonist aufhalten in Zeitläuften, die extrem polarisiert wurden von Kulturkämpfern eines Vernichtungskriegs gegen Traditionen, Werte und Andersdenkende, in dem etwas anderes als ein klarer Standpunkt Selbstaufgabe ist?

Echte Renegaten gehören auch schon fast in die Gruppe, die abschließend beleuchtet werden muß — die Einzelgänger, die aus freiem Willen draußen sind aus dem System. Ein Renegat ist oft — wenn nicht immer und grundsätzlich — doppelt draußen: Er ist nicht mehr dort, wo er ursprünglich stand, wird von den ehemaligen Weggefährten als Abtrünniger und Todfeind behandelt. (Wahrscheinlich hassen woke Linke Wagenknecht mehr als Höcke.) Und diejenigen, denen er sich anschloß, rümpfen auch die Nase: Warum so spät, warum nicht gleich? Was will der bei uns? Kann man dem trauen? (Unter diesem Aspekt müßte einmal die Position von Sahra Wagenknecht in dieser Typologie betrachtet werden, die nicht mehr Mainstream-Links sein kann und sich doch stets von »rechts« abgrenzen zu müssen meint — oder jene von Anselm Lenz, der von der taz-Redaktion nach Schnellroda wechselte, ohne sein Linkssein aufzugeben, angeblich.)

Der Einzelgänger

Raus sein, ohne rausgeworfen worden zu sein. Draußen stehen, konsequent und aus Überzeugung, aus freien Stücken. Die konsequentesten Vertreter dieses Typus stellen das berühmte »eine Prozent« aus Ernst Jüngers Waldgang. Diejenigen, die nicht aus dem Establishment kommen und nicht dort einrücken wollen. Nur diese sind eine Gefahr für die »Eliten«, weil sie nicht mit einem Platz am Futtertrog bestochen und gekauft werden können. Jene, die passiven Widerstand leisten, indem sie als verpflichtend erachtete Mainstream-Handlungen verweigern, etwa die Überwachungsapparatur des Smartphones oder die Unterwerfungsgeste der Impfung. Jene, die bewußt vermeiden, sich in Gruppen einspannen zu lassen, weil man dabei soweit verbogen wird, daß man sich selbst nicht mehr erkennt. Der Preis für die Verweigerung ist die Einsamkeit, wobei etwa Norbert Bolz davon überzeugt ist, daß Denken überhaupt nur dem Einzelnen in der Einsamkeit möglich sei. Im Twitter-Universum jedenfalls ist Denken undenkbar. Gruppendynamik und Gruppenzwang sind psychologische Dispositionen, die letztlich zur Massenpsychose führen.

Eine bedenkenswerte Spielart des »Draußenseins«, vor 30 Jahren im Spiegel (sic!) skizziert von einem, den der Spiegel heute nicht einmal mit der Beißzange anfassen würde — Botho Strauß im Anschwellenden Bocksgesang: »So viele wunderbare Dichter, die noch zu lesen sind — so viel Stoff und Vorbildlichkeit für einen jungen Menschen, um ein Einzelgänger zu werden. Man muß nur wählen können; das einzige, was man braucht, ist der Mut zur Sezession, zur Abkehr vom Mainstream. Ich bin davon überzeugt, daß die magischen Orte der Absonderung, daß ein versprengtes Häuflein von inspirierten Nichteinverstandenen für den Erhalt des allgemeinen Verständigungssystems unerläßlich ist.«

Wolf [Bild von Pexels auf Pixabay.]

Zur Ausstattung dieses Typus — des Dissidenten eigener Wahl — gehört aber, die Rolle des Dissidenten ohne Wenn und Aber und mit aller Konsequenz anzunehmen. Dazu wiederum bedarf es — wohl als Voraussetzung — eines gefestigten geistigen wie moralischen Koordinatensystems und klarer, begründeter, belastbarer Standpunkte, ohne dogmatisch erstarrt zu sein. Kann man auf anderem Wege Glaubwürdigkeit vor sich selbst erlangen?

Existentielle Fragen — und die Antwort darauf

Opportunistische Adabeis; genuin unpolitische Mitläuferfiguren, die nur ihre Ruhe haben wollen und für diese Ruhe bereit sind, sich formen zu lassen wie ein Pudding; um Rehabilitation im System ringende Ausgestoßene – sämtliche Zeitgenossen solcher Couleur werden den Niedergang nicht nur nicht aufhalten, sondern sie tragen dazu bei, das Niedergangsszenario auf Dauer zu stellen oder gar zu beschleunigen. Was es braucht sind Aufhalter, die in ihrer Person und Haltung, an ihrem Ort und Platz, mit den ihnen gegebenen Mitteln und Möglichkeiten konsequent »Nein« sagen zu einer »Progressivität«, die sehenden Auges in den Abgrund führt. Und die in ihrem Alltag erkennbar nach dieser Maxime handeln.

Uns sind einige Fragen gestellt: Was ist Demokratie? Wer gefährdet sie, wer verteidigt sie? Wo stehen wir in diesen Abwägungen? Es ist ganz einfach: Wer für die Gültigkeit des Grundgesetzes eintritt, ist Demokrat. Wer es aushebeln will — wie in der sogenannten Corona-Krise geschehen oder jetzt zur Klimarettung —, ist ein Verfassungsfeind, mit Amt oder ohne. Wer also ist draußen, wer drinnen? Wenn »drinnen« heißt, zusammen mit dem Mainstream des polit-medialen Komplexes Grundgesetz und Grundrechte immer weiter auszuhöhlen und diese Aushöhlung auf Dauer zu stellen, muß ein Demokrat »draußen« sein. Einer muß die Gegenposition einnehmen zum medialen Einheitsdauerfeuer aus einer Richtung, die erkennbar das Falsche will — das, was der Mehrheit schadet. Macht braucht einen Gegenpart; Macht, die nach Absolutheit strebt, erfordert radikalen Widerspruch.

Wessen Abweichung klar und begründet ist, vor allem vor sich selbst und seinem Gewissen, derjenige bildet eine Institution in einer Person — so wie der Lehrer Heino Bosselmann, den als Sezessions-Autor ein de facto Berufsverbot getroffen hat. Nur der, welcher seine Rolle »außerhalb« angenommen hat, wird zu wahrer Dissidenz gerüstet sein. Wer dem System verloren gegangen ist, kann von diesem nicht mehr vereinnahmt und korrumpiert werden. Für einen, der eines solchen Standpunktes fähig ist, gilt, was Botho Strauß als Idealbild zeichnet: »Es ist völlig gleichgültig, was in Dutzenden Kanälen ausgestrahlt wird, wenn einmal die Stränge der Vermittlung gekappt sind. Es bedarf keiner Beschwerde, keiner Klage mehr.«

Was immer mehr verloren geht in der Dauerpropaganda eines total fehlgesteuerten polit-medialen Komplexes, die nur noch aus ideologiegenährter Realitätsverweigerung und Manipulation besteht, ist Klarheit — und die muß jeder für sich und in sich schaffen. Der einzelne kann in diesen Zeiten nichts anderes tun, als bei sich zu bleiben, in seinem Alltag das hochhalten, »was immer gilt«. Der einzelne, der sich herausnimmt aus dem Wahn des destruktiven Zeitgeistes, jeder, der sich dem Mitschwimmen im Hauptstrom verweigert, wird seinen Beitrag leisten, den Erosionsprozeß von Freiheit und Grundrechten, das Zerstörungswerk an Tradition und Überlieferung zu stoppen. Der erfolgreiche Widerstand gegen die coronare Zwangsimpfung hat es gezeigt — ziviler Ungehorsam kann gewinnen. Und jeder Einzelne muß bei sich anfangen. Anders wird es nicht gehen.

  1. Benjamin Berton: Am Pool. Roman. Köln: DuMont, 2006, S. 82. – Französisches Original: Classe affaires. Paris: Gallimard, 2001. 

  2. Manfred Kleine-Hartlage: Konservativen-Beschimpfung. Schnellroda: Antaios, 2020, S. 8 f.