Frau Leiendecker klärt auf

Geschrieben von Uwe Jochum am 20.8.2023

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Uwe Jochum

Wissenschaftlicher Bibliothekar

Daß während der Corona-Maßnahmenzeit sich das System der institutionalisierten Wissenschaft nicht mit Ruhm bekleckert hat, pfeifen die Spatzen von den Dächern. Hatte man Wissenschaft bis zum Jahr 2020 als den organisierten Zweifel betrachten können, der in der methodischen Widerlegung von Hypothesen und Theorien zu einem geordneten begrifflichen Abbild der Wirklichkeit kommen wollte, einem Abbild, das freilich mit jeder Widerlegung neu aufzubauen war, so mußte man seit dem Coronajahr 2020 umdenken. Beinahe über Nacht ließ sich die Wissenschaft von der Politik in Dienst nehmen, beerdigte den Zweifel und wurde zur wissenschaftlichen Begleitmusik eines von der Politik und den Medien inszenierten Dramas, das in drei Akten aufgeführt wurde.

Im ersten Akt verkündete man die bislang verheerendste Pandemie des 21. Jahrhunderts; im zweiten Akt griff man zu einschneidenden gesellschaftspolitischen Maßnahmen wie dem Wegschließen der Bevölkerung (»Social Distancing«, »Lockdowns«) und ihrer Kostümierung durch das erzwungene und verschärfte Tragen von »Masken« (Stoffmasken, medizinische Masken, FFP2); und im dritten Akt endlich ging man zur Zwangsimmunisierung der Population durch eine experimentelle Gentherapie über, die man den Menschen als technisch avancierte Form der bekannten Impfungen verkaufte.

In allen drei Akten spielten Wissenschaftler in Haupt- und Nebenrollen fleißig mit und versorgten die zusammen mit ihnen agierenden Staatsschauspieler mit Argumenten, die nicht aus einer im System der Wissenschaft vorgenommenen Widerlegung von Hypothesen und Theorien gewonnen waren. Vielmehr hatten die besonders cleveren Wissenschaftler sehr schnell gelernt, wie man als Keilriemen der Politik die Wissenschaft zu einem System der Legitimationsbeschaffung politisch gewünschter Maßnahmen umbaut, die opponierenden Wissenschaftskollegen kaltstellt und dabei selbst zu einem von den Medien gehypten Star aufsteigt. Es brauchte dazu neben stählernen Ellenbogen im Grunde nur das Talent, unter Wissenschaftsniveau zu gehen und Politik und Medien das zu sagen, was sie hören wollten. Freilich mit dem Zusatz: daß das »die Wissenschaft« sage. Und schon klappte es mit dem Bundesverdienstkreuz.

Und mit dem Wort »Bundesverdienstkreuz« bin ich nun endlich bei meinem Thema: Was »die Wissenschaft« sich in den vergangenen drei Jahren an Unwissenschaftlichem geleistet hat, ging nicht nur deshalb durch, weil die Staatswissenschaftler alle anderen Wissenschaftler rüde zum Schweigen gebracht haben; es ging nicht nur durch, weil die Medien ihre Rolle als Aufklärer und die Gerichte ihre Rolle als Maßnahmenkontrolleure an den Haken gehängt haben; es ging eben auch deshalb durch, weil wir ein Wissenschaftsvorfeld haben, in dem die erfahrungslose, aber glaubensfreudige und nach Vorbildern verlangende Jugend auf eine Wissenschaft geprägt wird, die mit Wissenschaft beinahe nichts, viel aber mit dem Wunsch nach einfachen Erklärungen, Glauben an eine Autorität und dem Bedürfnis nach Helden zu tun hat.

Auftritt Mai Thi Nguyen-Kim, die mit bürgerlichem Namen längst eine Frau Leiendecker ist, es aber offenbar vorzieht, ihre öffentliche Person unter ihrem vietnamesischen Mädchennamen zu vermarkten. Und eine öffentliche Person ist sie: Seitdem sie als Doktorandin der Chemie ab dem Jahr 2014 in Science Slams und ab 2016 durch einen eigenen YouTube-Kanal populär wurde, ging es rasch voran mit ihrer Medienkarriere: Der von ihr bis zum April 2023 betriebene YouTube-Kanal wurde von funk und also indirekt von der ARD und dem ZDF produziert, die funk als öffentlich-rechtliches Medienportal mit den Zwangsbeiträgen der Rundfunkgebührenzahler unterhalten. Bei Terra X Lesch & Co, ein YouTube-Format des ZDF und seiner Sendereihe Terra X, mischte sie mit Unterbrechungen mit; ebenso natürlich bei der eigentlichen Terra-X-Sendereihe des Fernsehens.

Inzwischen steht Frau Leiendecker im Zenit ihres medialen Schaffens: Nachdem zwei bei Droemer Knaur veröffentlichte Sachbücher sie in die Spiegel-Bestsellerliste katapultiert hatten (2019 erreichte sie Platz zwei, 2021 Platz eins), moderiert sie seit dem Oktober 2021 im ZDF-Doku-Kanal ZDFneo eine eigene Wissenschaftsschau mit dem Namen MaiThink X – Die Show und ist auch sonst im Fernsehen als gerne gesehener Gast in Talkshows unterwegs. Da wir in Zeiten leben, in denen die medialen Mechanismen auch vor den Wissenschaftlern nicht mehr haltmachen und es einen fließenden Übergang von der guten alten Selbstinszenierung in der wissenschaftlichen »Community« zur Selbstvermarktung in den Medien und von dort zum wissenschaftlich-medialen Startum gibt, wundern wir uns nicht, daß das Ganze auch umgekehrt funktioniert und man als Star der Wissenschaftsmedien zum Wissenschaftsstar werden kann. Jedenfalls sitzt Frau Leiendecker seit dem Juni 2020 im Senat der Max-Planck-Gesellschaft und darf dort nicht nur den Präsidenten der Gesellschaft mitwählen, sondern auch über die Gründung oder Schließung von Instituten der Max-Planck-Gesellschaft und über die Berufung der Institutsdirektoren abstimmen. Und endlich übernahm sie im Wintersemester 2022/23 an der Universität Heidelberg eine Gastprofessur zur Wissenschaftskommunikation.

Man kann diesen Überblick über ein erfolgreiches wissenschaftskommunikatives Medienschaffen nicht beenden, ohne auf die 28 Preise hinzuweisen, die Frau Leiendecker inzwischen erhalten hat, darunter natürlich den Grimme-Online-Award (2018), den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis (2019) und den Grimme-Preis (2021). Und von der Seite der Wissenschaft blieben die Leibniz-Medaille der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (2021) und die Lorenz-Oken-Medaille der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (2022) nicht aus. Da wollte sich die Politik nicht lumpig fühlen und beehrte unseren Star 2020 mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland — zusammen mit Christian Drosten übrigens — und 2021 mit der Theodor-Heuss-Medaille, mit der die Theodor-Heuss-Stiftung bürgerschaftliche Initiative und Zivilcourage fördern will.

Wir nähern uns dem inneren Mechanismus, der dieser erstaunlichen Karriere zugrunde liegt, wenn wir zunächst darauf schauen, daß Mai Thi Nguyen-Kim als promovierte Chemikerin mit Migrationshintergrund früh schon nicht nur ein Händchen für die neuen Medien hatte und »Science Slams« und YouTube-Videos für sich zu nutzen wußte, sondern auch die nötige Portion Geltungsdrang mitbrachte, um dank ihrer telegenen Attraktivität mediale Reichweite zu generieren und darauf eine Karriere zu bauen. Der Doktortitel in Chemie war dabei die Fahrkarte für eine schnelle Fahrt vom kleinen YouTube-Kanal in die oberen Ränge der Wissenschaftsmagazine, die über das klassische Fernsehen und das Internet ihr Massenpublikum finden. Und zwar — und das ist das Entscheidende — vor allem das junge Massenpublikum.

Ihm präsentiert Frau Leiendecker Wissenschaft ganz zeitgemäß als Show, ab 2014 im Alterssegment der Twens und ab 2017 in dem der »Thirty Somethings« von Gleich zu Gleich plaudernd und vor allem — das kann sie seit ihrer Teilnahme an Science Slams sehr gut — die richtigen Pointen für die allzeit fälligen und vom Publikum erwarteten Lacher setzend. Wie sehr dabei die modern-mediale Wissenschaftskommunikation nicht nur zur Show werden kann, sondern von dort aus direkt in Comedy übergeht, zeigt sich an zwei Sachverhalten.

Zum einen daran, daß während der Elternzeit, die Frau Leiendecker nach der Geburt ihres zweiten Kindes seit dem Sommer 2023 eingelegt hat, die kommenden Folgen von MaiThink X unter anderem von der Stand-Up-Comedienne Hazel Brugger und dem Sportmoderator und vermeintlichen Comedian und Satiriker Oliver Welke präsentiert werden. Zum anderen zeigt sich der Übergang zur Comedy an der auf schrille Aufmerksamkeitseffekte zielenden Kooperation zwischen Mai Thi Nguyen-Kim und der an schwerer Katholophobie leidenden Carolin Kebekus.

So war Frau Leiendecker in der im Juni 2021 ausgestrahlten Folge der Carolin Kebekus Show (ohne Bindestriche im Original) in einem Video-Clip zu sehen, in dem sie als wissenschaftliches Supergirl (»Science Woman«) agieren durfte. Und umgekehrt war Kebekus in der MaiThink-X-Sendung vom 30. Oktober 2022 zu Gast, um zusammen mit Leiendecker einen Rap-Song zum besten zu geben, der offenbar als Stimmungsmache für die unter Druck geratene Pandemie-Regierungswissenschaft à la Drosten gedacht war, aber zu diesem Zweck nichts besseres zustande brachte als eine peinlich-schlichte Aneinanderreihung von Stereotypen, mit denen Querdenker, Globuli-Esser und Impfverweigerer einmal mehr der Lächerlichkeit preisgegeben werden sollten. (Ein härteres Urteil von Felix Perrefort findet sich hier.)

Das funktioniert im Sinne positiver Aufmerksamkeitsgenerierung natürlich nur, solange das öffentlich Dargebotene in jenem atmosphärischen Raum bleibt, in dem der von allen gemeinsam erzeugte Stallgeruch eben auch für intellektuelles Wohlbefinden sorgt. Man also das Publikum weder mit abweichenden Meinungen noch mit allzu komplizierten Wahrheiten schockiert, die von dem für wahr Gehaltenen abweichen. Man folglich und beispielsweise den menschengemachten Klimawandel für ein Faktum und die Kernenergie für zu gefährlich und zu teuer hält, woraus man schließt, daß Deutschland so rasch wie möglich eine klimaverträgliche Energiepolitik umsetzen müsse. Ganz so, wie wir das von »Fridays for Future« und den »Klimaklebern« kennen, die nicht nur von den Medien zu Weltrettern hochgeschrieben wurden, sondern längst schon in den »Scientists for Future« über eine akademische Hilfstruppe verfügen, die das in diesem intellektuellen Klimaraum für wahr Gehaltene mit dem Stempel der wissenschaftlichen Wahrheit versieht.

Weil Wahrheiten, vermeintliche oder echte, aber nur einen Wert haben, wenn sie publik gemacht und allgemein akzeptiert werden, müssen sie, um Wirkung zu entfalten, in den politischen Raum und zuletzt breit ins Volk zurückgespielt werden. Und hier kommen endlich Figuren wie der Fernsehmoderator, Comedian (wir bleiben in diesem Milieu) und Nebenberufsarzt Eckart von Hirschhausen ins Spiel, der zu den Gründungsmitgliedern von »Scientists for Future« gehört; und ins Spiel kommt Frau Leiendecker, die als Aktivistin für »Scientists for Future« und damit indirekt für »Fridays for Future« tätig ist.

Womit sich natürlich die Frage stellt, wie sich der FFF-Aktivismus von Frau Leiendecker und ihr Anspruch, Aufklärung über die Wissenschaft unters Volk zu bringen, zueinander verhalten. Versuchen wir, das Rätsel zu lösen, indem wir unsererseits über Frau Dr. Leiendeckers Anspruch auf wissenschaftliche Expertise aufklären. Schauen wir uns dazu zwei Videos an, die im Kontext der zurückliegenden Corona-Maßnahmenjahre besonders interessant sind.

Das erste Video stammt aus der maiLab-Reihe. Mit ihm kommentierte Frau Leiendecker den Start der »Impfkampagne« in Deutschland. Es trägt den Titel »So endet Corona« und wurde am 28. Januar 2021 ins Netz gestellt. Seither wurde es über drei Millionen mal aufgerufen und gehört damit zu den reichweitenstarken deutschen YouTube-Videos.

Das Video beginnt mit einer Erörterung der Herdenimmunität und der Frage, ab wann eine solche gegeben sei und die Pandemie als beendet gelten könne. Erstaunliche Beobachtung: Frau Leiendecker zieht das Thema vom längst berüchtigen »R-Wert« her auf, also von der Ansteckungshäufigkeit und wie diese unter den R-Wert von 1 gesenkt werden könne, um die Pandemie zu beenden. Und die Pointe: Der R-Wert und seine Senkung, sagt Frau Leiendecker, könne nicht alleine durch angemessene Schutzmaßnahmen gesenkt werden, sondern zur Beendigung der Pandemie brauche es auch die Impfung (ab Minute 6:00 des Videos).

Der aufgeklärte Laie, der das Video im Januar 2021 sah und vorher Dr. Franks Berichte zur Corona-Lage auf Achgut.com gelesen hatte, durfte sich verwundert die Augen reiben. Kein einziger Satz von Frau Leiendecker zu der Frage, ob eine Immunität der Bevölkerung durch Kreuzimmunität mit anderen Corona-Viren nicht längst vorlag und bei der »Schätzung« des R-Wertes und der Notwendigkeit einer Impfung hätte berücksichtigt werden müssen. Statt dessen ein völlig unvermittelter Übergang zur Impfung als Ausweg aus der Pandemie, weil es nur durch Impfung weniger schwere Verläufe, einen besseren Schutz der Risikogruppen und eine Entlastung der überlasteten Krankenhäuser gebe (ab Minute 6:50). Und dann die entscheidende Passage: Herdenimmunität, so Frau Leiendecker, gibt es nämlich nur durch die Impfung (Minute 6:55-7:35).

Und was erfährt das Leiendecker-Publikum nun zu ebendieser Impfung? Es erfährt dies: »Bisher wissen wir nur, daß die Impfung verhindert, daß man krank wird.« (Min 7:35) Ein Satz, der schon zum Zeitpunkt der Sendung des Videos im Januar 2021 falsch war, und das hätte Frau Leiendecker auch wissen können, wenn sie die Pfizer-Zulassungsstudie im Original gelesen und nicht einfach der Eigenwerbung von Pfizer und der Fremdwerbung des RKI vertraut hätte. Und natürlich hätte sie auch einen Blick in kritische Medien wie Achgut.com werfen können, um sich ein Urteil über den Wert der Impfung zu bilden.

Das aber hat sie offensichtlich nicht getan, denn ausweislich der dem Video mitgegebenen Liste von herangezogenen Quellen stützt sich Frau Leiendecker in ihren Ausführungen lediglich auf zwei wissenschaftliche Veröffentlichung, von denen die eine aus dem Jahr 2011 stammt und allgemein zur Frage der Herdenimmunität handelt, während die andere Veröffentlichung damals aktuell war (Januar 2021) und (oh Wunder) für eine Impfung votierte. Ansonsten rekurriert Frau Leidendecker auf Material des Robert-Koch-Instituts, auf eine Sendung des WDR-Wissenschaftsmagazins Quarks und auf ein Interview mit der Frankfurter Virologin Sandra Ciesek, das in das YouTube-Video von Leiendecker einmontiert wurde.

Nimmt man das alles zusammen, dann schrumpft die Botschaft, die Frau Leiendecker ihrem Publikum als wissenschaftlich abgesichert verkaufen will, auf den einfachen Kern, daß nur die Impfung aus der Pandemie herausführen könne. Und folglich beendet sie das Video auch mit den Sätzen (ab Minute 18:30): »Leute, es gab ja in der Geschichte der Menschheit noch nie ein Virus, das eine Pandemie in diesem globalen Maßstab ausgelöst hat, gegen das wir ’ne Impfung hatten. Dank der Impfung müssen wir ja eben nicht diese Pandemie überleben oder übersterben, sondern können uns wehren. Ich bin jedenfalls superdankbar für all die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die diesen Impfstoff möglich gemacht haben, damit wir uns eben nicht einfach mit diesem Virus abgeben müssen, und der uns Spritze für Spritze ganz langsam, aber Stück für Stück unseren normalen Alltag zurückgibt.«

Zur Frage der Impfstoffe hat Frau Leidendecker dann in einem zweiten Video, nämlich der am 24. Oktober 2021 ausgestrahlten ersten MaiThink-X-Sendung einiges ergänzt, was die bisher bereits sichtbar gewordene Tendenz zur Gewissheit macht: daß sie unter dem Deckmantel von Wissenschaft Folgsamkeit mit dem politischen und wissenschaftlichen Mainstream verkauft. Das beginnt schon mit der Anmoderation, in der sie in scheinbar ironischer Weise davon spricht, es sei Zeit »für einen knallharten wissenschaftlichen Konsens«, weshalb sie uns nun erkläre, warum Wissenschaft keine Demokratie sei (ab Minute 00:28). Nun ist es zwar richtig, daß Wissenschaft kein Fall von Abstimmungen über Wahrheiten ist; aber die Sache wird falsch, wenn man den Prozeß der Wahrheitsfindung, der seit der Aufklärung als Prozeß der offenen Debatte zwischen Wissenschaftlern, Dilettanten und Laien gedacht wird, zu einem Vorgang verzeichnet, bei dem so etwas wie selbstevidente Wahrheiten ins Auge des wissenschaftlichen Betrachters springen, der das von ihm auf geniale Weise Erkannte dem Publikum dann nur noch verkünden muß. Wenn man also statt auf eine vielstimmige Diskussion auf eine monologische Verkündigung aus Expertenmund setzt.

Das ist es aber, worauf Frau Leiendeckers Ansichten hinauslaufen. Denn sie erklärt, daß der Unterschied zwischen »quergedachten Außenseitertheorien und einer wissenschaftlichen Revolution« die Evidenz sei, die für das eine und gegen das andere spreche. Und sie bekräftigt: »Starke Evidenz schlägt schwache Evidenz.« Denn nicht eine Mehrheit beschließe, was die stärkste Evidenz sein soll, sondern die stärkste Evidenz versammle die Mehrheit hinter sich (Minute 22:00 bis 22:44).

»Evidenz« ist freilich ein schwieriger Begriff. Er schillert zwischen der Erhebung von Daten, die man durch empirische Beobachtung gewinnt, und der Charakterisierung solcher Daten und der aus ihnen abgeleiteten Schlußfolgerungen als irgendwie »selbstverständlich«. Wie Frau Leiendecker die Sache versteht, verrät sie uns nicht, aber man darf vermuten, daß sie als promovierte Chemikerin und angesichts des sicherlich auch ihr bekannten immer stärker werdenden Gewichts der »evidenzbasierten Medizin« — die den Einsatz von Medikamenten und Behandlungen an den empirischen, durch Studien gesicherten Nachweis ihrer Wirkung binden möchte — so etwas meint wie: »empirisch nachgewiesen« und, weil »empirisch nachgewiesen«, damit auch »sonnenklar«.

Demnach würde es genügen, daß viele unterschiedliche Studien, die auf der Basis einer sicheren Methodik zu gleichen oder wenigstens ähnlichen Resultaten kommen, sich zu einem konsistenten Bild zusammenfügen — und schon haben wir eine »Evidenz«, die keinen Zweifel mehr zuläßt. Und genau das sagt Frau Leiendecker (ab Minute 23:40). Daß sie das auch wirklich so verstanden wissen will, macht sie umgehend durch einen Blick auf die Theorie des Klimawandels klar: Wir Menschen, sagt sie (ab Minute 24:00), seien der Hauptgrund für den Klimawandel, da würde nach jahrzehntelanger Forschung alles zusammenpassen.

Spätestens hier kommt Leiendeckers Wissenschaftsschau ins Trudeln. Denn weder ist es so, daß beim Klimawandel »einfach alles zusammenpaßt«, um seine Entstehung durch zuviel CO2 und seine Verursachung durch den Menschen für »evident« zu halten. Noch ist es so, daß die von Leiendecker gezeigte Strukturformel für THC sichere Auskunft darüber gibt, daß das Molekül so aussieht und es darüber »nix zu diskutieren« gibt (ab Minute 14:00). Vielmehr ist es in beiden Fällen so, daß hier empirische Daten interpretiert und aus der Interpretation Schlußfolgerungen gezogen werden, die zu einem Handeln führen oder im Gegenteil ein Handeln vermeiden sollen.

Da Frau Leiendecker die Interpretationsbedürftigkeit von Daten und den darauf basierenden Studien aber überspringt, um statt dessen der reinen und offenbar einer Interpretation nicht bedürftigen Evidenz das Wort zu reden, weiß sie prompt zu den Corona-Impfstoffen nicht mehr zu sagen als dies: ihre Wirksamkeit und Sicherheit müsse durch »randomisierte, kontrollierte Studien« belegt werden, wie es bei allen zugelassenen Corona-Impfstoffen in klinischen Zulassungsstudien natürlich auch geschehen sei (ab Minute 18:30). Chlordioxid-Lösungen, sagt sie, seien hingegen nur von »Experten« (sie spricht das Wort in Anführungszeichen) empfohlen worden, die auch dann, wenn sie einen Professoren- oder Doktortitel tragen, keine Experten seien, selbst dann nicht, wenn sie für den Wirksamkeitsnachweis von Chlordioxid auf Studien verweisen können. Denn, und das ist die Pointe, die Frau Leiendecker machen möchte, es komme dabei immer auf das Studiendesign an (Minute 18:50 bis 20:50).

Es ist allerdings eine Pointe, die Frau Leiendecker auf die Füße fällt. Denn wer zwanzig positiv auf das Corona-Virus getesteten Personen Chlordioxid verabreicht und nach einem Monat feststellt, daß die Corona-Tests wieder negativ und folglich alle zwanzig Personen wieder gesund sind (das Beispiel bringt Leiendecker genau so), verhält sich nicht anders als Pfizer in seiner Zulassungsstudie, wo man durch einen äußerst kurzen Beobachtungszeitraum dafür sorgte, daß das Gros der negativen Effekte der Injektionen von der Studie gar nicht erfaßt werden konnte, weil es erst nach Abschluß der Studie auftrat. Davon will Frau Leiendecker freilich nichts wissen. Und das heißt leider: Sie ist an einem wirklichen Wissen gar nicht interessiert, auch wenn sie ihrem Publikum immer wieder sagt, sie wolle es zum Selbstdenken animieren. Was sie faktisch tut, ist die ausschnittsweise Präsentation einer komplexen Wirklichkeit, wobei die Ausschnitte stets so gewählt werden, daß sie am Nutzen der Impfung keine Zweifel aufkommen lassen, während alle anderen Meinungen zur Impfung als querdenkerische Ansichten von Anführungszeichenexperten gelten und also als Geschwurbel (sie nennt das Wort nicht, aber meint es) abgehakt werden können.

Am Ende schließlich kollabiert das ganze Konstrukt, das Frau Leiendecker ihrem Publikum so unterhaltsam wie falsch andient. Am Ende sagt sie nämlich: »Fakt: Noch nie gab es Impfstoffe, deren Sicherheit und Nebenwirkungen nach der Zulassung so sorgfältig beobachtet wurden wie die Corona-Impfstoffe.« (Minute 25:30) Sollte ihr wirklich entgangen sein, daß bislang die Sicherheit und Wirksamkeit von Impfstoffen stets vor der Zulassung geprüft wurde, und zwar aus gutem Grund in über viele Jahre laufenden Studien? Sollte sie wirklich nicht bemerkt haben, daß ihre Ausführungen, wonach die millionenfache Verimpfung experimenteller und genetisch aktiver Substanzen eine »nie dagewesene statistische Power« schaffe, »um sogar sehr seltene Nebenwirkungen überhaupt erst zu bemerken«, einfach zynisch sind? Denn was sie hier in ihren Formulierungen verhüllt, heißt doch nichts anderes als dies: daß die Abermillionen von Menschen, die sich die Injektionen setzen ließen, zu Laborratten von Pfizer & Co. degradiert wurden und nun anstatt mit seltenen Nebenwirkungen mit einer noch nie dagewesenen Häufung von Impfschäden und einer viel zu großen Zahl von Post-Vac-Todesfällen leben müssen.

Sollte sie das alles nicht bemerkt haben und wirklich nicht wissen? Dann sollte sie auch keine Sendung moderieren, die dem Publikum wissenschaftliche Aufklärung verspricht. Sollte sie es aber wissen und ihrem Publikum verschweigen, ist sie erst recht nicht geeignet, über Wissenschaft und Wahrheit öffentlich vorzutragen.


Der Beitrag erschien zuerst am 15. August 2023 auf Achgut.com unter dem redaktionellen Titel »Die institutionalisierte Corona-Karrieristin«. Er ist hier um einen kleinen Lapsus korrigiert und auf die klassische deutsche Orthographie umgestellt.

Ansonsten bleibt mir nur, den 154 Lesern zu danken, die sich die Zeit genommen haben, um den bei Achgut.com erschienenen Artikel zu kommentieren.