σύνταξις | XI | syntaxis

Geschrieben von Uwe Jochum am 26.3.2024

Vom selben Autor:


Habeck, der Formlose


Uwe Jochum

Wissenschaftlicher Bibliothekar

»Ich für meinen Teil habe Feministinnen immer für liebenswerte und prinzipiell harmlose Idiotinnen gehalten, die ihr entwaffnender Mangel an Hellsichtigkeit leider gefährlich gemacht hat. […] Die Naivität der armen Mädels ging so weit, dass sie glaubten, die Lesbenliebe — eine praktisch von allen aktiven Heterosexuellen geschätzte erotische Würze — sei eine gefährliche Infragestellung der Männermacht. Das Traurigste an der Sache aber ist, dass sie einen unverständlichen Appetit für Berufsleben und Unternehmenskultur an den Tag legten. Die Männer, die seit langem wussten, was es mit der von der Arbeit offerierten ›Freiheit‹ und ›Selbstverwirklichung‹ auf sich hat, grinsten nur milde.«
(Michel Houellebecq: »Die Menschheit, Phase 2«, in: ders.: Interventionen 1992–2020. Essays. Köln: DuMont, 2022, S.132–139, hier S. 132.)

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Was geschähe wohl, wenn Heidegger noch lebte und in eine Talkshow zu Sarah Bosetti eingeladen würde?

In der alten Welt der frühen Bundesrepublik hätte sie versucht, kluge Fragen zu stellen, und Heidegger hätte versucht, kluge Antworten zu geben. Dabei wäre die Rangfolge klar gewesen: Heidegger ist der Denker, der über sein Denken Auskunft gibt, und die Rolle Bosettis hätte darin bestanden, ihn durch angemessene Fragen zum Denken und Sprechen zu bringen.

In der neuen Welt der postdemokratischen Bundesrepublik, in der es keine roten Linien mehr gibt, gibt es auch keine Hierarchien des Gedachten und des Denkens mehr, so daß folglich jeder Unsinn, wenn er nur frech daherkommt, dieselbe Aufmerksamkeit erfährt wie das von langher Gedachte und mühsam zur Sprache Gebrachte.

In dieser neuen Welt würde Bosetti mit Heidegger machen, was sie immer macht und einzig nur kann: Sie würde moralisierende Fragen stellen, die auf einen Lacheffekt zielen (bestenfalls), bei dem zuletzt sie als Fragende immer gut dasteht, während der Antwortende den Esel zu geben hat, der durch weitere dumme und lachhafte Fragen gedroschen wird. Heraus kommt dabei natürlich nur leeres Stroh, aber Bosetti stellt sich auf diesen immer höher werdenden Strohhaufen stets obenauf, bis sie scheinbar alle überragt. Heidegger würde in solchen Verhältnissen verdutzt auf dem Stuhl sitzenbleiben und verwundert nach oben zur Spitze des Strohhaufens schauen. Er sähe dort aber keine überragende Person, sondern zuletzt nur eine Henne, die auf dem Mist kräht.

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Daß auch Schönheit jetzt kein Fall mehr von Ästhetik ist, sondern von woker Grundhaltung, zeigte sich angesichts der diesjährigen Wahl der »Miss Germany«. Wer sich einen Überblick über die zur Auswahl gestanden habenden Frauen verschaffen will, kann das unter der Webadresse https://missgermany.com/awards/teilnehmerinnen/ leicht tun. Sportlich gesprochen müßte man sagen: Es gingen hier ganz unterschiedliche Alters- und Gewichtsklassen an den Start, und bei der Frage der Herkunft, die bei einer Miss Germany ja doch irgendwie eindeutig beantwortbar sein sollte, ging es zu wie seit langem schon bei jeder Nationalmannschaft: Was sich unter der Flagge einer Nation versammelt, muß keineswegs irgendwelchen Nationalkriterien genügen, jedenfalls keinen strengen. Kurzum: Die Sache muß ganz offensichtlich möglichst »bunt« sein.

So war es nun auch bei der Wahl der »Miss Germany«. Denn die Wahl fiel dieses Jahr auf eine Dame namens Apameh Schönauer, die im Namen schon eine maximale Buntheit zum Ausdruck bringt: Der Vorname ist persisch und weist auf ihre Geburt in Teheran hin, der Nachname ist ziemlich deutsch und weist auf ihr Verheiratetsein mit einem Deutschen hin. Und weil das heutigentags natürlich nicht genügt, versichert Frau Schönauer, sie habe eine Mission, nämlich die, »junge Frauen zu ermutigen, die beste Version ihrer selbst zu werden, Selbstbewusstsein zu entwickeln und groß zu denken.«

Es wird Frau Schönauer sicherlich sehr gut getan haben, daß ihr Selbstbewußtsein durch ihre Wahl zur »Miss Germany« maximal befriedigt werden konnte. Selbstbewußtseinskränkend scheint hingegen gewirkt zu haben, daß diese Wahl keineswegs auf einhelliges Wohlgefallen stieß. Das hängt natürlich mit der in ästhetischen Dingen nur schwer zu beantwortenden Frage zusammen, wer denn nun »die schönste im ganzen Land« sei. Aber es hängt im Falle von Frau Schönauer auch mit ihrer Vision zusammen. Diese liegt ganz offenkundig nicht mehr auf dem Feld der Ästhetik, sondern nebenan auf dem Feld der Politik, auch wenn Frau Schönauer der Meinung ist, diese beiden Felder mit einem Hinweis auf die »innere Schönheit«, die in der Übernahme von Verantwortung liege, übergrätschen zu können. Das mißlang natürlich, so daß die Gewinnerin damit konfrontiert war, daß ihre äußere und innere Schönheit durchaus bezweifelt wurden und sie sich folglich ins unschöne Gebiet der Politik katapultiert fand, in dem es in diesen spätbundesdeutsch-woken Zeiten aufschäumend konflikthaft zugeht. Sagen wir mal so: »Das Netz« tobte.

Da Frau Schönauer aber eine Mission hat und diese in einer Stärkung des Selbstbewußseins junger Frauen bestehen soll (siehe oben), trat vor Schönauer selbstbewußt vor die Presse, also vor TikTok, um der Öffentlichkeit mitzuteilen, daß sie seit ihrer Wahl mit »Haß und Neid und Rassismus« konfrontiert wurde. Die Reaktionen darauf waren natürlich vorhersehbar: Das kleine politische Erdbeben, das Schönauers Wahl ausgelöst hatte, klang keineswegs ab, sondern ging einfach weiter, mit denen, die sich als Schwestern in Apamehs Geist und angesichts eines wohl vergleichbaren »Migrationshintergrundes« auf die Seite der Gewinnerin schlugen, und jenen, die Zweifel am Sinn der woken Buntheit hatten, woraufhin die Allerwokesten natürlich so etwas wie »Ariertum« witterten. Als es dann auch noch Korruptionsvorwürfe gab, ging der schäumende digitale Kochtopf endlich über.

Was daran festzuhalten bleibt? Wenig und viel zugleich: daß immer, wenn Ideologen sich anschicken, ganze Gesellschaften zu übernehmen, es keinen Bereich geben darf, der ungeschoren davonkommt. Denn die Ideologie löst die Zusammengehörigkeit des Wahren, Schönen und Guten auf, um die Welt ausgehend von dem von ihr alleine als wahr Erkannten umzuinterpretieren und umzugestalten, mit dem auf ermüdende Weise immer wiederkehrenden Resultat, daß es dann bald kein Gutes und kein Schönes mehr gibt. Und so eben auch hier: Daß Frau Schönauer den Schönheitswettbewerb gewonnen hat, mag für sie ganz schön sein; für Deutschland ist es ganz und gar nicht schön. Und weil es ganz und gar nicht schön ist, ist das Resultat dieser Wahl und die öffentlichen Reaktionen darauf ein Zeichen dafür, daß wir das Wahre und das Gute verfehlt haben und daher als Blinde durch unsere Geschichte irren.

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»Indem nun die öffentliche Sprache fast aller Sender und Zeitungen dieser Welthälfte auf dieselben Begriffe einschwenken, zieht sich die Wirklichkeit in den Schatten zurück, sie kann dem Gesetz nicht entgehen, daß jede Bestimmtheit Verneinungen enthält.«
(Arnold Gehlen: Moral und Hypermoral, Wiesbaden 1986, S. 147.)