Gedrucktes Kopfkino

Geschrieben von Uwe Jochum am 27.7.2024

Vom selben Autor:


Phrase und Realität

Anmerkungen zu Solingen


Uwe Jochum

Wissenschaftlicher Bibliothekar

Auch interessant:


Aufheben

Teil 2 — Alles muß raus! Von Büchern auf Flohmärkten


Aufheben

Teil 1 — Müll? Von Büchern auf der Straße

Die woken Freunde der Medientransformation — also der Transformation des guten alten Buches zu irgendwas Digitalem auf Smartphone, Tablet, Laptop und so weiter — reden nun schon seit dem zunächst mit dem Fernsehen und dann mit dem Computer geführten Angriff der Bilder auf die Texte davon, daß es mit den Papiermedien bald vorbei sein werde. Ich habe in den vergangenen rund zwanzig Jahren ein ums andere Mal aus berufenem und unberufenem Mund gehört, daß »in fünf Jahren« die Zeitung auf Papier, die Zeitschriften auf Papier, die Bücher auf Papier und sicherlich bald auch das Klopapier auf Papier ausgestorben sein werden. Aber, wie immer so auch hier: Die Totgesagten leben länger. Sie sind alle noch da.

Sicherlich: Es gibt unterschiedliche Grade der Munterkeit. Einige der papiermedialen Zeitungen sehen inzwischen in der Tat ziemlich grau und faltig und hinfällig aus. Aber wenn nicht alles trügt, liegt das nicht daran, daß diese hinfälligen Medien in einem hinfälligen Medium produziert werden, sondern daran, daß sie vor einigen Jahren woke abgebogen sind und daher Tag für Tag einen Zeitgeist beschwören, vor dem ihre Leser in Scharen davonlaufen. Mal im Ernst: Wer heute noch alle Tassen im Schrank hat, liest nicht mehr den Spiegel, nicht mehr die Süddeutsche, nicht mehr die Frankfurter Allgemeine, nicht mehr Die Zeit — und wie sie alle heißen, die mit einem schnell verjüngten Stab von Mitarbeiter*innen Texte produzieren, die in ihrer langweiligen Phrasenhaftigkeit und analytischen Unterbelichtetheit dem denkenden Zeitgenossen Anathema sind.

Wer hingegen die Tassen noch im Schrank hat, hat längst eine alternative Papierzeitschrift abonniert vom Typ Lettre oder Tumult oder Sezession, in der er mit — obacht! — Gedanken konfrontiert wird, die er vielleicht schonmal hatte, die nun aber tiefenausgelotet werden, oder die er noch nicht hatte und nun dankbar zum selberdenkenden Weiterdenken in Empfang nimmt. Oder er ist in seiner Not tatsächlich medial aufs Digitale ausgewichen, um dort erstaunt alles das zu finden, was er in den oben genannten ehemaligen Qualitätszeitungen schon lange nicht mehr findet: schnellen Kontakt zur Wirklichkeit »da draußen«, schnelle Analysen, manchmal richtig gut, manchmal zu schnell, aber immerhin Analysen. Und da gibt es dann ein schönes Pingpong zwischen den gedruckten und den digitalen Ausgaben der neu aufgekommenen Analysemedien, d.h. man kann Tichys Einblick, Sezession oder Tumult in digitalem und papierenem Gewandt lesen, und diese Gewänder sind nicht einfach modisch gefärbte Einkleidungen desselben Inhalts, sondern Ergänzungen in beide Richtungen: vom Papier zum Digitalen, vom Digitalen zum Papier. Unter einem Namen darf man also zwei Mediensträngen folgen und sich bereichert fühlen.

Mit anderen Worten: Statt eines einfachen Absterbeprozesses eines alten zugunsten eines neuen Mediums haben wir eine mediale Komplexitätszunahme, die zu einer Koextistenz von Papier und Digitalem geführt hat. Vorausgesetzt freilich, die Qualität stimmt. Stimmt sie nicht, ist es völlig egal, ob das qualitätslose Geschreibsel auf Papier gedruckt oder in die digitalen Weiten des Internet gepustet wird: Es wird nicht gelesen, die Klickzahlen sinken und die Auflagen der Papierausgaben ebenso.

Und das gilt nicht nur für die schnellen Medien vom Typ Zeitung oder Zeitschrift. Es gilt auch für das Buch, sei es das belletristische Buch oder das Sachbuch. Der E-Buch-Absatz stagniert praktisch seit Jahren, und lediglich die »Corona-Maßnahmen« haben dafür gesorgt, daß der Umsatzanteil des E-Buchs am Gesamtumsatz mit Büchern von fünf auf sechs Prozent gesprungen ist. War der E-Buch-Absatz aber vor »Corona« im Fünf-Prozent-Turm gefangen, so ist er es seit »Corona« im Sechs-Prozent-Turm, wie man dem vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels publizierten Marktbericht für das Jahr 2023 entnehmen kann. Das Ganze übrigens verbunden mit einem Rückgang der Käuferzahl für E-Bücher. Der Höhepunkt dafür, also der Käuferhöhepunkt, lag im Jahr 2014, als immerhin beinahe vier Prozent der Buchkäufer ein E-Buch kauften. Heuer, 2023, sind es nur noch drei Prozent. Mit anderen Worten: Diejenigen, die überhaupt ein E-Buch kaufen, und das ist ein verschwindend kleiner Teil der Buch-Leser, kaufen heutzutage etwas mehr davon als früher. Ein medialer Trend hin zum Digitalen sieht freilich anders aus.

Das haben die Verlage inzwischen begriffen. Natürlich mit Ausnahme der Wissenschaftsverlage, die durch die unsinnige »Open-Access«-Politik der Wissenschaftsministerien und der politikabhängigen Fördervereine vom Typ der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder der Max-Planck-Gesellschaft unsinnig viel Geld in digitale Zeitschriften und Wissenschaftsbücher stecken. Bei den Zeitschriften ist das ja noch sinnvoll, wenn es um schnellen Umschlag von Ideen und Resultaten geht, die irgendwer irgendwo verwerten will. Bei den Wissenschaftsbüchern ist es um so unsinniger, je mehr diese tatsächlich eine wissenschaftliche Reflexion leisten wollen und dafür Zeit, nämlich Lese- und Denkzeit, benötigen. Mit dieser Ausnahme also haben die Verlage, die das Publikum bedienen, sei es mit Belletristik sei es mit lesbaren Sachbüchern, verstanden, daß das E-Buch eine Lizenz an den Zeitgeist ist, aber kein Geld einträgt. Geld wird im Buchmarkt wie eh und je mit dem gedruckten Buch verdient.

Und weil man über alles viele Worte schreiben kann, auch über diese Medienverwerfungen und Marktprozesse, weil aber das Bild eine wunderbare Stütze der Wörter sein kann und mancheiner durchs Bild erst versteht, was er als Gedrucktes partout nicht glauben mag, kommt hier ein Hinweis auf die beste Werbung, die ich zum Thema der angemessenen und schicken und zeitgeistigen und »coolen« Präsentation von gedrucktem Papier kenne. Es ist ein Spot für die Heftreihe »Perry Rhodan«,die seit mehr als sechzig Jahren Woche für Woche all jene, die vom Kopfkino mehr als vom Hollywood-Kino halten, in die Zukunft entführt.

Den Werbespot gibt es hier:

https://perry-rhodan.net/sites/default/files/videos/original/pr2800_besser_als_hd_0.mp4

1,5 Milliarden verkaufte Papierhefte weltweit, und das mit Stand des Jahres 2009 (laut Wikipedia) — das ist ein Wort.