σύνταξις | XV | syntaxis

Geschrieben von Uwe Jochum am 2.8.2024

Vom selben Autor:


Das Recht der Ungeborenen


Uwe Jochum

Wissenschaftlicher Bibliothekar

Die Corona-Krisenzeit hat gezeigt, wie sehr der Medizinbetrieb in seiner Allianz mit der pharmazeutischen Industrie dabei ist, mit der Politik sich zu verbünden und Macht zu generieren. Unbegrenzte Macht. Denn das Leben des Menschen, das jetzt alles ist, weil es ein Danach nicht mehr geben soll, ist ein so hohes Gut, daß diejenigen, die sich um dieses Gut kümmern, die höchste Macht beanspruchen dürfen. Sie sind jetzt die Lebenserhalter, die über allen anderen schweben und ihnen Vorschriften machen dürfen.

Die Bedingung dafür ist, daß die Menschen Angst vor dem Sterben und vor dem Tod haben. Die Gesundheitsverwalter sind daher, genau besehen, Todesengel: Sie versprechen, den Tod hinauszuzögern — und die ganz Irren unter ihnen versprechen, den Tod zu beseitigen —, indem das Leben der Menschen der absoluten Todesvermeidung unterworfen wird, die man an die Todesengel delegiert hat. Das Ergebnis kennen wir alle: Es ist eine untote Gesellschaft der »Lockdowns«, also der Ausgangssperren und des Wegschließens von Menschen, weil sie alle potentielle Virentäger und also Menschentöter sind. Der von den medizinischen und politischen Todesengeln weggeschlossene Mensch kann darauf hoffen, in der Katakombe seiner Wohnung noch ein wenig seines Lebens fristen zu dürfen, freilich unter der Bedingung, daß er der Dauerüberwachung der Todesengel unterliegt, die ihn beim geringsten Anzeichen einer »Infektion« aus der Wohn-Katakombe herausholen und in eine Krankenhauskatakombe überweisen lassen, wo er unter noch strengerer Isolierung auf sein Ende warten darf.

Zu sagen hat er bei alldem nichts mehr. Er ist nur noch Objekt der Kümmerer in weißem Kittel, die in den Medien mit ihren Engelsflügeln schlagen, in Wahrheit aber hinken und nach Macht schwefeln. In den Worten von Ivan Illich (Nemesis der Medizin, S.72, Anm. 196):

»Wer in einer Notsituation erfolgreich Macht beansprucht, suspendiert und zerstört möglicherweise das rationale Urteil. Das Beharren des Arztes auf die ihm eigene Fähigkeit, individuelle Krisen zu beurteilen und zu lösen, bringt ihn symbolisch in die Nachbarschaft des Weißen Hauses.«

Zu korrigieren ist dabei nur dies: Erstens, das Wort »möglicherweise« können wir nach den Corona-Wahnjahren getrost streichen. Zweitens, die Corona-Wahnjahre haben gezeigt, daß das, was vom individuellen Patienten und seinem Arzt gilt, auch für die ganze Gesellschaft und ihre Ärzte gilt. Figuren wie Drosten oder Lauterbach haben vor aller Augen geführt (für die, die Augen hatten), daß man sehr gut zwischen Klinik und Kanzleramt sitzen und nach Bedarf die Rolle zwischen Arzt und Politiker wechseln kann. Denn es ist im Grunde längst die gleiche Rolle: Die Rolle des entmündigenden Todesengels, der vorgibt, das Leben verwaltend optimieren zu können und genau dadurch das Leben zum Grab macht.

ξ

Das schmutzige Geheimnis hinter dem staatlichen Katakombenbetrieb lautet »Ineffizienz«. In den Worten Illichs: »Die Ausrichtung aller Institutionen auf die ›Krise‹ rechtfertigt die monströse Verklärung ganz gewöhnlicher Ineffizienz.« (Nemesis der Medizin, S.72)

ξ

»Die technische Inszenierung einer Öko-Religion wäre eine Karikatur der traditionelen Hybris.« (Nemesis der Medizin, S. 195)

ξ

Illich meint damit, daß jedes technische System einen Punkt erreicht, an dem es das Gegenteil dessen bewirkt, wozu es eingerichtet wurde. Es wird kontraproduktiv. Es wird zu seinem eigenen Antagonisten.

Die Grüne Ökoreligion unserer Tage zeigt das in nuce. Eigentlich sollte es um Naturschutz gehen, also die Bewahrung von Habitaten, die von den ausufernden Industrialisierungsprozessen bedroht waren, so daß die Lebensqualität von Tier und Mensch beeinträchtigt wurde. Der Klassiker des Naturschutzes war zunächst der Wald, dem, wie man meinte, vom »sauren Regen« arg zugesetzt wurde, während zur selben Zeit der Städter unter einer zunehmenden Luftverschmutzung litt, die bei Tieren und Menschen Krankheiten verursachte, die es ohne diese Verschmutzung nicht gegeben hätte. Das Problem wurde gelöst durch bessere Luftfilter in Autos und Fabrikschornsteinen und überall sonst, wo verschmutzte Abgase in die Umwelt gelangten. Auf dieser Ebene hat man also durch besseren Einsatz von Technik eine reale Verbesserung erreicht.

Übersteigt man nun aber diese konkrete Ebene und meint, man wisse, wie sehr das Gesamtsystem der Natur durch das Gesamtsystem der Technik gestört sei, und meint man obendrein, daß man diese Gesamtstörung durch eine bessere Technik beheben könne — ist man auf dem technokratischen Holzweg. Man tauscht dann — oder versucht es wenigstens — ein technisches Gesamtsystem gegen ein anderes aus, ohne wirklich angeben zu können, was die Vorteile dieses Gesamtaustauschs sein könnten. Man kennt ja vom bestehenden System nur die Teilprobleme, die man durch Teillösungen zu bearbeiten suchte, so daß man auch nur die erfolgreichen und die scheiternden Teillösungen kannte. Vom zukünftigen System kann man beides gar nicht kennen, also weder sagen, welche Probleme es lösen, noch an welchen Problemen es scheitern wird. Mit anderen Worten: Die Totaltransformation der technischen Systeme ist auf nichts als den Glauben gebaut, daß das neue System dem bestehenden überlegen sein werde.

Die Statistiken und Modellrechnungen, die man anführt, um diesen Glauben zu belegen, sind nicht zu verwechseln mit Einsichten in die Empirie der Verhältnisse. Es sind Abstraktionen des Bestehenden und Projektionen in die Zukunft, von denen man nicht wissen kann, wie weit sie mit der zukünftigen Realität übereinstimmen werden. Es sind Kaffeesatz-Lesungen, Wunsch-Projektionen, Hoffnungsschimmer. Es sind in Zahlen gefaßte Gesänge von Sehern, die in weißem Arztkittel, mit der Brille der vermeintlichen Vernunft auf der Nase und mit einem pompösen Arsenal von Ehrentiteln daherkommen und dem Publikum mit der Magie der Zahlen begegnen. Auf magischem Weg soll das Publikum zu einer völlig neuen und problemlosen Zukunft bekehrt werden, einer Zukunft, die dem guten alten Himmel gleicht mit seinem blauen Firmament, seinen weißen Schäfchenwolken und dem klaren Wasser aus der Quelle des Lebens.

Das alles ist Lug und Trug im bunten und jetzt auch woken Flickenmantel der Wissenschaft, unter dem der Scharlatan hervorlugt. Indem er sich meistbietend an die Medien und an irgendwelche Forschungsförderorganisationen verkauft, verkauft er dem Publikum ein technisches Heil, das es noch niemals gab und niemals geben wird, das aber das reale Unheil vermehrt. Während also so getan wird, als würde die Öko-Religion die Natur an einem konkreten Ort und zu einer konkreten Zeit und unter konkreten Umständen vor zu viel und zu falscher Technik schützen, verkehrt sie sich unter dem Deckmantel des global Klimaschutzes in ihr Gegenteil und macht aus den Gegenden, die bisher noch nicht oder kaum technisiert waren, vollkommene Industrielandschaften. Die über die Weizenfelder gebauten Photovoltaikanlagen werden zu Produktionsstätten von »Öko-Strom«, die Tiefen der Wälder zu Fanggebieten von Wind, der durch gigantische, laute und häßliche Windmaschinen in »Öko-Strom« verwandelt wird, und in den Städten transformiert man die alten, vom letzten Krieg noch nicht zerstörten Häuser mit ihren Erkern und ihrem Fachwerk zu photovoltaischen Paneelflächen mit plastikgeschützter Isolationsfassade zu demselben magischen Zweck: »Öko-Strom« zu erzeugen. »Öko-Strom«, »Öko-Strom«, »Öko-Strom« — das ist das Mantra einer zivilreligiösen Bewegung, die die Technik kritisiert, weil sie an mehr und andere Technik glaubt, an eine globale und apokalyptische Technikwende, die ein für allemal der Technik ihr Übel austreibt, um sie als übelfrei-leuchtende göttliche, weil die Natur erlösende Technik zu rekonfigurieren.

Wer wissen will, was die grünen Technikscharlatane und Öko-Prieser real erreicht haben und wohin die Reise real gehen wird, wenn man diese hinkenden Gestalten weiter gewähren läßt, der besuche eine der Gegenden Deutschlands, in denen sich der Öko-Wahn in Form von »Windfarmen« und Photovoltaikfeldern bereits materialisiert hat. Wer das sieht und dann immer noch meint, es werde damit alles gut, muß von jenem schlichten Geisteszuschnitt sein, der seine fernen Verwandten einst glauben ließ, man müsse nur die Juden und Hexen verbrennen, damit die Dorfbrunnen wieder sauber und die Stadtluft wieder rein sei.