Yuval Noah Harari ist der Vorzeigehistoriker und -philosoph des World Economic Forum. Der Wikipedia verdanken wir die Erkenntnis, daß er schwul, ein kämpferischer Veganer und Firmeninhaber ist, wobei der Schwerpunkt seiner Firmenaktivitäten darauf liegt, sich selbst als Autor und Denker möglichst weltweit zu vermarkten. Seinen Erfolg bewältigt Harari mit zwei Stunden täglicher Meditation. Und Erfolg hat er: Seine Bücher verkaufen sich wie geschnitten Frischbrot, und es dürfte keine halbwegs populäre Talkshow geben haben, in der er nicht öffentlich gedacht hat, was er sich eben so denkt.
Nun hat er es wieder getan, oder besser: es wurde ihm angetan, und zwar von der Tageszeitung »Die Welt«, die ihn am 18. Oktober 2024 zu einem Interview heimsuchte. Das Interview war ein Zeitgeist-Potpourri, also ein kurzer Abriß von gerade anstehenden Themen, bewältigt mittels Gemeinplätzen, die ins direkte Framing umschlugen — und zwar unter lauter Anklage der Falschinformationen, die in den »sozialen Medien« um sich griffen.
Schauen wir uns das einmal an.
Daß wir derzeit einen Abbau von Ordnung erleben — von staatlicher, wirtschaftlicher und zivilisatorische Ordnung des Benehmens und so weiter —, ist nicht von der Hand zu weisen. Und daß die digitalen Techniken durch ihre zerstörerischen Potentiale zu diesem Ordnungsabbau beitragen, gehört inzwischen zu den Alltagserfahrungen: die Bahn wird digital, fährt aber nicht mehr pünktlich; Banken breiten sich im Internet aus und schließen ihre Filialen, in denen es kein Bargeld mehr gibt; die KI zaubert uns schöne neue Städte vor die Augen, während die realen Städte verdrecken. Die von Harari diagnostizierte Zerstörung der überkommenen Ordnung ist also real.
Die Frage lautet allerdings, warum das so ist: Ist die Zerstörung eine Folge der Eigenlogik der Digitalmedien? Oder sind es irgendwelche Akteure, die im Hintergrund ihr zerstörerisches Ding durchziehen und uns zu Opfern ihrer Interessen machen? Man weiß es nicht, jedenfalls weiß man es nicht von Harari. Der geht in seiner Benennung der Ordnungszerstörungen vielmehr gleich zum Ukrainekrieg über und heißt Putin einen Bösewicht, der die internationale Ordnung gebrochen habe:
Zwei Dinge fallen hier sofort ins Auge. Erstens, daß Harari meint, Rußland unter Putin sei der Tabubrecher der internationalen Friedensordnung. Das ist so falsch wie es nur sein kann. Vergessen hat unser Denker hier den völkerrechtlich ungedeckten Angriff der USA und ihrer Verbündeten auf den Irak im Jahre 2003, vergessen hat er den völkerrechtlich ebenso ungedeckten Eingriff der USA bzw. der NATO in den Jugoslawienkrieg 1994, und vergessen hat er insgesamt die lange Liste US-amerikanischer militärischer Eingriffe in allen möglichen Ländern, die von der jeweiligen US-Regierung als politisch geboten durchgezogen wurden. Die Opfer dieser Aktionen gehen in die Millionen.
Zweitens aber endet seine Einlassung zum Ukrainekrieg mit der durch keinerlei Indizien gestützten Ansicht, Rußland wolle die Ukraine zerstören und, wehret den Anfängen!, nach der Ukraine einfach mit anderen Ländern weitermachen. Das ist nichts weiter als ein Weiterspinnen dessen, was die westlichen Zeitgeistmedien nun seit Jahren in die Köpfe der Menschen zu drücken versuchen. Es ist eine fixe Idee, lanciert von kriegsinteressierten Kreisen und cholerischen Hofreiters und stahlfrisurigen Strack-Zimmermanns, die mit ihrem Geschrei um mediale Aufmerksamkeit buhlen und auf dem Aufmerksamkeitsfahrschein ins Europaparlament einfahren. Mehr ist es nicht. Es ist, mit einem Wort: Framing. Und das nicht einmal auf hohem Niveau.
Natürlich muß Harari sein Framing weiterframen, um zu verdecken, daß er framt. Also will er Putins angeblichen Tabubruch in einen allgemeinen Tabubruchprozeß eingebaut wissen, der mit dem Brexit und Donald Trump zusammenhänge, mit denen die Zerstörung der »liberalen Weltordnung« begonnen habe:
Wir sollen daraus lernen: Wer »liberale Ordnungen« abbaut, ist ein »Schulrabauke«. Er muß, wie jeder Rabauke, nur ordentlich verprügelt werden, dann wird er schon aufhören mit seinem Rabaukentum. Also: Schlagt die Schläger, bevor sie euch schlagen! Das ist die Harari-Lehre, die er uns anvertraut.
Es ist eine schlechte Lehre. Sie verkennt die Kette von Ereignissen und Entscheidungen, die zu einem kriegsauslösenden Moment geführt haben, ohne daß dabei aus der la main gesagt werden könnte, wer denn der Übeltäter sei: Rußland, als es vom verdeckten Krieg in der Ukraine zum offenen Krieg überging? Die Ukraine, deren Regierung die Föderalisierung des Landes verweigerte und die russische Minderheit im Donbas unter Druck setzte, auch militärisch? Die russischen paramilitätischen Verbände im Osten der Ukraine, die die eigenen Leute zu schützen versuchten? Die Europäische Union, die mit den Minsker Abkommen nach außen hin zu befrieden versuchte, hinter den Kulissen aber die Aufrüstung der Ukraine betrieb? Die USA, die an die Bodenschätze in der Ukraine heranwollten und -wollen und die Ukraine als Hebel für den erstrebten Niedergang Rußlands einsetzen? Keine dieser Fragen deutet auf einen »Rabauken«, alle diese Fragen zielen auf realpolitische Einordnungen, die angesichts einer desaströsen Nachrichtenlage, in der auch der Westen längst zensiert und offene Propaganda betreibt, immer schwerer werden.
Hinzu kommt, daß Hariri Augenwischerei betreibt, wenn er den Ukrainekrieg und den Brexit samt Donald Trump als Ereignisse eines Prozesses betrachtet, der als Zerstörung der »liberalen Weltordnung« laufe. Richtig ist: Der Trend zu globalen Vernetzungen (das meint Harari mit »liberaler Weltordnung«) ist gebrochen, aber nicht, weil böse Akteure hier ihr Spiel treiben, sondern weil der globalistische Trend zu realpolitischen Problemen geführt hat, die er nicht wieder loswerden kann. Dazu gehört im Westen die rasant zunehmende Depotenzierung der Wähler in den Nationalstaaten, die ein ums andere Mal erleben müssen, daß ihre Voten nichts gelten bei den internationalen Akteuren vom Typ EU, WHO, WEF, UNO e tutto quanti. Denn die internationalen Akteure ziehen ihr globalistisches Ding einfach durch und haben es hingekriegt, daß die nationalen Polit-Akteure ihnen zuarbeiten, denn schließlich bieten die internationalen Agenturen Aufstiegschancen für alle, die in den Nationalstaaten vom Volk abgewählt wurden. Jacinda Ardern, um diese nur als Beispiel zu nennen, spielte in den Corona-Maßnahmenjahren die Hardlinerin und Impfkampagnendurchsetzerin, und zum Dank für ihre totalitaristischen Verdienste wurde sie inzwischen zur »Dame« geadelt und turnt jetzt durch US-amerikanische akademische Einrichtungen.
Wer dies im Kopf behält, weiß deutlich mehr als Harari, der seiner fixen Idee treu bleibt und annimmt, die Menschen in den Staaten der Welt seien einfach zu dumm, um zu begreifen, was sie an den Institutionen haben:
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die Leute haben sehr wohl begriffen, daß die international agierenden Institutionen der »liberalen Weltordnung« längst zu antidemokratischen Politmonstren geworden sind, die ohne alle demokratische Legitimation (wer hat diese »Führer« gewählt?) einen Umbau der Welt nach eigenem gusto betreiben und dabei auf die Interessen der Menschen vor Ort, also in den Nationalstaaten, pfeifen. Der Konflikt, um den es geht, ist daher kein Konflikt um Institutionen als solche, sondern ein Konflikt zwischen nationalstaatlichen Institutionen, die durch demokratische Wahlen legitimiert sind, und globalen Institutionen, die von den Gnaden eines hochkomplexen Finanzierungssystems und seinen oligarchischen Meistern existieren und beharrlich über die Politbande spielen. Es genügt hier zu wissen, daß der Hauptgeldgeber der WHO Deutschland ist, neben der Bill & Melinda Gates Stifgung, um zu ahnen, daß die Politik der WHO, die der Bundesrepublik als unverzichtbar aufgenötigt wird, einen ihrer Ursprünge in den Interessen deutscher politischer Akteure hat, die aber beharrlich so tun, als seien sie leider leider von der WHO überstimmt worden. In Wahrheit haben sie einen Entscheidungskreislauf installiert, in dem die wahren Entscheider verborgen bleiben und jede von diesen Entscheidern getroffene Entscheidung dem Publikum als Systemzwang verkauft wird.
Nicht besser wird es, wenn Harari darauf setzt, daß man in all diesem Politschlamassel nicht nur bessere politische Institutionen braucht, nämlich »liberale« und also »globale«, sondern auch bessere Medien:
Die Wahrheitsfrage, die Harari zurecht anschneidet, wurde nun aber nicht durch »Populisten« und auch nicht durch »alternative Medien« aufgeworfen, sondern durch die reale Erfahrung der Menschen, daß bei den üblichen Politkarrieristen die Lüge längst habituell geworden ist und die in staatlicher Hand befindlichen Medien eine Welt vorgaukeln, die mit der Alltagswelt der Menschen immer weniger zu tun hat. Man denke nur an die im Internet leicht zu findenden Statements deutscher Politiker, die zunächst erklärten, einen Impfzwang wegen »Corona« werde es selbstverstänlich nicht geben, um dann ebenso selbstverständlich zu erklären, sie seien selbstverständlich immer für einen Impfzwang gewesen — das Ganze auf jeder Stufe des Wahnsinns begleitet von einer Unisono-Zustimmung der großen Medien. Die Manipulation von Wahrheit ist also kein Effekt der alternativen Medien, sondern eine gezielte Operation ebenjener Medien, die in kollusiver Absprache mit den Akteuren der Politik immer weniger berichten, was der Fall ist, und immer mehr sagen, was wir zu denken haben und im Kontext dieses vorgesagten Denkens Harari eine internationale Plattform.
Daß wir einen Machtkampf um die Wahrheit haben, ist daher die direkte Folge der politimedialen Wahrheitsverzerrungen, die uns eingebrockt wurden von den Konzern- und Staatsmedien und dem von ihnen aufs Schild gehobenen Politpersonal. Das erst macht die Wut der Mainstreammedien auf jemanden wie Trump oder Höcke verständlich, die trotz aller Anstrengungen dieses politmedialen Kollusionsmilieus einfach nicht im Orkus verschwinden wollen. Da schäumt es und zischt. Und Harari zieht sich die vornehmen Denkhandschuhe an und mischt ein bißchen mit.
Er mischt mit, indem er genau das sagt, was die politmedialen Kollusionsmilieus gerne als Wahrheit verkaufen möchten: »eine stärkere Regulierung für soziale Medien«, denn alleine durch Regulierung sei die Wahrheit zu retten:
Aber Wahrheit ist nichts Vorhandenes vom Typ der Milchtüte, die man im Medienkaufhaus für kleines Geld erwerben und nach Hause tragen könnte. Wahrheit ist vielmehr das, was im gemeinsamen Denken und Reden — und heute also: im Schreiben und Lesen von Beiträgen auf dem weiten Feld der »sozialen Medien« — sich immer erst einstellen muß. Dieses gemeinsame Schreiben und Lesen in all seiner Kontroversheit, seiner Unversöhntheit, seinem Aufbrausen, auch seinen Beleidigungen — ist der einzige »Mechanismus«, der zur Wahrheit führt. Kein Staatsmedium kann und will das, keine Staatszeitung, kein staatlich alimentierter »Faktenchecker«, kein die Wirklichkeit fälschendes »Korrektiv«, keine Wissenschaftsakademie, keine Ärzteverband und auch kein Drosten. Denn sie alle haben den mühsamen Prozeß der gemeinsamen Wahrheitsfindung längst abgeschafft zugunsten einer Ausrufung dogmatisch gesetzter und von Institutionen vermeintlich abgesicherter Wahrheiten, die das Publikum nur noch dankbar und möglichst auf Knien entgegenzunehmen hat. Das ist in der Tat ein »Mechanismus«, aber es ist ein zutiefst wahrheitswidriger und wirklichkeitsfeindlicher Mechanismus, der überall dort, wo er installiert wurde, rasch zum Niedergang führte.
Wenn »Wahrheit« kein »Mechanismus« ist, sondern ein sozialer Prozeß unter Menschen, dann ist ihr Umfang je größer, desto mehr Menschen sich an ihm beteiligen. Mit anderen Worten: Wahrheit gibt es nur als öffentlich erarbeitete Wahrheit, sie ist das unruhige und anstrengende argumentative und emotionale Mit- und Gegeneinander von Menschen; sie ist weit mehr Konflikt als Harmonie, sie ist nur, wenn sie laut wird. Wenn sie leise zu kommen versucht, wenn man sie flüstern muß oder wenn staatliche Institutionen sie uns mit Prämien und Bratwürsten zu verkaufen versuchen — dürfen wir davon ausgehen, daß sie abhanden gekommen ist.
Das alles ist nicht neu, und in der Tat hilft ein Blick in die Mediengeschichte, wenn man verstehen will, was heute wieder geschieht und vor 500 Jahren bei der Erfindung des Buchdrucks geschehen war. Aber dieser Blick muß ein anderer sein als der von Harari:
Die Religionskriege den Kontroversmedien der Zeit um 1500 bis 1600 anzulasten, ist eine steile These, die nicht hält. Denn die eigentliche Erfahrung der Zeit damals lautete: Nicht die Autoritäten haben einfach Recht qua Amt und Macht, sondern Recht und Wahrheit stellen sich im Verlauf von Kontroversen allererst ein, die in den Medien ausgetragen werden. Daher ist der richtige Gebrauch von Medien in der Tat eine Kunst, aber diese Kunst besteht nicht in der Kontrolle der Medien durch vermeintliche Autoritäten, sondern in der Medienkompetenz der Mediennutzer: daß sie lernen, sich selbst ein Urteil zu bilden, und zwar auf der Basis heterogener Medien mit heterogenen Informationen. Kleiner ist die Wahrheit nicht zu haben, und kleiner ist auch eine friedliche Welt nicht zu haben.
Mit diesen Bemerkungen endet das Interview. Es sind Bermerkungen, die immer noch falsch sind, so richtig sie auch klingen mögen. Denn natürlich braucht es im Staat starke Institutionen, aber das meint: Sie müssen klassischerweise die Staatsbürger nach innen und außen schützen vor Eigentumsverlust, Verletzung und Tod. Das ist die Aufgabe von Polizei und Armee. Für die Welt von Geist und Wahrheit braucht es solche starken Institutionen hingegen nicht, im Gegenteil: Gedankenpolizisten, mediale Panzerabwehrkräfte und Luftlandetruppen des Denkens können zwar politisches Gelände besetzen und die muckenden Bürger niederhalten, aber niemand wird im Ernst denken, daß das wahrheitsförderlich sei. Denn wahrheitsförderlich und vertrauensbildend ist nur eines: daß jedermann öffentlich sagen kann, was er denkt, ohne dafür verhaftet zu werden, und daß er das in dem Vertrauen tun kann, ihm werde zugehört — und sei es auch nur von zwei anderen — und er leiste mit seiner Äußerung einen Beitrag zur Wahrheitsfindung.
Harari leistet einen solchen Beitrag nicht. Niemand wird ihn deshalb verhaften. Denn Phantasie und Täuschung, Fiktion und Lüge ist auch in seinem Fall kein Fall fürs strafbewehrte und existenzvernichtende Wahrheitsministerium.