»Ich war lange draußen [außerhalb Preußens], und draußen lernt es
sich. Jeder, der zurückkommt, wird durch nichts so sehr
überrascht als durch den naiven Glauben, den er hier überall
vorfindet, daß im Lande Preußen alles am besten sei. Das Große
und das Kleine, das Ganze und das Einzelne. Am besten, sag’ ich,
und vor allem auch am ehrlichsten. Und doch liegt unser schwacher
und schwächster Punkt gerade nach dieser Seite hin. Welche
Politik, die wir seit zwanzig Jahren gemacht! Lug und Trug, und
wir mußten daran zugrunde gehen. Denn gleichviel, Staat oder
Person, wer wankt und schwankt, wer unzuverlässig und unstet ist,
wer Gelöbnisse bricht, mit einem Worte, wer nicht Treue hält, der
ist des Todes.«
(Theodor Fontane: Vor dem Sturm. Roman aus dem Winter 1812 auf
13. 2. Aufl. München: Deutscher Taschenbuchverlag, 1983, S. 616.)
Der hier in Fontanes Roman spricht, heißt Hirschfeldt und ist ein alter Soldat, der schon in Spanien gegen die Franzosen gekämpft hat und nun wieder gegen die Franzosen kämpfen wird, diesmal in Frankfurt an der Oder. Das Gefecht wird übel ausgehen für die deutschen Landsturmtruppen; das Zeichen für die massenhafte Erhebung des Volkes mißglückt.
Und dennoch: Was der Roman als mißglückten Beginn schildert, wurde im realen Leben zu den Befreiungskriegen, hart erkauft mit einer allgemeinen Wehrpflicht in Preußen. Auf den Sieg folgten Reformen, die den Demokraten nicht weit genug gingen, aber die Basis legten für einen Staat, der rasch zum dynamischsten der deutschen Staaten wurde und gerade auch in seiner inneren Verfaßtheit über Bürokratie und Bildungssystem in die Zukunft wirkte. Was damals in die Wege geleitet wurde, sollte sich ab den 1870er Jahren ausmünzen in einen erfolgreichen Ausbau des Industriestaates, flankiert von einem Höhenflug des Schul- und Universitätssystems, so daß das Deutschland der Jahre um 1900 mit gutem Grund als das erfolgreichste Land der Erde bezeichnet werden kann.
Als Fontanes Roman 1878 erschien, sah der Autor auf all das zurück und sah auf jüngsten Zeitläufte, d.h. den frisch gewonnenen Krieg mit Frankreich und die Reichseinigung unter Bismarck. Offenbar traute Fontane der Sache, die erreicht worden war, nicht so recht, jedenfalls traut ihr Hirschfeldt im Winter 1813 nicht: Man ist sich zu selbstsicher, so lautet seine Botschaft; zu selbstsicher und zu wendig und windig, nicht recht vertrauenswürdig.