Habeck, der Formlose

Geschrieben von Uwe Jochum am 20.11.2024

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Apperzeptionsverweigerung

Robert Habeck möchte Kanzler werden. Das hat er dem Publikum in einem inzwischen berühmten Küchentisch-Video eröffnet. Das Video suggeriert Vertrautheit und Nähe, weshalb Habeck im schwarzen Sweatshirt am Tisch sitzt, die Hände beim Reden knetet und wie so oft nicht recht weiß, ob er die Zuseher siezen oder doch besser duzen soll. Sicherheitshalber macht er beides. Davor gab es ein anderes, inzwischen gelöschtes Video, in dem Habeck in abendlicher Stimmung und diesmal grauem Sweatshirt an einem Tisch saß, vor sich einen Stapel mit bedruckten Blättern und damit beschäftigt, Zeilen auszustreichen und zu umkringeln und da oder dort etwas einzufügen — das alles unter dem Gesumme von Grönemeyers Lied »Zeit, daß sich was dreht«. Das Arrangement sollte arbeitssam wirken und Habecks Anspruch auf den Status eines intellektuellen Politikers und Kanzlerkandidaten unterstreichen.

Zweifellos: Hier möchte ein Mann mit vollem Medieneinsatz ganz nach oben. Aber was für ein Mann ist das eigentlich? Ist es der auf entspannte Nähe setzende Robert, der zeigen will, daß er zu Ihrer, Eurer, Deiner oder gar meiner Familie dazugehört und offen und ehrlich sagt, wie er sich die gemeinsame Zukunft vorstellt? Oder ist es der genervt wirkende Minister Habeck, der in schlecht sitzendem Jacket und mit offenem Hemd und unrasiert den ewig fragenden Journalisten lustlos Auskunft gibt über eine Wirklichkeit, von der er selbst einmal sagte, sie würde ihn und uns umzingeln? Ist es also Robert der Heiler aller gesellschaftlichen Spaltungen, der große Visionär, dem wir vertrauen dürfen, weil er genau weiß, welche Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Kultur unser Land braucht? Oder ist es Habeck, der Zerstörer der Meinungsfreiheit, der die staatsanwaltliche Kavallerie auf jeden vermeintlichen Beleidiger losläßt, Habeck, der Zerstörer unserer Infrastruktur und unserer Kernindustrien, Habeck, der Zerstörer unserer Kulturlandschaft durch ineffektive und sündhaft teure Windräder?

Von welchem Robert und Habeck also reden wir?

Die Antwort lautet: Wir reden von einem, der den volksnahen Kümmerer bloß spielt und in Wahrheit der genervte Staatszerstörer ist. Man kann das leicht daran erkennen, daß immer dann, wenn die Situation vor den Kameras und Mikrophonen nicht explizit durcharrangiert ist, ein Mann in Erscheinung tritt, der so aussieht, als sei er mit der Morgentoilette nicht ganz fertiggeworden und habe auch das richtige Hemd oder die richtige Hose nicht gefunden.

Dieses Unfertige zeigt sich aber nicht nur in seinem Äußeren, sondern auch in seinen Äußerungen. Da sehen und hören wir, wie sich einer mit unserer Sprache quält, wie er Wortfolgen zu Sätzen schachtelt, in denen sich der Sinn der Mitteilung verliert. Wir sehen und hören, wie er Wörter vernuschelt von sich stößt, als seien sie ihm lästig und als sei es ihm gleichgültig, ob sie einer versteht.

Die Gebildeten werden jetzt einwenden, daß wir hier etwas beobachten können, was Heinrich von Kleist einst beschrieben hat — nämlich »die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden«. Ich halte dagegen und halte dafür, daß das, was wir hier sehen und hören, ganz im Gegenteil die allmähliche Verflüchtigung des Denkens im Reden ist. Es ist die hörbare Auflösung von Sprache, die genau deshalb sich auflöst, weil sich die Gedanken in ihr gar niemals eingestellt haben und auch bei fortgesetztem Reden nicht einstellen. Es ist eine sprachliche Luftnummer, die exakt jener politischen Luftnummer entspricht, für die Robert Habeck Verantwortung trägt.

Man darf nicht denken, das sei ein ungerechtes Urteil, weil es viel zu sehr auf den Mängeln aus dem Bereich des Menschlich-Allzumenschlichen herumreitet und die öffentliche Person Habeck nicht ausreichend vom privaten Robert trennt. Vielmehr sollte man sich daran erinnern, daß es Minister Habeck war, der sich in seinen letzten Videos als der private Robert an den Küchentisch gesetzt hat und also das Private zu einem Raum der Politik erklärte. Und niemals sollte man vergessen, daß es lange schon ein Merkmal grüner Politik ist, alle privaten Lebensbereiche zu Arenen der politischen Auseinandersetzung zu erklären: vom eigenen Heizungskeller über das eigene Auto bis hin zur Frage der eigenen Körperpflege mit Seife und Waschlappen. Man muß es daher ernstnehmen, wenn da einer unrasiert und formlos-unfertig vor den Kameras erscheint und unsere Sprache beim Reden unablässig deformiert. Wer daher heute abend durch die Stadt spaziert und sich über die zunehmende Vermüllung des öffentlichen Raums ärgert, der könnte versuchsweise einmal darüber nachdenken, ob ein die Form verlierender Minister nicht etwas mit der die Form verlierenden Politik und mit der die Form verlierenden Heimatstadt zu tun hat.


Der vorstehende Text erschien zuerst am 18. November auf Achgut.com. Ich habe für die Publikation hier auf 5artikel die Rechtschreibung auf die klassische deutsche Orthographie umgestellt.