Am Ende der Odyssee lobt Odysseus seine Frau Penelope für ihren
Ruf, der »bis zum breiten Himmel« reiche und verglichen werden
müsse mit dem eines untadeligen Königs, »der in Scheu vor den
Göttern unter vielen und starken Männern herrscht und die guten
Rechtsweisungen hochhält, und es trägt die schwarze Erde Weizen
und Gerste, beladen sind die Bäume mit Frucht, und es gebären
beständig die Schafe, und das Meer gibt Fische dar, wegen der
guten Herrschaft, und es gedeihen unter ihm die Männer des
Volkes.«
(Homer: Odyssee, 19. Gesang, Verse 107–114. Übersetzung von
Wolfgang Schadewaldt.)
»Die aber Fremden und Heimischen rechten Bescheid geben und
keinen Finger breit vom Recht abweichen, denen gedeiht die Stadt,
es blüht in ihr die Gemeinde, Friede herrscht im Land, der die
Jugend nährt, und der weitblickende Zeus verschont sie vor
leidvollem Krieg. Auch folgen weder Hunger noch Unheil gerechten
Männern, sondern sie genießen die Früchte vollbrachter Feldarbeit
bei frohen Festen. Ihnen spendet die Erde reichen Ertrag; im
Bergland aber trägt ihnen die Eiche Früchte in der Krone, Bienen
im Stamm, und ihre Wollschafe gehen schwer unter lastendem
Vlies. Die Frauen aber gebären den Vätern gleichende
Kinder. Ständig gedeiht ihr Glück, und so fahren sie auch nicht
auf Schiffen hinaus, sondern die kornspendende Flur trägt ihnen
Frucht.«
(Hesiod: Werke und Tage, Verse 224–236.)
»Selig der Mann, der nicht nach dem Rat der Frevler geht,
nicht auf dem Weg der Sünder steht,
nicht im Kreis der Spötter sitzt,
sondern sein Gefallen hat an der Weisung des HERRN,
bei Tag und bei Nacht über seine Weisung nachsinnt.
Er ist wie ein Baum,
gepflanzt an Bächen voll Wasser,
der zur rechten Zeit seine Frucht bringt
und dessen Blätter nicht welken.
Alles, was er tut,
wird ihm gelingen.«
(Psalm 1,1–3.)
»Hütet euch vor den falschen Propheten; sie kommen zu euch in
Schafskleidern, im Inneren aber sind sie reißende Wölfe. An ihren
Früchten werdet ihr sie erkennen. Erntet man etwa von Dornen
Trauben oder von Disteln Feigen? Jeder gute Baum bringt gute
Früchte hervor, ein schlechter Baum aber schlechte. Ein guter Baum
kann keine schlechten Früchte hervorbringen und ein schlechter
Baum keine guten.«
(Evangelium nach Matthäus, Kap. 7, Verse 15–18.)
Aus dem Freskenzyklus, den Ambrogio Lorenzetti an drei Wänden der Sala dei Nove im Palazzo Pubblico di Siena gemalt hat. Hier die Folgen der guten Regierung für das Land: Es blüht und gedeiht.
[Quelle: Ambrogio Lorenzetti, Public domain, via Wikimedia Commons.]
[Aus dem Wirtschaftsteil der Berliner Zeitung.]
Im Grunde ist die Sache ganz einfach: Gute Herrschaft ist eine Herrschaft, die das Land prosperieren läßt — Pflanze, Tier und Mensch schenken reiche Frucht, wenn die Dinge geordnet sind. Und damit sie geordnet sind, müssen sich alle an das überlieferte Recht (dikē, wie die Griechen sagten) oder an die Weisung Gottes (thora, wie die Juden sagten) halten. Dikē und thora organisieren das Zusammenleben eben deshalb, weil sie nicht jeden Tag neu ausgehandelt werden müssen, sondern Modus des Zusammenlebens schon waren, bevor ein neuer Mensch in die Gemeinschaft der Menschen geboren wurde und das Gültige zu übernehmen lernte.
Warum es gültig war? Weil es schon das Leben der Großväter und Väter gedeihen ließ, weil man an den Früchten, die man an den Bäumen hängen sah, erkennen konnte, daß der Weg der Vorväter der richtige Weg gewesen war und daher der richtige Weg für die Nachgeborenen sein würde. Es waren über Generationen angehäufte Erfahrungen, die den Weg wiesen, dessen Ursprung sich irgendwo in der Vergangenheit verlor, aber von dorther kam, woher alles Geltende und Gültige seit jeher kam und bis heute kommt: nicht von dem her, was Menschen sich in ihrem kleinen Jetztzeitkopf gerade zurechtlegen und ausdenken, sondern von dem her, was den Menschen in seiner menschlichen Spur gehalten hatte und weiterhin halten sollte — und das konnte nichts sein, was vom Menschen selbst gemacht war, es mußte und muß etwas sein, was den Menschen zum Menschen macht. Es mußte und muß etwas Göttliches sein.
Daher das Bemühen, die Dinge, wenn sie denn gut waren, nicht zu verändern: Sie hatten sich nicht nur bewährt, sondern ihre Bewährung war Beweis dafür, daß die in ihnen wirksamen fruchtbaren Kräfte göttliche Kräfte waren. An diese rührte man tunlichst nicht, man ging »in der Scheu vor den Göttern«, verließ sich lieber auf den »weitblickenden Zeus« als auf die ins Land Utopia starrenden Propheten des Ganz Neuen — man frevelte nicht, sondern grübelte über das, was dem Menschen von Gott her aufgegeben war. Das war mehr als genug, und schwierig genug war es auch.
Was geschieht, wenn dikē und thora nicht mehr gelten und jede Scheu vor den Göttern dahin ist, was geschieht, wenn man über die Altvorderen nur noch witzelt und spottet, erleben wir seit Jahren. Wir erleben ein Ende der Neuzeit, in der die Menschen sich für so kompetent hielten, daß sie nicht nur alles selber machen wollten, sondern dabei auch noch beanspruchten, sie könnten es besser als Gott. Das hat den ungeheuren Sog der modernen Technik freigesetzt, die beinahe alle Welt auf einen »Fortschritt« verpflichtete, dessen doppelte Spitze auf die Natur außer uns und die Natur in uns zielte: das Krumme in der Natur sollte endlich gerade gemacht werden, und wenn es sich nicht so einfach biegen ließ, setzte man Dampfwalzen und Stahlpressen ein; und für das Krumme im Menschen gab es Psychopharmaka.
Das Ergebnis läßt sich jetzt überall besichtigen: Mit großer Hast wird in den Industrieländern des Westens die bisher von den Maschinen verschonte Landschaft durch monströse Windräder zu einer Industrielandschaft umgeformt, und was den Menschen als freier Bewegungsraum bisher zugestanden war, wird durch das digital gesteuerte Gesundheitsmanagement abgeräumt, will sagen: Es bewegt sich »draußen« nur noch, wer sein Impfpensum erfüllt hat, den Maskenverordnungen Folge leistet und seine Mobilität überwachen läßt — auf daß jedes Draußen ein Drinnen in den Überwachungssystemen werde.
Das Ende vom neuzeitlichen und nun postmodern werdenden Lied ist nicht die gute Herrschaft, unter der die Männer des Volkes gedeihen, sondern die Kakokratie, unter der die Männer verweiblicht und die Frauen vermännlicht, beide aber schon auf biologischer Ebene unfruchtbar werden. Es wächst nichts mehr zur Sonne und den Göttern entgegen. Was jetzt nur noch wächst, ist die um sich greifende Unordnung der Menschen und der Natur, und mit dieser Unordnung wächst überall sichtbar die Armut.
Freilich, noch steht der falsche Prophet da und redet dem Volk ein, Unordnung und Armut seien vorübergehende Erscheinungen einer »Transformation«, die alles, alles, alles zum Besseren wenden werde. Noch findet er Menschen, die ihm zuhören und auf ihn hören. Lange wird das nicht mehr gehen, weil es nicht mehr lange gutgehen wird mit der Zerstörung von Mensch und Natur und der in ihnen gewachsenen Maßstäbe des Rechten und Guten. Wenn die alten Israeliten lieber ihre echten Propheten getötet haben, als sich von ihnen die Botschaft vom wahren Gott und seiner wahren Weisung ausrichten zu lassen — dann wird man fragen müssen: Was geschieht mit den modernen falschen Propheten, wenn sich herausstellt, daß ihre Versprechungen nichts anderes waren als unfruchtbares Gerede, Windbeuteleien und Frevel? Und vor allem: Wenn sich herausstellt, daß die Götter immer noch zornig werden können?
Nun, was dann geschieht, kann man im Prinzip wissen. Zum einen wird geschehen, was sich von Aristoteles her nahelegt, der eine Abfolge von Herrschaftsformen annahm: Die Demokratie als die Herrschaft der vielen und sich unverantwortlich aufführenden Armen weicht mit Notwendigkeit der Herrschaft eines Einzelnen, der die zerfallene Ordnung wieder herzustellen hat. Und zum andern wird geschehen, was die Bibel in der Geschichte von der Sintflut ausgeführt hat: Wenn die Menschen es zu toll treiben, droht ihre Auslöschung, aber es wird danach unter neuen Voraussetzungen weitergehen, wie es auch nach der Sintflut weiterging, als Gott verkündete, was von der Sintflut an gelten sollte: »Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.« (Gen 8,22) Und als Zeichen dieses erneuten Bundes setzte Gott den Regenbogen ein — nicht als Symbol einer autosexuell-woken Unfruchtbarkeit, wie sie jetzt im Schwange ist, sondern im Gegenteil als Symbol der währenden Fruchtbarkeit der Erde in ihrem Zusammenspiel mit dem Himmel: »Meinen Bogen habe ich gesetzt in die Wolken; der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde.« (Gen 9,13)