Die Blütenpracht des Schuldkults entfaltet bei richtiger Hege und Pflege ein wunderbar üppig sprießendes Wachstum, was gerade zu Weihnachten im neuen Bestdeutschland, wo man keinen grünen Tannenbaum mehr haben darf, eine schöne Sache fürs Gemüt ist. Zusammen mit einem Sporthistoriker namens Jäger ging der Süddeutsche Beobachter auf Unkrautjagd im Garten des deutschen Sports — und siehe da, man wurde überreich fündig: 15 von 131 Sportlern der Ruhmeshalle besaßen einen Mitgliedausweis der NSDAP — »das ergibt eine Quote von mehr als zehn Prozent«, triumphieren Jäger und die Münchner Pressekammerjägerzunft.
Alle verdächtigen Blumen wurden mitsamt der Wurzel ausgegraben und einer »Neubewertung« unterzogen. Erfahrungsgemäß werden die Pflanzen diese Wurzelbehandlung nicht überleben. Denn weiter wachsen können auf der Sportstarwiese nur solche Pflänzchen, die eine »klare Haltung zur freiheitlich demokratischen Grundordnung« nebst »klarer Haltung zur eigenen Vergangenheit« besitzen sowie eine »Reflexion zu in der Vergangenheit gemachten Verfehlungen/Entscheidungen« zeigen. Laut Zeitjägerbattaillon Hamburg gehören zu den Verfehlungen »auch Stasi-Tätigkeiten oder Doping-Vergehen«.
Doch selbstverständlich hat niemand die Absicht, jene Disteln im Schuldblumengarten zu begutachten, die auf realsozialistischem Diktaturboden zur Blüte gelangt sind — wie etwa die Schwimmerin und DDR-Staatsdopering Renate Stecher oder die ebenfalls vielfach gedopte Leichtathletin Heike Drechsler. Und schon gar nicht an der Wurzel angegangen wird der Fall des »schönsten Gesichts des Sozialismus«, der Eisprinzessin Kathi Witt, welche als langjährige SED-Mitgliederin noch 2001 bekannte, »von diesem Staat überzeugt« gewesen zu sein. Reflexion zu in der Vergangenheot gemachten Fehlern ist das nicht, aber die Wurzelbehandler lassen Vorteil gelten.
Gut informierten Kreisen zu Folge werden — unabhängig von deren historisch-individueller Schuld — Sportler aus dem Hall of Fame-Biotop entfernt, wenn sie »unzeitgemäße« Sportarten betrieben haben, etwa das vermaledeite Skifahren, wie es die dreifache Olympiasiegerin Katja Seizinger sehr erfolgreich tat, denn was »in der Klimakrise« nicht mehr »zeitgemäß« ist, kann noch niemals rechtens gewesen sein. Und daß sich Seizinger von ihren Vergehen gegen das Klima entschuldigt hätte, davon ist nichts bekannt geworden.
Und so müssen rechtzeitig zu den Bundeswahlspielen im kommenden Februar jene Blumen des Bösen weichen, die unsere Demokratie verhöhnen und den Staat durch ihre sportlichen Leistungen noch Jahrzehnte nach deren Erbringung zu delegitimieren imstande sind.