Heimatkunde VI

die Stadt als Erziehungsraum

Geschrieben von Uwe Jochum am 24.2.2025

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Uwe Jochum

Wissenschaftlicher Bibliothekar

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Es beginnt scheinbar harmlos mit Verkehrsschildern: Sie sollen uns auf den rechten Weg der Straßenverkehrsordnung bringen. Das ist schön, und in komplexen Gesellschaften, die darauf angewiesen sind, daß man nicht permanent mit anderen kollidiert, real oder mental, ist es nicht von der Hand zu weisen, daß es Regeln braucht und diese Regeln dann auch immer wieder plakativ oder eben per Schild in Erinnerung gerufen werden müssen.

Straßenpädagogik[Verkehrstechnische Pädagogik. Photo: Uwe Jochum.]

Das Problem ist aber wie immer die Regelungs- und damit die Schilderdichte. Irgendwann einmal wird bei zunehmender Schilderdichte aus der Schilderstadt eine Schildastadt, in der man mit unzulänglichen Mitteln das Unerreichbare versucht: durch beschilderten Dauerappell an die Bürger diese zum Rechttun anzuleiten. Das nimmt freilich kein Ende. Denn der Schilder-und-Schilda-Wahn ist darauf angelegt, immer mehr Regelverstöße zu entdecken, für die es weitere Schilder braucht, bis zuletzt die ganze Stadt voller Schilder steht und sich stolz mit der Faust auf die Brust schlagen kann: »Seht her,« sagt jedes Schild, »wie gut wir sind, wie recht wir tun!«

Wer als womöglich Zugezogener oder Durchreisender noch nicht völlig verschildat ist, wird freilich bemerken, daß der zunehmende Schilderwald sich in einen zunehmend durch Graffiti verschandelten öffentlichen Raum fügt, in dem der Übergang von amtlicher Mitteilung per Schild zu vermeintlich kreativer Selbstaussage per Graffiti fließend ist. Beides nimmt zu, beides ist häßlich.

Straßenkunst[Verkehrskünstlerische Pädagogik. Photo: Uwe Jochum.]

Daß man es macht, ist wie einst in Schilda eine Bewußtseinsfrage: Es beginnt mit einer verteufelten moralischen Klugheit der Stadtbewohner, die in eine nicht weniger verteufelte Dummheit umschlägt. Denn wie überall auf der Welt laufen die klugen Leute, die in aller Welt gesucht werden, dem jeweiligen Schilda allmählich davon, bis zum Schluß nur noch die nicht ganz so Klugen übrigbleiben – zusammen mit dem Rest der Klugen, der aus klugen Gründen sich dazu durchringt, seine Klugheit nicht mehr sehen zu lassen; man würde ja doch nur anecken.

Folglich beginnt man mit Schildern zu experimentieren, auf denen man das eigene Gutmenschentum zur Schau stellt: »Seht her,« schildert es jetzt, »bei uns laufen die Leute nicht nur umeinander, sie fahren sogar mit dem Rad — und das Beste ist, sie tun es in geförderter Weise!« Das aber auch!

Förderschild[Wir sind dabei. Photo: Uwe Jochum.]

Aber schon öffnet sich die beschilderte Abwärtsspirale, die gepflastert ist mit Appellen ans Gutestun, deren Dysfunktionalität in die Augen springt: Man will es allen recht machen, denen mit und denen ohne Bargeld, und da das mit dem Ohnebargeld nicht so einfach ist, beklebt man die verkehrstechnische Gebührenzapfsäule mit einem erklärenden Schild, das, wenn ich recht gezählt habe, sechs verschiedene Weisen plakatiert, wie man sich selbst als Bürger auf dem Umweg einer Parkgebühr um sein Geld bringen kann. Irgendwer in der Stadtverwaltung wird das für Fortschritt gehalten und bei der Umsetzung des Projekts »Parkgebührenzapfsäule« seinen Karriereweg nach oben gemacht haben. Für alle anderen heißt es: Saure Arbeit leisten, um die richtige App aus einem digitalen Applikationsgeschäft übers Internet aufs Smartphone zu laden, die App einzurichten (das Paßwort nicht vergessen!), sie mit dem Bank- oder Kreditkartenkonto zu verbinden — und dann endlich zwei Euro für die Parkgebühr zu bezahlen. Besser kann man es nicht machen. In Schilda.

Parken[Parken leicht gemacht. Photo: Uwe Jochum.]

Bezahlen[Bezahlen leicht gemacht. Photo: Uwe Jochum.]

Wer das bis hierher für halbwegs amüsant gehalten haben sollte, den muß ich enttäuschen: Die Sache ist nicht lustig, sie ist ernst. Bitter ernst. Nämlich mit Moral vollgesogen.

Man merkt das, wenn man ein wenig durch die Stadt streift und die Augen schweifen läßt: Da sieht man, wie das Schilderwesen von den Straßen- und Verkehrsschildern längst auf das Weichbild der Stadt übergegriffen hat. Das Schild als Moralappell hat sich gleichsam selbständig gemacht und verläßt den Verkehrsraum, um auch anderswo moralisch zu appellieren.

Den Übergang macht die vor die Schule gestellte Plakatwand, die den Nachwuchs auffordert, nur ja nicht sich von Mama zur Schule fahren zu lassen, sondern per Pedes oder per Rad zur Schule zu kommen. Und damit die Kleinen nicht greinen, sagt man ihnen auch, warum das so zu sein hat: Es ist fürs Klima. Natürlich.

Nicht nur für die Schule
lernen[Nicht für die Schule lernen wir. Photo: Uwe Jochum.]

Wie ernst man es damit meint, signalisiert man weniger den Schülern als ihren Eltern, indem man per Schild darauf hinweist, daß man sich mit dem Appell zum Radfahren politisch auf nationaler Ebene bewegt: eine »Nationale Klimaschutzinitiative« bezahlt die pädagogische Stellage und den Fahrradstellplatz vor der Schule. Zusammen mit dem »Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit«. Man darf an dieser Stelle den Subtext vermuten: Radfahren macht Atomkraft überflüssig.

Projektpädagogik[Projektpädagogik. Photo: Uwe Jochum.]

Und damit nicht nur die Schüler radeln, stellt man nicht weit von diesen Schildern ein weiteres Schild auf, an dem die Erwachsenen erfahren, was sie tun können, wenn sie ein öffentliches Rad entleihen wollen: In etwa das, was der parkplatzsuchende Einwohner weiter oben per Gebührenzapfsäule gesagt bekam, nur mit dem Unterschied, daß es diesmal um den moralisch höherwertigen Gegenstand geht: Rad statt Auto. Aber bei der App und dem Anmeldegedöns bleibt es natürlich. Schließlich muß der Kampf gegen die Atomkraft mit den allerneuesten Handy-Mitteln geführt werden, deren Stromversorgung selbstverständlich durch Photovoltaik und Windräder gesichert ist.

Fahrradpädagogik[Fahrradpädagogik. Photo: Uwe Jochum.]

Mit dem guten Verkehr ist es freilich noch lange nicht zuende, wenn es ums Gutestun geht. Es geht, zumal im Kontext der Schule, nicht nur um die korrekte Anreise per Fahrrad oder zu Fuß, sondern selbstverständlich auch um die korrekte Lernumgebung durch absolut-couragierte Rassismusfreiheit der Schulräume und Schülerhirne, natürlich auch der Lehrerköpfe. Das sieht dann so aus:

Couragierte
Pädagogik[Couragierte Pädagogik. Photo: Uwe Jochum.]

Und damit man das nicht allzusehr für eine zopfige Moral hält, hängt an der anderen Seite der Eingangstür zur Schule noch mehr Schilderzeug, in dem sich die richtige Moral und die fruchtbare Erforschung der Zukunft ein schönes Stelldichein geben:

Forschungspädagogik[Forschungspädagogik. Photo: Uwe Jochum.]

Aber ach. All diese Moral, die mit dem Verkehrschild begann und am Schulgebäude vom Verkehrlichen aufs Allgemein-Erzieherische überging, ist damit keineswegs an ihr natürliches Ende gekommen, nämlich an den Zaun, der die Schule als pädagogischen Raum von der Stadt der Bürger abgrenzt. Vielmehr hat das pädagogische Schilderwesen die Schule längst hinter sich gelassen und ist in den städtischen Raum eingedrungen, wo die Bürger sich nun einer pädagogischen Dauerbehandlung ausgesetzt sehen, in der sich die Höhe der vorgeführten Moral mühelos mit der Höhe der Häßlichkeit der moralpolitischen Beschilderung in eins setzen läßt.

Oder was sollen diese ins häßliche und verkrautete Erdreich gepflanzten Moralbeschilderungen anderes sein als die Enthüllung des grünen Wesens, das ein Unwesen ist: aus vermeintlicher Natur (die nichts weiter als ein ungepflegter Blumenkübel ist) steigt das grüne Bewußtsein empor, um seine Halb- und Unwahrheiten auf verbogenen und verklebten Schildern zu verbreiten, die mitten in den Laufzonen der Stadt herumstehen. Sie sind häßlich und stören und dürfen das, weil sie das richtige Bewußtsein verkünden.

Krautpädagogik[Krautpädagogik. Photo: Uwe Jochum.]

Aber weil Häßliches nicht anziehend ist, das richtig grüne Bewußtsein aber meint, es habe auch in seiner Häßlichkeit noch recht, muß man die Schlagzahl der Schilder erhöhen. Sie stehen folglich wirklich überall herum und sind überall häßlich, glauben aber überall das Recht zu haben, in ihrer Häßlichkeit uns die richtige Denke aufnötigen zu dürfen.

Ernährungspädagogik[Ernährungspädagogik. Photo: Uwe Jochum.]

Natürlich reicht das nicht. Die grüne Denke will nicht einfach nur die Welt grün erklären, sie will auch ein Appell zum richtigen Tun sein. Und folglich: So wie man die Schüler vor der Schule zum Radfahren und Gehen aufforderte, so fordert man nun auch die Bürger zum Laufen auf. Und wie einem Schüler erklärt man dem Bürger: Du sollst laufen wegen der Pinguine in der Antarktis! Damit denen das Eis nicht ausgeht, auf dem sie sitzen.

Pinguinpädagogik[Pinguinpädagogik. Photo: Uwe Jochum.]

Wer das Schild zuende gelesen hat, dem verrät sich der geheime Antrieb, der hier waltet. Man muß ihn nur gegen den vom Schild intendierten Strich lesen: »klimaverrückt«, das ist das Thema, das all die Schilder in diesem Schilda thematisch auf verborgene Weise zusammenhält. Mit dem richtigen Parken des Autos fängt es an, mit dem Radfahren und Laufen zur Schule geht es weiter, und mit dem bürgerlichen Verzicht aufs Auto nimmt es sein vorläufiges Ende.

Deshalb wird die Innenstadt, wo es nur irgend geht, zur Fußgänger- und Radfahrerstadt umgebaut. Was in den 1970er Jahren noch als Befreiung der Städte von den Blechlawinen der Autos begrüßt worden war, hat sich längst ideologisch verfestigt, muß aber offenbar weiterhin eingeschärft werden. Sonst bräuchte es diese längst verdreckten und verklebten Schilder nicht, die einst von einem Aufbruch der Fußgänger gekündet haben mochten, jetzt aber nur noch ein eingeschliffenes Programm anzeigen, das sich krakenartig über die Stadt gelegt hat. Die Dichte der Schilder sagt jetzt: »Frag nicht nach dem Sinn, tu einfach, was das Schild von dir verlangt!«

Verkehrspädagogik[Verkehrspädagogik. Photo: Uwe Jochum.]

Und wenn der Blick dann vom Schild auf die gegenüberliegende Seite des Platzes und auf die vermalten Briefkästen der einst in sichere Staatsautorität gehüllten Post fällt, dann mag einem mit einem Schlag die Erkenntnis aufgehen, daß der moralisierte öffentliche Raum kein funktionierender Raum mehr ist, eben weil in ihm die Proklamation der richtigen Moral längst die richtige Organisation des öffentlichen Raumes besiegt hat. Nichts muß mehr funktionieren und schön sein, solange man sich und anderen einreden kann, die häßliche Dysfunktion sei ein Komplement der höheren Moral.

Postpädagogik[Postpädagogik. Photo: Uwe Jochum.]

Von hier aus zeigt sich dann auch, daß der Versuch der Städte, ihren historischen Raum zu erschließen und begehbar zu machen, seit langem schon gekippt ist in die Durchmoralisierung dieses Raumes. Um es deutlich zu sagen: in eine linke Durchmoralisierung. Das zeigt sich nicht nur an der Usurpation öffentlicher Wegweiser zu linksproklamatorischen Zwecken, wobei offenbar niemand daran denkt, den häßlichen Zettel einfach abzureißen.

Geschichte und
Politik[Geschichte und Politik. Photo: Uwe Jochum.]

Man könnte das allenfalls und für einen Moment für die Verdrehung des öffentlichen Raumes in einen Werberaum halten, in dem dann eben nicht nur für Unterwäsche oder einen Handy-Netzbetreiber geworben wird, sondern auch für politische Zwecke.

Werbefläche[Die Stadt als Werbefläche. Photo: Uwe Jochum.]

Aber so ist es nicht. Vielmehr greift die linke Moralisierung gerade deshalb so vehement um sich, weil die städtischen Verwaltungen längst auf einem linksgrünen Pfad unterwegs sind, auf den sie die Bürger per Schild lenken wollen. Klimaverrücktheit und linkswoke Moral sind Synonyme, mit denen Politik gemacht und eine moderne Stadt verwaltet wird. Sie zögert daher nicht, sich selbst Geschäftsräume zuzuweisen, in denen sie die Klimaverrücktheit als Verwaltungsziel offen bekennt und das Ganze als einen Informationsraum darstellt, in dem städtisches Projektpersonal die Bürger darüber aufklärt, wie sie zu besseren, nämlich klimaneutralen Mitbürgern werden könnten.

Aktionsbüro[Die Stadt als Simulation von Klimaaktivismus. Photo: Uwe Jochum.]

Natürlich scheut sich die zeitgenössische Stadtverwaltung nicht, all dieses klimaverrückte Treiben und Tun per Schild in einen historischen Kontext zu stellen, in dem der linke »Kampf gegen rechts« scheinbar immer schon gekämpft wurde, spätestens seit dem Jahr 1970. Ingredienzen: ein erstochener junger Mann, ein NPD-Stadtrat und »rechte Hetze« auf einem Flugblatt.

Kampfstele [Die Stadt im Kampf gegen rechts. Photo: Uwe Jochum.]

Der historische Fluchtpunkt all dieses Schilderwahns ist, wie könnte es anders sein, der Nationalsozialismus.

Gedenkschild [Die Stadt in kämpferischer Kontinuität. Photo: Uwe Jochum.]

Sagen wir es so: Der »Kampf gegen rechts« postfiguriert den Widerstand gegen Hitler und ist ein Kampf für eine heile Welt, in der nicht zuletzt auch der Kosmos endlich in Ordnung kommen würde. Dank linkem Klimaschutz. Durch Beachtung aller Schilder und folglich richtigem Parken, Radfahren und Laufen.