Ordo armoris

Geschrieben von Uwe Jochum am 11.3.2025

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Bewirtschaftungen

Angesichts der Aufregungen, die Trumps Neujustierung der US-amerikanischen Politik verursacht, blieb eine Aufregung hierzulande beinahe unbeachtet. Diese Aufregung wurde getriggert durch einen Brief, den Papst Franziskus am 11. Februar an die amerikanischen Bischöfe geschrieben hatte. Der Brief kritisierte, wenig überraschend, Trumps Programm zur Massenabschiebung illegaler Einwanderer und brachte dagegen das christliche Konzept der Nächstenliebe ins Spiel. Man dürfe, so der Papst, nicht die einen Menschen vor den anderen privilegieren, wenn es um die christliche Liebe gehe. Man schulde diese Liebe allen Menschen, den nahen und den fernen. Daher dürfe man illegal ins Land gekommene Migranten nicht einfach als fremde Kriminelle abschieben, man müsse mit ihnen vielmehr wie mit Brüdern und Schwestern zusammenkommen und eine »inklusivere Gesellschaft« schaffen.

Der Papst hatte in seinem Brief freilich nicht nur die politische Arena im Blick, sondern auch ebenjene christlichen Kreise, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in den USA und in Europa die Masseneinwanderungen stets damit legitimiert hatten, daß hier die christliche Liebe und Nächstenliebe unmittelbar greife.

Ebendiese Kreise waren nun aber durch den amerikanischen Vizepräsidenten Vance herausgefordert worden, der in einem Interview mit Fox News auf das christliche Konzept der Ordo armoris hingewiesen hatte. Diese Ordo amoris, so der Katholik Vance, begründe eine Ordnung der christlichen Liebe und Nächstenliebe, die eine Ordnung nach Prioritäten sei: Die Liebe und Nächstenliebe beginne mit der Familie, erstrecke sich dann auf die Nachbarn, von dort auf unser weiteres Umfeld, auf unsere Region und schließlich auf unser Land. In dieser Reihenfolge hätten wir uns um die Menschen zu kümmern, die nicht auf eigenen Beinen stehen können. Und wenn wir dann noch Zeit und Geld und Kraft hätten, könnten wir uns auch um andere Menschen aus anderen Ländern kümmern.

Das war nicht zuletzt ein Schlag ins Gesicht all jener sich christlich nennenden Organisationen, deren Geschäftsmodell darin besteht, Menschen aus fernen Ländern auf ihrem Weg nach Europa oder Amerika hilfreich zur Seite zu stehen. Sie alle bis hinauf zum Papst mußten sich von Vance sagen lassen, daß ihr Denken und Tun gar nicht christlich fundiert sei. Weshalb der Papst die Reißleine zog und seinen Schäfchen schrieb, daß Vance und Trump sich im Irrtum befänden. Und er verwies auf das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, das darauf hinauslaufe, daß wir eine, wie der Papst sagte, »ausnahmslos für alle offene Geschwisterlichkeit« aufzubauen hätten.

Nachdem die Hauptstrommedien die Öffentlichkeit von der Intervention des Papstes in Kenntnis gesetzt hatten, war für die meisten die Sache erledigt: Vance und Trump waren vom Papst zurechtgewiesen worden, der es ja schließlich wissen mußte. Das ist aber nicht mehr als eine bequeme Annahme, und es ist eine Annahme, die fehl geht. Denn der Papst hat in dieser Sache durchaus nicht Recht.

Tatsächlich fußt das christliche Liebesgebot auf jenem Doppelgebot Jesu (Mk 12,28–34), wonach wir erstens Gott von ganzem Herzen, aus ganzer Seele, aus unserem ganzen Denken und mit ganzer Kraft zu lieben hätten; zweitens aber sollen wir unseren Nächsten lieben wie uns selbst. Gott, der Nächste und die eigene Person sind hier zueinander so ins Verhältnis gesetzt, daß ein gleichschenkliges Dreieck entsteht, in dem das, was dem einen gilt, immer auch dem anderen gilt. Das eigentliche Maß dafür, daß dieses Dreieck nicht schief wird, ist nun aber die Selbstliebe: Nur wer sich selbst lieben kann, kann auch den Nächsten lieben. Wer diesen Punkt verpaßt, dem droht die Gefahr, daß er vor lauter Nächstenliebe sich selbst überfordert und dabei zugrunde geht.

Das Gleichnis vom Samariter (Lk 10, 29–37) bringt das nachdrücklich ins Bild. Der Samariter findet auf seinem Weg einen von Räubern schwer verletzten Mann und bringt ihn nach der Erstversorgung in eine Herberge, wo der Samariter Geld dafür bezahlt, daß der Verletzte gesundgepflegt wird. Der Samariter nimmt den Verletzten also nicht zu sich nach Hause, er sucht auch nicht auf allen möglichen Wegen nach weiteren Verletzten, denen er sich widmen könnte. Er kümmert sich um genau denjenigen, der ihm auf seinem konkreten Lebensweg begegnet und der buchstäblich nicht mehr auf eigenen Beinen stehen kann, hier und jetzt. Darum geht es. Das ist der Nächste. Alle anderen sind Ferne und immer Fernere, um die wir uns gerne kümmern können, sobald bei uns und mit uns alles wieder in Ordnung ist. So will es der Ordo amoris.