Drosten am Ende seiner Wissenschaft

Geschrieben von Uwe Jochum am 14.6.2025

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Uwe Jochum

Wissenschaftlicher Bibliothekar

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Dank der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kann man sich neuerdings über das Wissenschaftsverständnis von Christian Drosten informieren. Denn am 4. Juni veröffentlichte Drosten in dem Blatt einen frei zugänglichen Artikel mit dem vielversprechenden Titel »Freiheit und Pflicht der Wissenschaft«. Die neue Bildungsministerin Karin Prien empfahl auf X den Artikel nicht nur umgehend zur Lektüre, sondern wünschte sich auch eine breite Debatte über den Text.

Diese Debatte blieb freilich bis heute aus. Beginnen wir sie mit diesem Kommentar.

Auf der Oberfläche scheint Drostens Beitrag ein Ruf zur Rettung der Wissenschaftsfreiheit zu sein. Unter der Oberfläche geht Drosten freilich als Wissenschaftsdoktrinär und -funktionär in Stellung und ruft aus dieser Stellung die Politik zur Hilfe. Dieser Hilferuf gilt allerdings nicht der Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit, vielmehr ruft Drosten nach der Politik als Schutzmacht für eine institutionalisierte Wissenschaft, die seiner Meinung nach das alleinige Spielfeld für Spezialisten zu sein hat.

Drostens Gegner stehen damit fest. Es sind all jene, die weder wissenschaftliche Spezialisten sind noch in einer wissenschaftlichen Institution das Sagen haben und dieses ihr Sagen in der Wissenschaft durchsetzen können. Und das heißt: Drostens Gegner sind zum einen all jene Laien, die die Auffassung vertreten, — ich zitiere Drosten — »jeder habe die Macht und die Kompetenz, ohne Respekt vor Spezialisten zu eigenen Schlüssen über die Welt zu gelangen«. Seine Gegner sind zum andern aber jene Wissenschaftler, die anderer Meinung sind als der Mainstream und deren Qualifikation Drosten während der Maßnahmenzeit in Frage stellte: von Wolfgang Wodarg bis hin zu Jay Bhattacharya, dem Mitinitiator der Great Barrington Declaration und jetzigen Direktor der amerikanischen Gesundheitsbehörde.

Wenn Drosten also »Respekt vor Spezialisten« fordert und seriöse Wissenschaft mit »starken wissenschaftlichen Institutionen« identifiziert, dann meint das: Er wünscht sich jene Zeit zurück, da die gesamte Journaille im staatlichen Pay-TV und Pay-Radio und in den durch staatliche Anzeigen gestützten großen Zeitungen an seinen Lippen hing und sich von ihm sagen ließ, was man von Mund-Nase-Bedeckungen, modRNA-Injektionen und dem Wegschließen der Bevölkerung zu halten habe.

Niemals kam in dieser Zeit dank Drosten und seinem Einfluß in Merkels Corona-Expertenrat auch nur der Hauch einer öffentlichen Debatte über das Für und Wider der Maßnahmen zustande. Schon gar nicht wurde öffentlich über Irrtümer und notwendige Korrekturen gestritten oder die Notwendigkeit eines solchen Streits für die demokratische Kultur unseres Landes angemahnt. Was also reitet Drosten, daß er ausgerechnet jetzt und prominent in der FAZ alles das einklagt, was er selbst über Jahre hin mit aller Kraft verhindert hat?

Die Antwort gibt Drostens Artikel an zwei Stellen. Da ist zum einen seine Bemerkung, man könne derzeit in Talkshows erleben, wie versucht werde, »einen ganzen Abschnitt der jüngsten Geschichte umzudeuten und ganz verdreht noch einmal zu erzählen.« Und da ist zum anderen die Bemerkung, man könne in den Vereinigten Staaten die »extremen Auswüchse der neuen Wissenschaftsfeindlichkeit« beobachten.

Man muß beide Bemerkungen von außen nach innen kehren, um zu sehen, was sie eigentlich meinen. Erstens ist Drosten offenbar beunruhigt, daß immer mehr Menschen verstehen, was ihnen und ihren Angehörigen in der Coronazeit angetan wurde und welche Rolle Drosten dabei spielte. Und zweitens: In den USA wird unter der neuen Regierung das während der Coronazeit gewebte Netz aus vermeintlichen Spezialisten und vermeintlich seriösen institutionellen Akteuren aufgetrennt und geschaut, was unter dem Netz sich verbirgt.

Das macht Drosten offensichtlich angst — und das muß es auch. Denn seitdem das Denken wieder stärker öffentlich betrieben werden kann und seine Vielstimmigkeit zurückgewinnt — ganz so, wie es seit der Aufklärung stets gefordert wurde — zeigt sich immer klarer, daß die Coronazeit eine Zeit der totalitären Versuchung war, auch in der Wissenschaft. Jetzt versteht man, warum Drosten am Ende seines Textes um »Schutz und Anerkennung durch politische Leitfiguren« bittet, damit »Rückzugsreflexe in schweren Zeiten« verhindert würden. Ganz offensichtlich sucht er nach politischer Rückendeckung, um seine Version der Coronazeit zu kanonisieren und seine Rolle in dieser Zeit unangreifbar zu machen.

Das wird ihm nicht gelingen, denn seine Zeit ist wie die des sonstigen Corona-Personals vorbei, das sich gerade in die USA, zur UNO, zur WHO oder sonstwohin absetzt. An der Charité bleibt Drosten ohne stützende »politische Leitfigur« zurück. Es wird einsam um ihn.


Der vorstehende Text wurde am 11. Juni 2025 auf »Kontrafunk« in der Sendung »Kontrafunk aktuell« als Tageskommentar gesendet. Er ist über das Archiv des »Kontrafunk« abrufbar.