Abkehr vom Eigenen XII

Deutsche Volkskunde nach 1968.
Sprach- und Sinnzerstörung

Geschrieben von Jürgen Schmid am 13.10.2025

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»Welt.Wissen.Gestalten«1 — so bescheiden lud man im letzten vorconona­ren Jahr zum Kongress der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde (dgv): Wer den goldenen Herbst mit »globalen Dynamiken«, »Transformationspro­zessen«, »Dynamisierungen« und »interdependenten Logiken« anreichern wollte, begab sich im Oktober 2019 nach Hamburg. Eine Auswahl von Highlights (ohne Gewähr für Vollständigkeit): »Workshops« zu »Forschungs­datenmanagement« und »Digital Humanities«. Fakultativ: »Ethnografische Theorie kollaborativ fügen«, »Wissen skalieren«, »Nachhaltigkeit perspek­tivieren«.

Was bewegt Deutschland aus Sicht der dgv (man beachte die Klein­buchstaben derjenigen, die das ganz Große umtreibt)? »Transnationale Genealogien von Gesellschaftsskizzen« (München). »Subjektivierungs­potenzial von Gegendiskursen« (Kiel). »Heterodoxe Welt(en)interpretation« (Ingolstadt). »Kulturerbe als Wissenspraktik« (Berlin). »Verknüpfungen von Teilhabe und Konsum, Kommodifizierung und Agency im Kontext von [eigentlich egal, aber es sei:] Massen Gaming Events« (Bonn). »Daten­ökonomie: Subjektivierung als Objektivierung« (Kassel). »Methodologische Reflexionen zur audiovisuellen Repräsentation identitärer Spannungen« (Chemnitz). »Konfigurationen und soziomaterielle Praxen«, »Digitale Materialität« (beide Hamburg). Wer glaubt, es ginge nicht irrer — doch: Sabine Hess mit ihren Beiträgen »›Femonationalistische‹ Ambivalenzen: Eine genealogische Betrachtung genderpolitischer Verstrickungen [besser: Involvationen] in Migrationspolitiken« und »Rekonfigurationen des Politischen: Machtformationen und Wissensordnungen im Kontext europäischer Grenzpolitiken«. (Wie sagte ein berühmter Emeritus der Volkskunde so zweisilbig auf die Frage, was er davon halte: »Unfug«).

Der Marburger Lehrstuhlvertreter Manfred Seifert verkörpert in seiner Bio­graphie den kurzen Weg von der Volkskunde zur Europäischen Ethnologie: Er begann seine akademische Karriere mit Studien über Kachelofen und Wohnraumheizung, später ist er befähigt, dem »arbeitenden Menschen« einen »Status als stabile substanzielle Entität« zuzuweisen, dessen »Arbeits­leistung« er »als Teil der anthropologisch fundierten Aktivität bzw. als eine Form der Teilsublimierung« versteht.2 Nur wer solch ein Kauderwelsch spricht und schreibt, hat überhaupt noch eine Chance auf eine akademische Karriere in den sogenannten Gesellschaftswissenschaften, wo ein Frankfurter Institutskolloquium sich beschäftigt mit: »ER,SIE,ES — Re-Lektüre des cyberpunk-feministischen Romans von Marge Piercy unter Bedingungen aktueller technischer Machbarkeit«, wo am Münchner Volkskunde-Institut, das Leopold Kretzenbacher zu europäischen Höhen geführt hat, »Die Inversion der Rassismuskritik« verhandelt wird, mithin »Der Diskurs um Privilegien, das neoliberale Subjekt und seine Schuld(ge­fühle)«. An derselben Universität konnte in der Literaturwissenschaft, die sich auch als »Kulturwissenschaft« verstehen will, eine Dissertation ent­stehen, welche verkündet, »dass die Materialisierung von regulierenden Normen als performativer Akt durch das Zitieren der Norm vonstatten geht, womit die grundlegende Reartikulation dessen, was einen bedeu­tungsvollen Körper auszeichnet, nur durch die entstellende Resignifizie­rung geschehen kann.«3

Man könnte nun diese Verquasungen in extenso weiterzitieren, würde man damit nicht einem schweren Sakrileg an der deutschen Sprache noch größeren Raum verschaffen und den Leser garantiert von den Seiten dieses Blogs vertreiben.4 Es sei nur vermerkt, was sich eigentlich von selbst versteht: Daß die Zerstörung der Sprache dem Gesagten jeden Sinn und nicht zuletzt dem Beschriebenen alle Würde nimmt. Oder in den Worten von Martin Mosebach: »daß eine unwahre, verlogene, gefühllose Sprache keinen Gedanken von Wert enthalten kann«.5


Mit der kompletten Entsinnlichung und Entwertung der Sprache haben die Volkskunde-Zerstörer ihr Werk so gut wie vollendet. Einen Schritt — die Austreibung des Volkes — bedarf es noch, das Drama zum vorläufigen Ende zu erzählen.


Anmerkungen

  1. Das Folgende ist ein überarbeiteter und ergänzter Auszug aus meinem Beitrag »Ausbildung zum Erwachen«, der am 22. November 2020 auf Publico erschien. 

  2. Manfred Seifert: Arbeitskulturen — Mentalitäten — Industriekultur. Forschungskonzepte mit anthropologischer Perspektive. In: Wolfgang Hesse, Holger Starke (Hrsg.): Arbeiter | Kultur | Geschichte. Arbeiterfotografie im Museum. Bausteine aus dem Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde Band 37. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2017, S. 481–494, hier S.  — Vielleicht ist der Hinweis weiterführend, daß eine Kritik an solcher Sprache im Bayerischen Jahrbuch für Volkskunde nicht erscheinen konnte, weil die für Rezensionen zuständige Redakteurin eine Besprechung beim Autor dieses Textes zwar angefordert hatte, aber den Lesern dessen Sicht der Dinge dann doch nicht zumuten konnte. 

  3. Nun ist dies kein Auszug aus der germanistischen Dissertation des Robert Habeck, könnte es aber sein, da alle diese postmodernen Machwerke aus den immer selben trüben Sprach- und Sinnvernebelungsdatenbanken des (De)Konstruktivismus zusammengestopselt sind. 

  4. Einige weiterführende Bemerkungen zur Sprachzerstörung mit Hinweisen auf Literatur, welche diese akademischen Praktiken kritisiert, hat mich die Redaktion des in Anm. 2 erwähnten Jahrbuchs dort veröffentlichen lassen (allerdings mit von der Schriftleiterin höchstselbst besorgten Abschwächungen meiner Analysen ad usum delphini), wenngleich ich mir keinen Illusionen darüber hingebe, daß dies irgendwer zur Kenntnis genommen hätte: Rezension von: Valentin Groebner: Wissenschaftssprache. Eine Gebrauchs­anweisung. Konstanz: Konstanz University Press, 2012. Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 2013, S. 201–205 

  5. Martin Mosebach: Häresie der Formlosigkeit. Die römische Liturgie und ihre Feinde. München: Hanser, 2007, S. 9.