Ende des Drucks

Geschrieben von Uwe Jochum am 10.11.2025

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Wenn einer heutzutage ein Buch kauft, kann er was erleben. Denn trotz aller Qualitätsmängel, die die digitalen Produktionsverfahren à la Books on Demand (BoD) immer noch haben, lassen es sich die Verlage nicht nehmen, neue Bücher mit genau diesem Mängelverfahren herzustellen. Also nocheinmal, der Sicherheit halber: Es geht nicht darum, daß man die Lagerbestände möglichst klein halten will, weshalb man sich freut, wenn man mit der digitalen Reproduktionstechnik auch Kleinauflagen von 50 Stück rentierlich herstellen und jederzeit nachdrucken kann; darum geht es nicht, darum ging es auf diesem Blog schonmal an anderer Stelle.

Es geht hier um die Neuerscheinungen. Um die Neuerscheinungen. Die jetzt eben nicht mehr gedruckt werden, sondern mit dem digitalen Wischi-Waschi-Verfahren produziert und im Katalog als »neu« angezeigt werden. Das kauft man sich erfreut, weil man denkt, daß man ein neu gedrucktes Buch erhält, nur um nach dem Aufschlagen des Buches festzustellen: Man bekommt eine Art Copy-Shop-Buch, das sich von der Copy-Shop-Produktion nur durch den Verlagseinband noch unterscheidet. Denn listigerweise ist die äußere Gestalt des Buches noch die erwartete: Verlagseinband mit allen Eigenschaften eines guten Drucks, also mit den schönen Verlagsfarben und schön scharfen Buchstabenrändern. Gut lesbar. Nur eben nicht, wenn man das digitale Dings aufschlägt. Dann schwimmt einem die Buchstabensoße davon, denn man bekommt mit dem digitalen Wischi-Waschi-Verfahren keine randscharf gedruckten Buchstaben aufs Blatt Papier, sondern eine Art Buchstabenausriß.

Wer’s nicht glauben mag, eh voilà: Hier die durchgesehene und bibliographisch ergänzte Ausgabe des »Contrat social« von Rousseau, 2023 bei Reclam herausgekommen (ja, die Kamera ist nicht so gut, wie sie sein sollte; aber man nehme die schärfste Stelle, die man sieht, und schaue, ob die wirklich scharf geschnitten aussieht):

Rousseau [Rousseau im Reclam-Verlag, 2023.]

Und jetzt die als brandneu angekündigte Neuübersetzung von Platons Phaidon, ebenfalls bei Reclam:

Phaidon [Phaidon im Reclam-Verlag, 2025.]

Das sieht alles genauso wischiwaschi aus wie das im Rudolf Steiner Verlag erschienene Taschenbuch von Steiners Die Sendung Michaels:

Steiner [Rudolf Steiner: Die Sendung Michaels, 2022.]

Ernüchternd. Alles technisch derselbe digitale Brutalismus, der das Herz der rotstiftführenden Controller in den Verlagen erfreut, das Herz der Leser aber keineswegs, weshalb hier meine Prognose auf dem Fuße folgt: Liebe Verlage, ihr sägt an dem Ast, auf dem ihr sitzt. Der Ast heißt: technisch gut gemachtes Buch, das dem Auge des Lesers eine Freude ist, und im allerbesten Fall auch gut in den Händen des Lesers liegt. Alles andere ist Murks. Und bleibt Murks. Und wird Euch erst »Image« kosten, dann Umsatz, und dann werdet Ihr untergehen. Und sei es auch nur der beinahe unbemerkte Untergang im Wahl eines größeren Verlagswalfischs, der Euch erst als Imprint weiterführen wird (ein bisserl Pietät schad’ nix), aber Euch alsbald fallenlassen wird, wenn Euer »Image« auf den Wal übergegangen sein wird.

Daß man immer noch drucken kann, beweist der letzte hier vorzunehmende Fall: Henrichs Hegel im Kontext habe ich mir zusammen mit den oben genannten Büchern am selben Tag besorgt, weil ich die Neuauflage von Henrichs Buch haben wollte, in der sich ein neues Kapitel über »Kontemplation und Erkenntnis« findet. Schöne Sache. Und daß das Buch gedruckt ist, ist auch schön. Nicht schön ist, daß man beim Nachdruck eine Drucktype beziehungsweise ein Satzprogramm benutzt hat, der/dem der Sachverhalt der Ligatur völlig fremd ist. Ich weiß nicht, woran das liegt. Ob da einer vergessen hat, ein Häkchen im Programm vor »Ligatur« zu setzen, oder ob da inzwischen Setzer am Werk sind, die mit bildschirmverdorbenen Augen die wunderbaren Feinheiten der Typographie, die Texte lesbarer machen, nicht mehr sehen und keine Ahnung haben, wozu das mal gut war und weiterhin gut wäre, wenn man es denn erstens wüßte und zweitens praktisch zur Anwendung bringen würde. Jeder Asterix ist inzwischen besser gesetzt als Henrich. Falls ein moderner Setzer noch Scham empfinden würde: Hier bitte tiefrot werden.

Hier der Henrich ohne Ligatur, siehe das Wort »Begriff« in der zweiten Zeile und das Wort »Einfluß« in der vierten Zeile rechts:

Henrich [Henrich: Hegel in Kontext, 2023.]

Dem geschätzen Leser dieses Blogs abschließend ein Rat; er kommt aus einer gewissen gehäuften Frustration heraus: Man kaufe ungeprüft keine Neubücher mehr, wenn es nicht sein muß. Neubücher nur noch kaufen, wenn man vorher Gelegenheit hatte, das Buch in der Buchhandlung eingehend zu inspizieren; auf keinen Fall aufgrund einer Rezension oder Katalogeinkündigung das Buch einfach so bestellen; auch ein als aktueller Nachdruck angekündigtes Buch kann jederzeit ein digitaler Wischi-Waschi-Nachdruck sein, und das ist offenbar immer häufiger der Fall.

Also umdenken und umkehren und das Kaufverhalten ganz neu ausrichten: Immer erst schön bei antiquariat.de nachschauen, ob dort eine gedruckte Ausgabe noch lieferbar ist; dann erst bei Booklooker oder sonstwo recherchieren; bei allem, was vor 2015 im Druck das Licht der Welt erblickt hat, dürfte man gute Chancen haben, daß es auch wirklich noch gedruckt wurde. Bei allem andern droht nach dem Kauf der Ärger.