Ich kaufe mir fast keine Neubücher mehr. Denn zu vieles ist an neuen Büchern nicht so, wie es sein sollte: Die gute alte Drucktechnik ist durch Copyshop-Verfahren ersetzt und macht die Buchstaben auf dem Papier unscharf; manchmal läuft das Papier falsch, d.h. es wellt sich vertikal gegen den Buchblock; und die 1996 von oben verfügte Rechtschreibreform hat uns eine Revolutionsschreibung beschert, die die Texte entstellt. Jedenfalls weigere ich mich, solche orthgraphischen Monstrositäten wie »Schlussszene«, »Baletttänzer« oder »Schifffahrt« für gut lesbares Deutsch zu halten, dem ich als Schreiber dann auch noch nachzueifern hätte. Ich suche bei diesen Wörtern die Wortfuge, finden sie nicht, und prompt wird mir in der Wortmitte schwindlig.
Aber es ist ja nicht nur die Revolutionsregel, die Wörter gedankenlos aneinanderzureihen, um ein Kompositum zu bilden, über dessen Lesbarkeit und also auch ästhetische Gestalt man sich keine Gedanken macht. Wie schön waren die Zeiten, als ein Wort wie »Schluß« ein klares Ende hatte, das auch ein Kompositum wie »Schlußszene« lesbar machte; wie schön war es, daß man insgesamt vermied, Buchstaben-Dreifachcluster zu schreiben, die das Wort eben nicht lesbarer, sondern unlesbar machen, siehe »Balettänzer« (alt) versus »Baletttänzer« (neu).
Nein, diese Regel alleine ist es nicht. Ich habe angesichts einer Neuanschaffung (ausnahmsweise mal doch) vielmehr zum zigsten Mal mich über die wirklich dümmlichen Trennregeln neuest-revolutionärer Machart geärgert. Da stand in dem Buch am Zeilenende das Wort »herein«, und man hatte es allen Ernstes getrennt in »he- rein«; ich fand auch schon »Bib- liothek«; oder »Dip- lom«. Kann man alles machen, wenn man der Meinung ist, man müsse die Wörter nur langsam aussprechen, um die Silben zu bestimmen und dann das Wort an der vermeintlichen Silbengrenze auch trennen zu dürfen. Aber man zerstört damit das Bewußtsein für die Sprachstruktur sowohl der genuin deutschen als auch der eingedeutschten Wörter.
Der »Duden« als Wörterbuch und Regelerfinder und -erklärer, erklärt die Sache so: Wenn das Wort als Zusammensetzung nicht mehr erkannt oder »empfunden« werde, dürfe man an der fraglichen Stelle trennen. Nun freilich: Gegen die fehlende Erkenntnis würde Aufklärung helfen, und gegen das mangelnde Sprachempfinden würde etwas mehr zugeneigte Beschäftigung mit der eigenen Sprache von Nutzen sein. Oder warum soll es so schwer sein, in einem Wort wie »hinein« die beiden Komponenten »hin« und »ein« zu erkennen, wo wir doch im Alltag als Sprecher mit mannigfachen »hin«-Verbindungen zu tun haben: »Hinführung«, »Hinneigung«, »hinnehmen«, »hinunter«; und ebenso ist uns auch das »ein« genugsam vertraut, als »Einmachglas«, »Einakter«, »einsammeln«, »eingeben«. Aber ausgerechnet bei dem Wort »hinein« stellt sich der »Duden« künstlich dumm und sagt: Man könne es trennen in »hin- ein« und in »hi- nein«, und der »Duden« empfiehlt (!) dann dies: »hi- nein«. Als bestünde das Wort aus der Silbe »hi« und der Verneinung »nein«. Daß der »Duden« dann auch »he- raus« als Trennung empfiehlt, liegt in der Logik einer Sprachverhunzungsredaktion, die ihren Kredit als Sprachpflegeinstitution längst verspielt hat. An der Sache, um die es geht, liegt diese Trennempfehlung jedenfalls nicht.
Es wundert dann natürlich nicht, daß der »Duden« auch bei den komplexeren Phänomenen, nämlich den Wörtern aus fremden Sprachen, die Trennsegel gestrichen hat und den Sprechern und Schreibern des Deutschen systematisch das Sprachbewußtsein austreiben möchte. Für ein Wort wie »Bibliothek« kennt der »Duden« die Trennung nach »Bi- blio- thek«, aber auch »Bib- lio- thek«, und man muß schon froh sein, daß die Redaktion nicht auch noch »Bib- li- othek« im Programm hat. Empfohlen wird hier übrigens »Bi- blio- thek«, also die klassische Trennung. Warum das empfohlen wird, und warum es bei »hinein« sprachwidrig anders empfohlen wird, bleibt jedem, der nicht in der entsprechenden Arbeitsgruppe der »Duden«-Redaktion gesessen und Kaffee getrunken hat, ein unerklärliches Rätsel.
Bei »Hydrant« dagegen reitet die Redaktion dann wieder der Revolutionsgeist, der nach einfachen Sprechsilben getrennt haben möchte und behauptet, man würde das Wort als »Hyd- rant« sprechen und folgen auch so trennen können; neben der alten und gewohnten Form »Hy- drant«, versteht sich. Bei »Hyperbel« gilt das laut »Duden« übrigens nicht, das darf man auch nach Revolutions-»Duden« nicht als »Hyp- erbel« trennen, auch wenn es sicherlich irgendwo irgendjemanden gibt, der das so zu sprechen versucht; nein, das Ding bleibt weiterhin eine »Hy- per- bel«. Die »Hyäne« dann allerdings wieder eine »Hy- äne« oder auch eine »Hyä- ne«.
Kurzum: Irgendwie will man auf ein »Macht, was ihr wollt« hinaus, traut sich aber nicht, alle alles machen zu lassen. Denn schließlich bräuchte man keinen »Duden« und keine »Duden«-Redaktion mehr, wenn man alle alles machen ließe. Also hat man den üblichen Arbeitsgruppeneffekt erzeugt, der nach Konsum von viel Kaffee und dem Verbrauch von viel Sauerstoff irgendetwas als regelungsbedürftig einschätzt, anderes aber nicht, insgesamt aber kein Interesse daran hat, den noch lernenden Schreibern und den bereits erwachsenen Schreibern die Struktur der von ihnen geschriebene Sprache näherzubringen. Und dabei dann auch darauf hinzuweisen (und es einzuüben), daß es Fremdwörter gibt, die ihren eigenen Regeln gehorchen, die man aber lernen kann, wie alles in der Welt. Immerhin: An ein Wort wie »Hämorrhoide« hat man sich bei den »Duden«-Leuten trennlogisch-revolutionär noch nicht herangetraut.