Glückwunsch zur Projektstelle!

Geschrieben von Uwe Jochum am 9.2.2020

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Substanz abräumen


Uwe Jochum

Wissenschaftlicher Bibliothekar

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Liebe N.,

ich freue mich, daß Du, wie Du mir schriebst, Dich erfolgreich um eine Stelle als Projektmitarbeiterin an der X-Bibliothek beworben hast! Das ist — angesichts der Unsicherheiten auf dem Arbeitsmarkt mit den vielen befristeten Stellen und den beginnenden Entlassungen wegen allerlei politökonomischer »Wenden« — nicht gering zu schätzen! Und nachdem das Bibliothekswesen ja kaum noch unbefristete Stellen im Höheren Dienst ausschreibt, ist eine Projektstelle natürlich besser als nichts.

Dennoch überrascht es mich, daß Du diesen Weg eingeschlagen hast. Denn so sehr ich mich freue, daß Du erstmal untergekommen bist, so sehr habe ich Bedenken, ob Du mit dieser Stelle auf dem richtigen Weg bist. Ich will Dir die Freude über die Stelle gewiß nicht verderben, aber ich will Dich auch nicht in eine Situation laufen lassen, die Du nicht recht überschauen kannst. Laß mich Dir daher die Gründe für meine Bedenken nennen.

Erfolg [Quelle: Bild von Igor Link auf Pixabay.]

Zum ersten bringt Dich die Projektstelle nicht wirklich in eine beruflich sichere Position: Sie ist mit EG 14 zwar sehr gut bezahlt, aber befristet auf drei Jahre, so daß Du spätestens im letzten Befristungsjahr Dich umschauen mußt, um eine feste Stelle zu finden. Sicherlich wird man Dich damit locken, daß Du, sofern Du Dich auf der Stelle bewährst, eine Verlängerung um weitere drei Jahre erhalten kannst — und ich habe keine Zweifel, daß Du Dich bewähren wirst. Aber dann sitzt Du jetzt eben auf einer Sechsjahresstelle, und danach ist definitiv Schluß. Das ist in meinen Augen keine echte Perspektive, eine Lebensperspektive schon gar nicht.

Denn zum zweiten wirst Du nun in den nächsten Jahren zwar viele interessante Menschen aus den mit Deinem Projekt kooperierenden Projekten an der Y- und der Z-Bibliothek kennenlernen, und Du wirst sogar ins A-Ministerium fahren, um dort an einer übergeordneten Projektgruppe mitzuarbeiten. Aber eine berufliche Qualifikation, die Dich unabhängig von den politisch gewollten Trends machen würde, wirst Du nicht erwerben. Du wirst Dich in einer von der Politik sehr komfortabel ausgestatteten Projektblase aufhalten, aber das wird Dir auf dem Arbeitsmarkt nichts nutzen. Denn Du wirst in spätestens sechs Jahren zwar viel »koordiniert« haben, Du wirst irgendwelche mit dem Projekt verknüpften juristischen Probleme kennen, Du wirst ein »Nutzerfeedback« erhoben und Excel-Tabellen gefüllt, mindestens einen umfänglichen Projektbericht geschrieben und ein »Nachhaltigkeitskonzept« entwickelt haben — ganz so, wie es im Ausschreibungstext für Deine Stelle steht. Aber das hast Du im Prinzip schon als Lehrstuhlmitarbeiterin gemacht, die Du bisher warst, und nun machst Du es in anderem Kontext, bleibst aber auf einer arbeitsmarktfernen Universitätsstelle sitzen — und wirst am Ende nichts gelernt haben, was Dich auf dem Arbeitsmarkt für irgendetwas qualifizieren würde. Denn schau: In der Welt außerhalb der Projektblasen machen das, was Du jetzt machen wirst, viele andere auch, aber sie machen es als gelernte Ingenieure, als gelernte Programmierer, als gelernte Lehrer, als gelernte Kaufleute, sie machen es von ihrem beruflichen Schwerpunkt aus, in dem sie sehr konkretes Praxiswissen mit den üblichen Instrumenten, die es für Menschen- und Sachkoordinationen nun einmal braucht, verbinden; und im Idealfall bringen sie dabei Sachkenntnis und Lösungskompetenz so zusammen, daß daraus ein Aufstieg werden kann, wie bescheiden der auch immer ausfallen mag. Dir aber wird in spätestens sechs Jahren immer noch ein gelernter Beruf fehlen, und das wird sich nach Ablauf der Projektstelle als ein gravierender Mangel auf dem Arbeitsmarkt herausstellen.

Erfolg [Quelle: Bild von morzaszum auf Pixabay.]

Drittens aber wirst Du Dich in den kommenden Monaten darüber wundern, daß die Kollegen, die schon länger an der X-Bibliothek arbeiten, sich nicht sonderlich für Dein Projekt interessieren und Dir etwas reserviert begegnen werden. Du wirst wahrscheinlich glauben, das liege daran, daß die alle irgendwie »old school« sind und die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben. Du irrst Dich sehr. Sie haben die Zeichen der Zeit erkannt, und ich fürchte — bitte sei jetzt nicht beleidigt —, sie haben sie besser erkannt als Du. Denn Deine neuen »old-school«-Kollegen wissen nicht nur, daß Du lediglich ein durchreisender Arbeitsgast in ihrem Haus bist, sie wissen auch, daß das meiste von dem, was Du auf Deiner Projektstelle tun wirst, zu nichts Dauerhaftem führen wird, daß sie aber, wenn es dumm läuft, Dir zuarbeiten sollen, ohne etwas von Dir und Deinem Projekt zu haben. Kurzum: Sie wissen, daß all das Schicke, das Du da machen sollst, im Grunde auf ihre Kosten schick sein soll, und sie wissen, daß in sechs Jahren, wenn Du gehen wirst, sie weiterhin und wie immer ihre gewohnten Routinen machen werden, um die sich die jeweiligen Bibliotheksdirektionen nicht scheren werden, weil sie als Routinen zwar die Bibliothek am Laufen halten, aber kein Image bringen, schon gar nicht dem Ministerium gegenüber, das erfolgreiche Projekte sehen will. Du wirst also, ohne es zu wissen und ohne es zu wollen, die routinierten Kollegen, die schon lange da sind und noch lange da sein werden, eher nerven als erfreuen, und wenn sie höflich sind (was meistens der Fall ist), werden sie Dich das nicht merken lassen. Aber auch wenn sie höflich sind, wird es so sein, daß ein Abstand zwischen Dir und ihnen bleibt, weil Du, egal wie Du Dich anstrengen wirst, zum Haus nicht dazugehörst und niemals dazugehören wirst.

Wäsche [Quelle: Bild von chezbeate auf Pixabay.]

Das liegt, und das ist der vierte Punkt, auch und ganz besonders daran, daß Deine Projektstelle im Haus ganz oben aufgehängt sein wird; es ist eine Stelle, wie Du mir schriebst, auf der Du direkt — ich folge Deinem amerikanisierenden Neusprech — »der Bibliotheksdirektion berichtest«. Das klingt sehr schön, aber ich fürchte, es macht Dich glauben, daß Du nun auch ein direktoriales Gewicht in der X-Bibliothek haben wirst. Das ist schon so. Aber auch wiederum nicht. Denn in den Managementzeiten, die wir nunmal haben, ist das von der Bibliotheksdirektion gewollte Projekt mit den Abteilungen des Hauses nicht oder nur unzureichend abgesprochen, der Wille und die Kompetenz der Abteilungen zählten bei der Projektfindung nicht im geringsten, und auch die Frage, ob das Projekt irgendwelche in der X-Bibliothek aufgetretenen Probleme lösen wird, zählte nicht. Das einzige, was zählte, war der Imagegewinn der X-Bibliothek und natürlich der X-Bibliotheksdirektion gegenüber dem projektausschreibenden A-Ministerium. Ich bin mir nicht sicher, ob Du wirklich verstehst, was das für Dich bedeutet. Ich kann es Dir nur in einem einfachen und in seiner Einfachheit brutalen Satz sagen, einem Satz, von dem ich hoffte, ihn Dir nicht schreiben zu müssen: Du bist, von den Mitarbeitern der X-Bibliothek her gesehen, nichts weiter als ein Geschöpf der Direktion, ohne eigenes Gewicht. Überall, wo Du in Abteilungssitzungen der X-Bibliothek auftauchen wirst, wird man darauf Rücksicht nehmen, daß in Dir gleichsam die Direktion mit am Tisch sitzt. Man wird daher, siehe oben, höflich sein, aber reserviert bleiben, wird Dir die sachlichen Einwände und Bedenken, die man hat, nicht offen mitteilen, wird Dir statt dessen ungefähr das sagen, was man meint, daß Du (und in Dir die Direktion) hören willst — und dann wird man einen Bogen um Dich machen.

Rad im Getriebe [Quelle: Bild von Arek Socha auf Pixabay.]

Es ist ziemlich wahrscheinlich, fünftens, das aus dieser Konstellation Konflikte entstehen werden. Die meisten davon wirst Du gar nicht mitbekommen, weil sie sich außerhalb Deiner Projektblase abspielen werden; und wenn Du sie mitbekommst, wirst Du glauben, das liege am Beharrungsvermögen der anderen, an ihrem schieren Unverständnis oder an einfacher Inkompetenz. Nein. Es liegt an der strukturellen Verwerfung zwischen den seit Jahrhunderten etablierten Abteilungen der Bibliotheken (Benutzung, Katalogisierung, wissenschaftlicher Dienst) und dem imgageträchtigen Projektwasserkopf. Diese Verwerfung sieht so aus, daß alle, die tagein und tagaus die Arbeit machen, von der um sich greifenden Projektitis in den Schatten geschoben werden und überall die als Sonnengötter agierenden Bibliotheksdirektionen (m/w/d) sich ins warme und helle Licht zu stellen versuchen, koste es die Bibliothek, was es wolle. Da Deine Aufgabe letztlich darauf hinausläuft, das direktoriale Sonnenbaden tatkräftig zu unterstützen, gehörst Du folglich für das Haus zu denen, die die strukturellen Verwerfungen verschärfen. Dankbarkeit für Deine Arbeit kannst Du folglich nicht erwarten — von den Mitarbeitern nicht, denn für die bist Du bloß ein weiterer direktoraler Mitläufer und Mitmacher, der die Arbeit stört und mit unausgegorenen Projektflausen Ärger macht; und von der Direktion auch nicht, denn für die bist Du ein einfacher Lakai, der je nach Bedarf die Sonnencreme zu reichen hat. Wenn Du das alles zu Ende denkst, wird es so ausgehen: Eines schönen Tages werden die die projektfinanzierende Deutsche Forschungsgemeinschaft und die kofinanzierenden Minsterien ihren Willen gehabt und die Medien werden das Lob der Ministerien und der Deutschen Forschungsgemeinschaft gesungen haben — und dann wird man die Projektförderung herunterfahren oder ganz einstellen. Über Nacht wird dann die eben noch bequem und mit Deiner Hilfe sonnenbadende Bibliotheksdirektion den Schatten suchen oder wie eine Sonnenblume den Hals in eine andere Sonnenrichtung drehen. Und dann wird der Spaß auch für Dich vorbei sein, sang- und klanglos wird man Deine Projektstelle kassieren, und in spätestens zehn Jahren wird niemand mehr wissen, daß es an der X-Bibliothek unter der Leitung der X-Direktion ein »Projekt Alpha und Omega« mit Dir als Projektleiterin gegeben hat.

Projektleitung [Quelle: Bild von Mariana Anatoneag auf Pixabay.]

Natürlich, es stimmt schon, sechstens, daß neulich an der Z-Bibliothek die Sowieso von einer Projektstelle auf eine feste Stelle rutschte. Das kommt vor, manchmal. Aber gut ist das nie, weder für die nun fest angestellte Person noch für das Haus, in dem sie jetzt fest angestellt ist. Denn zum einen bleibt die Person, die da umgetopft wurde, ein Direktionsgeschöpf — den Ruch wird sie nie mehr los. Zum andern wird die Z-Direktion in einigen Jahren in den Ruhestand gehen, und spätestens dann wird sie ihre schützende Hand nicht mehr über die Sowieso halten können, und, schlimmer noch, ihre Nachfolgerin wird ein ganz anderes dienstliches Hobby zu ihrer Sache machen, irgendein neuer Trend wird dann ausgerufen sein, auf dessen Wellen die neue Direktion surfen wird, und die Sowieso wird überrascht und schockiert feststellen, daß sie nicht nur für das Haus, an dem sie festangestellt wurde, nicht mehr sonderlich interessant ist, sondern auch für die neue Direktion nicht, weil die ihre neuen Projekthobbies mit neuen Projektmitarbeitern pflegen wird. Die Sowieso wird sich also zwischen allen Stühlen sitzend wiederfinden, und das ist keine gemütliche Sitzhaltung, schon gar nicht, wenn es bis zur Pensionierung noch runde zwanzig Jahre sind. Die Sowieso wird also, vom Haus aus gesehen, so etwas wie ein Erinnerungskern an schlechte Zeiten und eine ungeliebte Direktion sein, sie wird, wo sie auch auftaucht, auf allerlei reservierte Haltungen stoßen, Jahre später noch, weil man immer, wenn man sie sieht, in ihr sehen wird, was schief läuft in der Bibliothek und in welchen ungelösten Problemlagen man selbst schon seit Jahren feststeckt. Aber man wird nicht vergessen, daß die Sowieso mal als große Nummer daherkam und große Sprüche klopfte und allen auf die Nerven ging, von oben gedeckt und gewollt, nun aber von oben verlassen. Und wenn die Sowieso das dann eines Tages verstanden haben wird, wird sie bereuen, die feste Stelle angetreten zu haben. Sie hätte besser daran getan, zur rechten Zeit wegzugehen. Ich rate Dir daher dringend, in Gedanken nicht zu viel und zu oft auf einen Wechsel aus der Projektstelle in ein festes Anstellungsverhältnis zu setzen. Dieser Wechsel ist ein hochgradig vergiftetes Geschenk.

Enttäuschung [Quelle: Bild von Devoka auf Pixabay.]

Ich bitte Dich sehr: Laß Dir das alles nochmal durch den Kopf gehen, beobachte Deine neue Umgebung, bleibe nüchtern in Deinen Einschätzungen und laß Dich nicht von den Eitelkeiten einfangen, die darin liegen, an Direktionsrunden, Ministerialkonferenzen und EU-Sitzungen teilnehmen zu dürfen und in guten Hotels auf Kosten der Steuerzahler absteigen zu können. Schiebe das alles beiseite, es ist ohne Substanz. Es ist eine politisch gewollte Blase, die aus politischen Gründen eines Tages platzen wird. Du solltest unbedingt schauen, wie die Welt außerhalb dieser Blase tickt. Du solltest eine Berufsausbildung absolvieren, auf der Du solide Kenntnisse erwirbst und solide praktische Erfahrungen sammeln kannst, die Dich blasenunabhängig machen.

Ich weiß, das sind harte Worte, mitten in Deine Freude hineingesprochen. Aber es sind ehrliche und um Dich besorgte Worte. Ich wünsche mir sehr, daß Du Dich klug entscheiden mögest. Und ich wünsche Dir weiterhin alles erdenklich Gute!