DFG2020

Geschrieben von Uwe Jochum am 2.8.2020

Vom selben Autor:


σύνταξις | XII | syntaxis


Uwe Jochum

Wissenschaftlicher Bibliothekar

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Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) »dient der Wissenschaft in allen ihren Zweigen durch die finanzielle Unterstützung von Forschungsarbeiten und durch die Förderung der nationalen und internationalen Zusammenarbeit der Forscherinnen und Forscher.« So steht es in § 1 der Vereinsatzung, und es steht dort gleich im ersten Satz.

Lange Jahre durfte man glauben, bei der DFG handle es sich um einen über das Wissenschaftsministerium und letztlich den Steuerzahler alimentierten Verein, der runde 3,4 Milliarden Euro ausgibt, um satzungsgemäß Deutschlands allerbeste Forschung finanziell zu unterstützen. Aber spätestens seit dem Beginn des »Open-Access«-Zeitalters reiben wir uns verwundert die Augen. Denn aus dem wissenschaftsunterstützenden ist längst ein wissenschaftslenkender Verein geworden, dessen politische Unabhängigkeit immer fadenscheiniger wird. Was allerbeste Forschung ist, bemißt sich nämlich längst nicht mehr danach, ob jemand irgendwo in Deutschland ganz unabhängig Ungeahnt-Aufregendes denkt und schreibt und die Menschen oder doch zumindest andere Wissenschaftler dafür zu interessieren vermag; allerbeste Forschung bemißt sich vielmehr seit Jahren schon nach dem, was in eines der DFG-finanzierten Forschungsprogramme paßt. Diese Programme darf man sich nun nicht als einen aus dem Alltag der Forschung emporgewachsenen Bedarf denken, sondern als von der Politik von oben nach unten durchgereichte Zielvorgaben, die von der Forschung an den Universitäten und an den sonstigen Forschungseinrichtungen mit den gewünschten Inhalten zu füllen sind. Dabei wirkt »Open Access« als mächtiger Hebel, weil über die sehr konkreten und als Fördermaßnahmen daherkommenden Publikationsvorgaben, die die DFG den Wissenschaftlern aufnötigt, sich filigran steuern läßt, welche Forschungsthemen man »macht« und welche man fördertechnisch unter den Tisch fallen läßt. Man muß dazu nur den einen Publikationen von seiten der DFG (und also von seiten des Staates) finanziell unter die Arme greifen und die anderen am ausgestreckten Arm verhungern lassen. Das alles ist bekannt und in diesem Blog kontinuierlich beleuchtet worden, und weil es so bekannt ist, sollte man darüber eigentlich kein Wort mehr verlieren müssen.

Das muß man nun aber doch. Denn es fügt sich, daß ausgerechnet im Jubiläumsjahr 2020, in dem die DFG auf ihre einhundertjährige Geschichte zurückblicken will, um unter der neuen Präsidentin Katja Becker und unter dem Programmtitel »DFG2020« »ihre Überzeugung für eine freie und erkenntnisgeleitete Forschung in die Gesellschaft [zu] tragen« (so steht es dort auf der Website) — daß ausgerechnet in diesem Jubiläumsjahr die DFG sich selbst als polithöriger Verein von Umfallern vor aller Augen desavouiert. Und zwar mittels einer thematischen Engführung, wie man sie gar nicht besser hätte erfinden können. Denn während die Präsidentin der DFG in einem Videostatement (abrufbar hier) davon spricht, »wie wichtig und wertvoll eine freie und unabhängige Wissenschaft ist, vor allem auch für eine offene und informierte Gesellschaft«, nimmt dieselbe DFG ein für ihre Kampagne extra eingeworbenes Statement des Kabarettisten Dieter Nuhr wieder vom Netz — nach einem Scheißesturm auf Twitter, bei dem sich die Trierer Germanistik- und Gender-studies-Professorin Andrea Geier besonders ins Zeug gelegt hatte:

Geier [Quelle: Twitter.]

Wie man sieht, genügt es Frau Geier, Dieter Nuhr als »Klimawandelleugner« und »Kritiker von Maßnahmen gegen die Pandemie« zu etikettieren, um sich aller weiteren Argumentation enthoben zu fühlen. Sicher wird man sagen: Twitter sei gar nicht das Medium für eine wissenschaftliche Debatte, und ich würde da auch sofort zustimmen. Aber das ist in diesem Fall nicht der Punkt. Der Punkt ist der, daß Frau Geier nicht nur einfach so nebenher auf der Website der Universität Trier auf ihr Twitter-Konto verlinkt, sondern explizit dafür eintritt, Twitter als ein mögliches Medium der Wissenschaftskommunikation und als Chance für die Geisteswissenschaften zu betrachten. Das hat sie im Jahre 2019 in den Mitteilungen des Germanistenverbandes in einem »Open-Access«-Beitrag ausführlich dargestellt, um dort auch die fünf »A’s« der Wissenschaftskommunikation auf Twitter zu benennen: Aufmerksamkeit, Anschlußfähigkeit, Austausch, Anerkennung und Abenteuer. Dabei ist sie sich bewußt (siehe S. 288 ihres Beitrags), daß man Anschlußfähigkeit aktiv herstellen müsse, um einen »Resonanzraum« zu finden, was, wenn die ganze Sache auf Anerkennug stoße, Anschlußkomunikationen hervorrufe, »die eigene Dynamiken entwickeln, in einen debattierenden Salon führen oder schlicht Gelegenheit bieten, noch einmal Beiträge und Leistungen, eigene wie die anderer, hervorzuheben.« (ebd.) Auf diese Weise, so meint Frau Geier, käme die anschlußsuchende Wissenschaft aus dem Elfenbeinturm heraus — aber was Frau Geier dabei zu erwähnen vergißt, ist dies: Jenseits des Elfenbeinturms lauern die Hyänen, und was vom Turm aus wie eine nette Plauderei ausschaut, zeigt sich aus der Nähe als einfacher Machtkampf um die Deutungshoheit auf dem Wissenschaftsgelände und natürlich auch als Kampf um die Fleischtöpfe der DFG, deren siegreiche Eroberung allerdings jede Menge anschlußfähige Anerkennung bringt.

Wie man diesen Kampf und worum man ihn zu führen hat, hat Frau Professor Geier nun allerdings in hinreichender Deutlichkeit selbst vorgeführt: Mit dem Denunziationsmedium Twitter in der Hand kämpft sie nicht nur auf seiten der »Cancel Cuture«, die umstrittene Denkmäler abräumen will, sondern zögert auch nicht, unbequeme Zeitgenosse denkbequem ins Abseits zu stellen; ihr genügen dazu zwei einfache Buzzwords, »Klimaleugner« und »Kritiker von Maßnahmen gegen die Pandemie«.

Denkmäler abräumen [Quelle: Twitter.]

Was Dieter Nuhr gesagt hat, ist zum Glück »im Netz« noch aufrufbar. Es lohnt sich, das anzuhören, um den Unterschied im Reflexionsniveau, der zwischen Nuhrs Ausführungen und Geiers Denunziation besteht, auszuloten. Wem das zur Abschätzung des Qualitätsgefälles zwischen Nuhr und Geier noch nicht genügt, der lese Nuhrs Erklärung, die er angesichts der Löschung seines DFG-Statements auf Facebook veröffentlicht hat. Ich fasse das so zusammen: Das eine ist Wissenschaft ungefähr auf der Höhe von Hegel, das andere aber ist die Reinkarnation eines McCarthyismus, der unter dem Deckmantel vermeintlicher Wissenschaft nichts anderes betreibt als die Ausrottung wahrhaft wissenschaftlicher Umtriebe. Und die DFG macht munter mit, indem sie öffentlich vorführt, wie das mit der »freien und erkenntnisgeleiteten Forschung« für eine »offene und informierte Gesellschaft« denn nun genau zu verstehen ist.

Wie schrieb Nuhr am Ende seiner Facebook-Erklärung? »Mir gruselt es.«

Anmerkung

Wer das Thema in den Medien verfolgen will, findet es derzeit (2. August) dargestellt in der WELT, auf Tichys Einblick hier und hier, auf der Achse des Guten und auf Philosophia Perennis. Es wundert nicht, daß die Süddeutsche Zeitung den Löschmeistern von der DFG und den Scheißestürmern im Netz beispringt, während die Frankfurter Allgemeine Zeitung schweigt.

Nachtrag am 3. August 2020

Inzwischen hat auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung auf die Löschaktion der DFG reagiert. Siehe hier.