Konzertierte Forschung in Zeiten von Corona

Geschrieben von Uwe Jochum am 20.8.2021

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Uwe Jochum

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Der nachfolgende Beitrag erschien zuerst am 10. August 2021 auf der »Achse des Guten« unter dem Titel »Forschung: Helmholtz und die Politik«. Wer es dort verpaßt haben sollte, findet den Text nun hier.

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Seit vielen Monaten sind wir daran gewöhnt, dass die Medien und die Politik zur Legitimation der Corona-Maßnahmen auf eine überschaubare Gruppe von Wissenschaftlern zurückgreifen, die ein ums andere Mal die gewünschte Expertise liefern, um uns mehr Masken, mehr Lockdown und mehr Impfungen als vernünftig anzutragen. Diese Expertengruppe besteht zum einen aus den beiden medial gehypten Superstars Karl Lauterbach und Christian Drosten, in denen sich die Synthese von Politik und Medizin verkörpert. Zum andern aber gehört zu diesen Experten eine nicht ganz randscharf abgrenzbare Gruppe von Wissenschaftlern, die der Öffentlichkeit als virologische Fachleute präsentiert werden, denen es nur um die wissenschaftliche Wahrheit und von dort her nur um das gesellschaftlich Beste zu gehen scheint.

Die Wahrnehmung, dass wir es hier mit reiner Wissenschaft zu tun haben, speist sich nicht zuletzt aus der institutionellen Herkunft dieser Forscher. Die meisten von ihnen – Melanie Brinkmann, Carlos Guzmán, Gérard Krause, Michael Meyer-Hermann — arbeiten am »Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung« (HZI) in Braunschweig, also an einer Einrichtung, die zur »Helmholtz-Gemeinschaft der Forschungszentren« zählt und damit für sich in Anspruch nehmen darf, »Spitzenforschung« zu betreiben. Und zwar, wie das HZI erklärt, »in Richtung medizinischer Anwendung«.

Drawing[Zufahrt zum HZI. Quelle: TeWeBs, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons.]

Dieser am HZI institutionalisierte Weg von der Forschung zur Anwendung nennt sich »Translationsforschung«. Sie will interdisziplinär die Forschung zu Bakterien und Viren so bündeln, dass eine praktische Weiterverarbeitung der Forschungsergebnisse beschleunigt und also die effiziente Entwicklung neuer Medikamente, Therapien und Impfstoffe möglich wird. Mit anderen Worten: Das HZI ist ein Brückenkopf zwischen Grundlagen-, klinischer und pharmazeutischer Forschung, dem es, wie man am HZI sagt, um die Zusammenführung von Erkenntnisgewinn, Prozess- und Produktoptimierung geht. Kurz: Am Ende will man mit dem, was am HZI geforscht wird, nicht nur Krankheiten besiegen, sondern auch Geld verdienen können.

Der auf das Jahr 2018 datierende »Forschungsbericht«, den das HZI als eine Art Rechenschaftsbericht veröffentlicht, weist aus, dass sich 804 Mitarbeiter auf 702 Planstellen um die Translation von medizinischer Forschung in klinisch verwertbare Produkte kümmern. Dabei fallen pro Jahr rund 500 Publikationen als wissenschaftlicher Output an, während als Input die 78 Millionen Euro dienen, die der deutsche Steuerzahler laut »Forschungsbericht« des HZI pro Jahr für den Betrieb der Einrichtung aufbringen muss. Anders gesagt: Ein Aufsatz, den das wissenschaftliche Personal des HZI in einer Fachzeitschrift veröffentlicht, kostet den Steuerzahler rund 156.000 Euro. Dafür kommt dann auch wieder Geld über Patente herein, von denen das HZI 66 als »Patentfamilien« hält. Wieviel Geld da hereinkommt, verrät das HZI nicht.

Aber es verrät, dass seine Arbeit deutschlandweit an neun Standorten stattfindet. In Braunschweig liegt das HZI-Hauptquartier, das sich nach schickem amerikanischem Vorbild »Campus Braunschweig« nennt, auch wenn es von der architektonischen Extravaganz etwa eines »Google Campus« (Googleplex) oder eines »Apple Campus« weit entfernt ist und eher den etwas ärmlichen Betonwüstenduft der 1970er Jahre verströmt. Weitere Standorte sind in Braunschweig das »Braunschweiger Zentrum für Systembiologie« (BRICS), in Saarbrücken das »Helmholtz Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland« (HIPS), in Würzburg das »Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung« (HIRI), in Hannover das »TWINCORE«, was sich übersetzt als »Zentrum für Experimentelle und Klinische Infektionsforschung«, ebenfalls in Hannover das im Entstehen begriffene »Centre for Individualised Infection Medicine« (CiiM) und das »Studienzentrum Hannover«, in Hamburg das »Centre for Structural Systems Biology« (CSSB) und endlich in Greifswald das »Helmholtz-Institut Greifwald«.

Drawing[Medizinische Hochschule Hannover. Quelle: Axel Hindemith, Copyrighted free use, via Wikimedia Commons.]

Man sieht: Infektionsforschung ist eine komplexe Sache, die man am besten bundesweit an verschiedenen Standorten mit unterschiedlichen Schwerpunkten betreibt. Die regulative Idee, die hinter dieser verteilten Forschung steht, ist die Idee der Inter- oder Transdisziplinarität, die dafür sorgen soll, dass die arbeitsteilig organisierte Wissenschaft sich nicht in abgelegenen Sackgassen verläuft und steril wird.

Daher sind die verschiedenen Standorte des HZI zugleich Kooperationsorte mit anderen wissenschaftlichen Einrichtungen, was sich am Hamburger CSSB vielleicht am nachdrücklichsten zeigt. Dort betreibt man nicht einfach eine moderne Systembiologie, die die genetischen Prozesse von Viren und Bakterien in ihrer Struktur und Dynamik zu erfassen und diese Dynamik wiederum in algorithmischen Modellen abzubilden versucht, um letztlich Infektionsprozesse am Computer modellieren und vorhersagen zu können. Man betreibt diese Systembiologie vielmehr als gemeinsame Initiative mit dem »Bernhard Nocht Institute for Tropical Medicine« (BNITM), dem »Deutschen Elektronen-Synchrotron« (DESY), dem »European Molecular Biology Laboratory« (EMBL), dem »Forschungszentrum Jülich« (FZJ), der »Hannover Medical School« (MHH), dem »Heinrich Pette Institute« (HPI), der Universität Hamburg und dem »University Medical Center Hamburg-Eppendorf« (UKE).

Wem angesichts dieser Kooperationsdichte schwindlig wird, der sei durch den einfachen Satz aufgefangen: Was sich da am CSSB und den anderen HZI-Einrichtungen kooperativ zusammentut, sind genau jene wissenschaftlichen Institute und ist genau jenes wissenschafliche Personal, das die gesamte Corona-»Pandemie« von Anfang an medial ganz wesentlich in Richtung Panik gedrückt hat.

Man sieht das sofort, wenn man sich beispielsweise die Kooperationen des Hamburger CSSB anschaut. Dann findet man, dass das »Bernhard Nocht Institut for Tropical Medicine« der ehemalige Wirkungsort von Christian Drosten ist, an dem er als Entdecker des Coronavirus »Sars-CoV« seinen wissenschaftlichen Durchbruch hatte, wofür er 2005 das »Verdienstkreuz am Bande« der Bundesrepublik Deutschland bekam. Am kooperierenden EMBL tummelt sich Rolf Apweiler, der ebenfalls zur Gruppe der viralen Regierungsberater zählt. An der Hannoverschen Medizinischen Hochschule (MHH) erwarb Melanie Brinkmann ihren Doktortitel, bevor sie in Braunschweig am HZI zur medienviralen Regierungsberaterin reifte. Und in Hamburg-Eppendorf fand der Rechtsmediziner Klaus Püschel durch Obduktion heraus, dass die meisten Coronatoten »mit Corona« und nicht »an Corona« starben, ein Resultat, das man nach Püschls Verabschiedung in den Ruhestand sofort rückgängig machte. Püschls Eppendorfer Amtsnachfolger Benjamin Ondruschka jedenfalls beeilte sich, der Öffentlichkeit das regierungskonforme Ergebnis einer Untersuchung von 735 Todesfällen zu präsentieren, wonach Sars-Cov-2 wegen der von ihm bewirkten Lungenentzündungen und Thrombosen nun doch ursächlich für das Ableben der meisten Corona-Patienten sei.

Drawing[Eingang zur Universitätsklinik Eppendorf. Quelle: University Medical Clinic Hamburg Eppendorf, CC0, via Wikimedia Commons.]

Natürlich wird man diese Kooperationsdichte damit begründen, dass eine über wissenschaftliche Institute stattfindende Zusammenarbeit von Virusexperten eine gute Sache sei. Dass man sich kennt, weil man im selben Milieu verkehrt, diene selbstverständlich dazu, die Kommunikation zu erleichtern und dadurch die Generierung von neuem Wissen zu beschleunigen, das dann eben auch um so schneller in neue Therapien und Wirkstoffe umgesetzt werden könne. Diese Sicht auf die wissenschaftlichen Dinge verkennt, dass in dem Gestrüpp von institutionellen und persönlichen Verbindungen, in dessen Zentrum das HZI steht, der zentrale Mechanismus von Wissenschaft auf der Strecke bleibt, nämlich der Widerspruch in der Sache, der sich auch in der Wissenschaft öffentlich — und sei es nur wissenschaftsöffentlich — artikulieren können muss, wenn Wissenschaft nicht steril oder gar zum Instrument politischer Absichten werden soll.

Dass die Intensivierung der Forschung zu Sars-CoV-2 durch die Förderung von unterschiedlichen Ansichten und damit eben auch durch die Förderung von Widerspruch unterbleibt, obwohl die vom HZI so publizitätsträchtig herausgestellte Inter- und Transdisziplinarität doch genau diese Vielfalt und Quirligkeit von Forschung gewährleisten soll, hat einen einfachen Grund. Er liegt nicht alleine darin, dass man sich kennt und eine Krähe der anderen kein Auge aushackt, sondern auch darin, dass man am HZI nicht Forschung um der Forschung willen, sondern um der Translation und also der Verwertung willen betreibt und dabei nahezu vollkommen vom Bundesforschungsministerium als Geldgeber abhängt.

Fragt man nämlich, woher die 78 Millionen Euro kommen, die der Unterhalt des HZI pro Jahr kostet, muss man feststellen, dass 58 Millionen Euro aus der Helmholtz-Gemeinschaft stammen und 20 Millionen Euro aus allerlei Forschungsförderungsprogrammen der Bundesrepublik, der Europäischen Union und der interessierten Industrie. So steht es im »Forschungsbericht« des HZI auf S.119. Mit anderen Worten: Ein Viertel der HZI-Forschung ist Forschung, die durch befristet geförderte Forschungsprogramme finanziert wird; das Personal auf diesen Stellen arbeitet auf Zeitvertragsbasis und muss darauf hoffen, dass das sie finanzierende Forschungsprojekt verlängert oder ein neues Projekt bei einer Forschungsförderorganisation erfolgreich beantragt wird und sie in dieses neue Projekt wechseln können, wenn das alte nicht mehr fortgeführt wird. Damit arbeiten am HZI rein rechnerisch mindestens 200 Personen von 800 unter dem Demoklesschwert einer befristeten Anstellung.

Drawing[Hauptsitz der Bill and Melinda Gates Foundation. Quelle: Adbar, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons.]

Aber wie steht es um die von der Helmholtz-Gemeinschaft aufgebrachte Grundfinanzierung, die immerhin drei Viertel des HZI-Etats ausmacht? Auch diese Grundfinanzierung steht längst auf keinem sicheren Grund mehr, sondern erfolgt im Rahmen der »programmorientierten Forschung« der Helmholtzen-Gemeinschaft. Dazu hat man bei Helmholtz zunächst sechs Forschungsbereiche definiert (nämlich »Energie«, »Erde und Umwelt«, »Gesundheit«, »Information«, »Luftfahrt, Raumfahrt und Verkehr« und »Materie«), in denen es gilt, »richtungsweisende Forschungsfelder der Zukunft zu gestalten und gemeinsam mit den besten Partnern Systemlösungen zu erarbeiten.« In der Praxis heißt das, dass die zur Helmholtz-Gemeinschaft gehörenden Einrichtungen sich »entlang der forschungspolitischen Ziele« positionieren und entsprechende Programmvorschläge erarbeiten, die in einem zweistufigen System bewertet werden. Auf Stufe eins wird das jeweilige Zentrum mit seinen laufenden Projekten begutachtet. Und auf Stufe zwei wagt man sich dann gar an eine »strategische Bewertung der Forschungsprogramme«. Geld gibt es für ein Helmholtz-Zenrtum folglich nur, wenn es diese zweistufige Evaluation erfolgreich hinter sich gebracht hat.

In der Satzung der Helmholtz-Gemeinschaft liest sich das Ganze so (Abs. 2 und 3 der Satzung): »Für die Einführung der programmorientierten Förderung gliedert die Helmholtz-Gemeinschaft die Forschungsaktivitäten der Helmholtz-Zentren in Forschungsbereiche und darunter liegende Programme, sichert dabei aber gleichzeitig auch angemessene Freiräume für neue, nicht vorgeplante Forschungsansätze und -ideen. Die Forschungsbereiche und Programme werden durch Wettbewerb und Vernetzung zwischen den Zentren gestaltet, extern evaluiert und in einem mittelfristig verlässlichen Rahmen gefördert. Träger der programmorientierten Förderung sind die rechtlich selbstständigen Helmholtz-Zentren, denen die strategische und operative Planung sowie die Umsetzung und Qualitätssicherung der einzelnen Programme obliegt.«

Nur zur Sicherheit und damit wir die Pointe dieses Textes nicht verpassen: Die rechtlich selbständigen Helmholtz-Zentren mit ihren Instituten sind zwar »Träger der programmorientierten Förderung«; aber das heißt nur, dass sie ihre Forschungsvorhaben in Konkurrenz untereinander und im Wettbewerb um die von der Helmholtz-Gemeinschaft bereitgestellten Finanzmittel so planen dürfen, dass sie in die vorgegebenen Forschungsprogramme passen. Über diese Programme selbst aber und über die Frage, was »richtungsweisende Forschungsfelder der Zukunft« sein könnten, entscheidet weder der einzelne Helmholtz-Wissenschaftler für sich selbst noch die bei Helmholtz forschende Fachgemeinschaft für ihr jeweiliges Fach noch das einzelne Helmholtz-Zentrum für den jeweiligen Standort — es entscheidet alleine der Senat der Helmholtz-Gemeinschaft.

Drawing[Bundesministerium für Bildung und Forschung. Quelle: Nicolas17, CC BY-SA 2.5, via Wikimedia Commons, via Wikimedia Commons.]

Welche Machtfülle der Senat hat, zeigt alleine schon ein kurzer Blick auf seine Mitglieder. Es sind das die zuständige Bundesministerin, zwei Forschungsminister aus den »betroffenen« Bundesländern, in denen Helmholtz-Zentren ihren Sitz haben, der Staatssekretär beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, sechs externe Wissenschaftler, »die das Spektrum der Helmholtz-Gemeinschaft abdecken sollen«, sechs Persönlichkeiten aus der Wirtschaft, über deren Spektrum nichts gesagt wird, zwei Vertreter des Bundesfinanzministeriums und ein Vertreter eines der Länderfinanzministerien, die von der Helmholtz-Gemeinschaft »betroffen« sind, zwei Vertreter aus dem Kreis der anderen deutschen Forschungsförderungseinrichtungen, zwei Bundestagsabgeordnete und der Präsidenten der Helmholtz-Gemeinschaft, der den Senatsvorsitz innehat. Es ist offensichtlich, dass in diesem Senat die Politik das Sagen hat.

Dieses Übergewicht der Politik wird auch darin deutlich, dass unterhalb des Senats das zweitwichtigste Organ der Helmholtz-Gemeinschaft der »Ausschuss der Zuwendungsgeber« ist. In ihm führt die Bundesforschungsministerin den Vorsitz und haben jene Bundesländer Sitz und Stimme, in denen Standorte der Helmholtz-Zentren finanziert werden. In diesem Ausschuss werden, wie es in der Satzung (§10, Abs. 3) heißt, »die forschungspolitischen Vorgaben der Zuwendungsgeber einschließlich der Forschungsbereiche auf der Grundlage einer zwischen den Zuwendungsgebern zu treffenden Vereinbarung im Rahmen einer fortlaufenden Diskussion mit Wissenschaft und Wirtschaft sowie mit Senat und Helmholtz-Zentren für eine mehrjährige Laufzeit« beschlossen. Während man also auf der Homepage der Helmholtz-Gemeinschaft als zentrale Gremien die Mitgliederversammlung und den Senat heraushebt und damit dem interessierten Publikum offenbar so etwas wie ein demokratisches Fundament zeigen möchte, zeigt die Satzung in aller Nüchternheit, was es damit auf sich hat: nichts. Vielmehr gilt auch bei Helmholtzens der alte Spruch, dass anschafft, wer zahlt; und der große Zahler, Anschaffer und Strategieplaner ist bei Helmholtzens das Bundesforschungsministerium.

Dieser einfache Befund wird auch dadurch nicht relativiert, dass man beim HZI im besonderen und bei Helmholtz im allgemeinen darauf verweist, dass ein Teil der verausgabten Mittel ja aus Drittmitteln stammt. Das klingt nach reger Beteiligung der an der Translationsforschung interessierten Wirtschaft, die im Helmholtz-Senat ja auch mit sechs Vertretern am Tisch sitzt und dort der Politik die Stirn bieten könnte. In Wahrheit jedoch stammt der Löwenanteil der 20 Millionen Euro Drittmittel, die das HZI für das Jahr 2018 ausweist, aus Fördermitteln des Bundes, anderer Forschungsfördereinrichtungen wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft, aus EU-Fördermitteln oder aus Fördermitteln der Bundesländer. Für 2018 weist das HZI lediglich 345.000 Euro als industrielle Fördermittel aus.

Drawing[Geschäftsstelle der Helmholtz-Gemeinschaft in Bonn. Quelle: Website der Helmholtz-Gemeinschaft.]

Wie im Kleinen das HZI, so im Großen die Helmholtz-Gemeinschaft: Die 5 Milliarden Euro, die man bei Helmholtz jährlich für die Forschung ausgibt, stammen zu 70 Prozent von Bund und Ländern, und zwar im Verhältnis von 90 Prozent Bund zu 10 Prozent Ländern. Woher die 30 Prozent des Etats stammen, die die Helmholtz-Gemeinschaft als Drittmittel einwirbt, wird in deren Jahresbericht nicht ausgewiesen. Man darf aber in Kenntnis der Wissenschaftslandschaft in Deutschland vermuten, dass auch diese 30 Prozent oder rund 1,5 Milliarden Euro weit überwiegend nicht von der Industrie überwiesen werden, sondern aus Förderprojekten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der EU, des Bundes und der Länder stammen.

Die Konsequenzen dieses Befundes liegen auf der Hand. Wenn die Helmholtz-Gemeinschaft im Allgemeinen und das HZI im Besonderen nahezu vollständig aus staatlichen Mitteln finanziert werden, und wenn über die Verausgabung dieser Mittel im Rahmen einer vorgegebenen Forschungsstrategie befunden wird, dann ist es nicht die Forschung, die von unten her über ihren zukünftigen Weg entscheidet, sondern dann ist es die Politik, die der Forschung von oben her sagt, welchen Weg sie einzuschlagen hat. Die »Programmforschung«, die man bei Helmholtz betreibt, sieht zuletzt haargenau so aus wie eine staatliche Auftragsforschung.

Als solche folgt sie einer bekannten Logik: Die Politik, die davon überzeugt ist, den Weg in die Zukunft zu kennen, gießt ihre Überzeugungen in eine Forschungsstrategie um, die über Fünfjahrespläne, die sich jetzt »Programme« nennen, strategiekompatible Projekte fördert. Und am Ende des Förderzeitraums lässt man sich von wissenschaftlichen Evaluationsgremien bestätigen, dass man den strategischen Forschungszielen ein gehöriges Stück nähergekommen sei. Wissenschaftlicher Opportunismus (man nimmt das Geld und bestätigt die Politik) und politische Ideologie (man weiß selbst am besten, wo es langgeht und betrachtet die Wissenschaft als Magd, die die erwünschten Putzarbeiten zu liefern hat) greifen ineinander.

Dabei muss man auf die Bedürfnisse der Industrie durchaus keine Rücksicht nehmen. Zum einen, weil deren finanzielle Beteiligung über Drittmittel viel zu gering ist, um politisch ins Gewicht zu fallen. Zum andern, weil man dank der Translationsforschung der Industrie hilft, einen Teil ihrer Ausgaben für Forschung und Entwicklung einzusparen, weshalb es für die Industrie attraktiv ist, den von der Politik eingeschlagenen forschungsstrategischen Weg einfach mitzugehen. Irgendwas, so mögen die im Senat der Helmholtz-Gemeinschaft sitzenden Präsidenten des Verwaltungsrats der Novartis AG oder des Verbandes der Automobilindustrie denken, irgendwas wird dabei für uns schon abfallen. Anlass zu einer Politikstörung hat man jedenfalls keinen.

Drawing[Novartis AG, Basel. Quelle: Silesia711, CC BY-SA 4.0., via Wikimedia Commons.]

Ein System zur Forschungsförderung, das nicht von unten nach oben organisiert ist, um auf die Bedürfnisse der Forschung zu reagieren, ein System der Forschungsförderung, das auch keine Impulse der Wirtschaft mehr aufzunehmen braucht, um seine Richtung zu finden — ein solches System läuft zuletzt genau in jene sterile und wirklichkeitsabgewandte Sackgasse, die man dadurch verhindern wollte, dass die Helmholtz-Gemeinschaft als ein Verein keinem politischen Gremium rechenschaftspflichtig sein sollte. Die Umstellung auf Programmforschung nach Art von Fünfjahresplänen und die fast vollständige Finanzierung aus dem Haushalt des Bundesforschungsministeriums haben indessen längst dafür gesorgt, dass die vereinsrechtlich-formale Unabhängigkeit von der Realität der Finanzströme und ihrer Verausgabungsmechanismen ausgehebelt wurde.

Es ist nur konsequent, dass eine Programmforschung, die die aus der Wirklichkeit aufsteigenden wissenschaftlichen und wissenschaftsökonomischen Dringlichkeiten nur simuliert, zuletzt in großen Teilen als Wissenschaftsmarketing endet. Man kann das daran erkennen, dass seit Beginn der Corona-Panik die virologischen Experten des HZI dafür herhalten mussten — und sich dafür hergaben —, die von der Regierung proklamierten Diagnosen und Therapien als wissenschaftlich geboten zu bestätigen. Marketing war das deshalb, weil die HZI-Experten durch ihre öffentliche Bestätigung des Regierungskurses dafür sorgten, dass die von der Regierung ausgelobten Corona-Forschungsmittel auch ihren Weg nach Braunschweig fanden und finden. Marketing war es aber auch deshalb, weil die mediale Präsenz der Braunschweiger Virologen dafür sorgte, dass der medienkonsumierende Steuerzahler, der die ganze Party ja bezahlen muss, bei Finanzierungslaune blieb und nicht etwa dumme Fragen nach dem Sinn dieser Forschung stellte.

So kam es, dass Melanie Brinkmann zumindest zeitweise zum medialen Star des HZI werden konnte. Sie hatte nicht nur das Talent, der Politik und der Öffentlichkeit nach dem Mund zu reden und die allgemeine Lustangst vor dem Virus beharrlich zu steigern, sondern sie tat das als ausgewiesene Virologin und mit der ihr eigenen Telegenität. Das war perfektes Wissenschaftsmarketing. Und so wundert es nicht, dass Frau Brinkmann inzwischen auch in Imagefilmchen auftritt, die das HZI verbreitet, um für seine Arbeit zu werben. (Hier anzuschauen.)

Drawing[So geht Demokratie heute. Quelle: Times, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons.]

Ganz anders erging es Gérard Krause, der am HZI die Abteilung für Epidemiologie leitet. Er trat im März 2020 mit der dissidenten Meinung hervor, dass die Coronamaßnahmen zu mehr Toten führen könnten als die Infektion selbst. Im Sommer 2020 wies er in einem mit anderen Wissenschaftlern verfassten Fachartikel auf die wichtige Rolle der T-Zellen für die Immunantwort hin. Und im Januar 2021 stellte er sich gegen die u.a. von seinen HZI-Kollegen Melanie Brinkmann und Michael Meyer-Hermann propagierte No-Covid-Strategie. Aber als er dann im April 2021 auch noch den offenen Brief mitunterzeichnen wollte, in dem die Epidemiologen Klaus Stöhr und Detlev Klüger sich an die Bundestagsfraktionen wandten und vor einer Festschreibung der 7-Tage-Inzidenz im novellierten Infektionsschutzgesetz warnten, da war es dem HZI zu viel: Krause durfte den Brief nicht unterschreiben. Begründung: Helmholtz-Wissenschaftler sollten sich nicht politisch oder anderweitig vereinnahmen lassen, sondern sich stets »seriös und neutral« äußern.

Ganz offensichtlich hatte Gérard Krause den Fehler begangen, Wissenschaft nach bewährtem Modell für einen Prozess zu halten, in dem es um den kritischen Austausch von Argumenten und um die Suche nach der besten Lösung und den besten Kooperationspartner geht. In Zeiten von Corona ist das aber eine Position, mit der man sich nicht nur selbst ins Aus spielt, sondern mit der man auch die Institution, an der man arbeitet, um das Wohlwollen der Politik bringt. In Zeiten von Corona ist das eine forschungsstrategische Marketingkatastrophe.

Merke: »Konzertierte Forschung«, mit der sich die Helmholtz-Gemeinschaft brüstet, kann in Zeiten von Corona keinen starken ersten Geiger brauchen, der besser spielt als alle anderen und dem Dirigenten die Partitur erklärt. Die Geiger, die es heutzutage für die »konzertierte Forschung« braucht, haben längst gelernt, ihre Instrumente hinter dem Rücken zu spielen.