Die Lage in der Ukraine

Geschrieben von Uwe Jochum am 6.9.2023

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Uwe Jochum

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Glaubt man den hiesigen staatsnahen Medien, beginnt sich das Kriegsglück zugunsten der Ukraine zu wenden. Alleine die Frankfurter Rundschau, bei der zwischen journalistischer Berichterstattung und offizieller Regierungslinie kein Blatt Zeitungspapier paßt, flutete ihren Online-Auftritt am vergangenen Wochenende mit einer ganzen Kette von Updates, die da lauteten: »Die Ukraine fügt Russland weiter enorm hohe Verluste zu« oder »Der Befehlshaber [der] ›General Gegenoffensive‹ im Süden spricht von einem ›entscheidenden Durchbruch‹ im Ukraine-Krieg.«

Wo so viel Sieg bevorzustehen scheint, ist es natürlich ein wenig unartig, wenn man darauf hinweist, daß Selenski, der in der Ukraine nach amerikanischem Drehbuch den Präsidenten spielt, erst kürzlich in Deutschland ein Gastspiel gab, bei dem er damit drohte, daß in der Ukraine die Ausmusterungsbescheide, die seit Kriegsbeginn ergangen seien, überprüft werden sollen. Und neuerdings bittet man von seiten der Ukraine die Europäer gar darum, daß sie gefälligst die fahnenflüchtigen Ukrainer ausliefern möchten. Das zielt auf jene Männer, die die Musterungskommissionen dank Zahlung eines Bakschisch davon überzeugen konnten, nicht wehrfähig zu sein und die danach ihren Aufenthalt straks ins Ausland verlegten.

Nun ist es natürlich ein bemerkenswerter Sachverhalt, daß ein Land, das für uns alle die westliche Demokratie gegen die asiatische Autokratie verteidigt — und zwar, wie wir schon öfters aus den USA hörten, »bis zum letzten Ukrainer« —, daß ein solches Land damit zu kämpfen hat, daß seine wehrfähigen Männer in Scharen das Land verlassen haben und offenbar weiterhin verlassen. Wie es scheint sind die ukrainischen Männer viel weniger als die hiesigen stracken Zimmermänner davon überzeugt, daß der Krieg für sie und ihr Land gut ausgehen wird.

Da paßt es nur zu gut ins Bild, daß Selenski gerade seinen Verteidigungsminister entlassen hat, offiziell, so ließt man, wegen Korruption. Der Mann war ein gelernter Jurist und wird nun durch einen gelernten Finanzexperten ersetzt, nicht aber durch einen gelernten Militär. Ein Schachzug, der einmal mehr enthüllt, worauf es beim Kriegführen zuletzt ankommt: auf die Ressourcen, über die ein Land verfügt, und das heißt eben auch auf die finanziellen Ressourcen, die zur Kriegsführung eingesetzt werden können. Denn so wie man vorne an der Front möglichst große Menschenmassen in die Schützengräben schieben können muß, so müssen hinten in der Etappe die Euros und Dollars in Milliardenhöhe nachgeschoben werden, um die militärische Bewegung zu finanzieren. Und da entdeckt dann manch ein Schieber, daß man die Gelder auch in ganz andere Richtungen verschieben kann und gut dabei fährt.

Womit sich die einfache Frage beantworten läßt, wie es um die Ukraine militärisch in Wahrheit steht: Steht sie, wie die staatsnahen Medien uns versichern, vor einem militärischen Durchbruch? Oder steht sie vor einem militärischen Zusammenbruch? Die Antwort findet man, wenn man nicht auf die zahllosen Militärexperten hört, sondern schlicht auf das schaut, was die ukrainischen Akteure selbst sagen: der Ukraine gehen die Männer und die Gelder aus. Und sie reagiert darauf wie noch jedes Regime in vergleichbarer Lage reagiert hat, durch Zuckerbrot und Peitsche. Das Kriegsglück wenden wird beides nicht, denn Zuckerbrot und Peitsche gehören in den Kontext der Auflösung militärischer Disziplin und des Verdampfens der Motivation zum Kampf.

Man muß nur bei Meister Sun nachschlagen, dem chinesischen Militärtheoretiker aus der Zeit um 500 v. Chr., der festhielt: »Wird in der feindlichen Armee eine große Zahl von Belohnungen verteilt, dann ist dies ein Zeichen dafür, dass der Kommandant am Ende ist und er die Soldaten mit kleinen Gunsterweisungen bei Laune halten will. Wird in der feindlichen Armee eine große Zahl von Strafen auferlegt, dann ist das ein Zeichen dafür, dass die Disziplin erschlafft ist und sich der Feind daher in Schwierigkeiten befindet.«