Die Flucht der Minister

Geschrieben von Uwe Jochum am 26.1.2024

Vom selben Autor:


Phrase und Realität

Anmerkungen zu Solingen


Uwe Jochum

Wissenschaftlicher Bibliothekar

Auch interessant:


Die Kirche und die Nächstenliebe in Zeiten der Masseneinwanderung


Geistlose Kirche

Ein Kommentar zu Pfingsten

Am 4. Januar wollten am Fährhafen von Schlüttsiel Bauern öffentlich mit dem Minister Habeck sprechen, aber Habeck nicht mit den Bauern. Drei Tage später, am 7. Januar, reiste die Bundesaußenministerin Baerbock in den Nahen Osten, um dort im Westjordanland vor laufenden Kameras und mit schicker Ray-Ban-Brille zu verkünden, wie wichtig eine Zweistaatenlösung für die Sicherheit Israels sei. Das wollte sich Habeck nicht zweimal sagen lassen und tat es seiner Parteikollegin gleich: Zwei Tage nach Baerbock flog auch er in den Nahen Osten, um dort, wie es seine Pressestelle verkündete, den Dialogprozeß in der Region mit allen Kräften zu unterstützen und zur Deeskalation beizutragen. Wie das? werden Sie fragen. Auch das weiß die Pressestelle und weiß der Minister, den ich hier zitiere: »Die palästinensische Bevölkerung braucht eine klare Perspektive hin zu einer Zweistaatenlösung. Das Töten muß aufhören.«

Nun ist Deutschland derzeit natürlich gar nicht in der Lage, irgendetwas Sinnvolles zur Lösung des Nahostkonflikts beizutragen. Man muß daher fragen, was diese wirkungslose Herumreiserei eigentlich soll.

Die Antwort auf diese Frage ist leicht zu finden: Die Herumreiserei soll ablenken.

Baerbock, deren sprachliches und diplomatisches Unvermögen beim besten Willen nicht mehr zu übersehen ist, hat sich offenbar auf das Geknipstwerden im Ausland verlegt, weil ihr das wenigstens schöne Bilder einträgt. Durch diese qualifiziert sie sich nun zwar nicht für das diplomatische Korps, aber doch wenigstens für die deutschen Lifestyle-Magazine. Und Habeck, der in Schlüttsiel sich der Diskussion mit den aufgebrachten Opfern seiner ministeriellen Tätigkeit durch Flucht entzog, versucht diese Scharte nun auszuwetzen, indem er an einen Brennpunkt der Weltpolitik reist und dort mutig in die Kamera spricht und die Gewalt der israelischen Siedler kritisiert.

Beide, Baerbock und Habeck, sind längst auf solche Bilder angewiesen, um von ihrem politischen Dauerversagen abzulenken. Dieses Versagen besteht nun aber nicht alleine in den ganz offenkundig falschen, weil die außenpolitischen Beziehungen und die deutsche Wirtschaft ruinierenden Entscheidungen. Das Versagen hat vielmehr eine noch ganz andere Dimension, die an die Grundlage unseres demokratischen Gemeinwesens rührt.

Diese Grundlage ist die Bereitschaft und die Fähigkeit, auf unterschiedliche Standpunkte in angemessener Weise reagieren zu können, und das heißt im Minimum: zuhören und eigene Argumente zur Sprache bringen zu können. Und zwar in einem öffentlichen Raum, in dem die Sprecher mit ihrer Person dafür einstehen, daß das, was sie sagen, ihrer Meinung nach nicht nur sachhaltig richtig ist, sondern sie persönlich auch davon überzeugt sind.

Der Ort, an dem so etwas klassischer Weise stattfindet, ist das Parlament. Nachdem sich unser Parlament aber zu einem Arbeitsparlament entwickelt hat, in dem die Brüsseler Vorgaben nur noch in nationales Recht umgegossen werden, sind Parlamentsdebatten längst überflüssig geworden. Sie haben sich daher vor vielen Jahren schon in die Talkshows zu verlagern begonnen, wurden aber auch dort immer fader, als man dazu überging, die Shows umzustellen von kontroversen Diskussionsforen zur Verkündigung politisch orthodoxer Lehrmeinungen unter Hinzuziehung vermeintlicher Experten. Wie ernst man es mit der politischen Orthodoxie meint, kann man daran ablesen, daß diese Shows seit Jahren dazu dienen, Andersmeiner, Falschmeiner und sogenannte Schwurbler öffentlich hinzurichten.

Bei Baerbock und Habeck fällt nun auf, daß sie nichteinmal das Standing haben, um in solchen Talkshows bestehen zu können. Treten sie dort auf, findet der Talk regelmäßig ohne Talkgäste statt, so daß Baerbock und Habeck von der Moderatorin die Stichwörter zugespielt bekommen, auf die hin sie ihre Phrasen in die Kamera sagen können, ungestört und unwidersprochen.

Daß das keine Bequemlichkeit ist — das ist es sicherlich auch —, sondern daß es reales Unvermögen und realer Unwille zur politischen Auseinandersetzung ist, zeigt sich eben genau darin, daß Habeck, als es darauf angekommen wäre, sich dem Volk zu stellen, gekniffen hat. Dieses Kneifen muß man begreifen als das Signum einer linksgrünen Politik, die davon überzeugt ist, daß sie im Besitz der Wahrheit ist, weshalb sie jede Debatte über ebendiese Wahrheit als Sakrileg betrachtet. Und auf ein Sakrileg hat noch jede Orthodoxie zu radikalen Strafen gegriffen, nämlich zum sozialen und im Extremfall zum physischen Tod des Delinquenten. Das Urteil, das der Bestrafung des linksgrünen Sakrilegs vorausgeht, kennen wir alle sattsam. Es lautet: »Du bist ein Nazi.«

Was Politik einmal war, kann man an jenen Situationen ablesen, die Weltgeschichte geschrieben haben. Es sind Situationen, die eine Baerbock und die ein Habeck niemals erleben werden, weil sie gar nicht in der Lage wären, für eine Sache mit ihrer Person einzustehen. Eine solche politische Ursituation spielte sich ab, als Napoleon auf seinem Zug von Elba nach Paris am 7. März 1815 kurz vor Grenoble mit seinen Soldaten auf ein Regiment traf, das ihm den Weg versperren sollte. Er trat alleine und unbewaffnet in den Raum zwischen den beiden Truppen und rief dem royalistischen Regiment zu: »Soldaten des 5. Regiments. Ich bin euer Kaiser. Erkennt ihr mich? Wenn unter euch ein Soldat ist, der seinen Kaiser töten will — hier bin ich.« Daraufhin lief das Regiment jubelnd zu Napoleon über. Wir sehen hier den Abstand zwischen dem Damals und dem linksgrünen Heute und sollten entsetzt sein über die Verzwergung unseres politischen Personals und seinen Hang zur Flucht.


Vorstehender Text wurde, in gekürzer Form, am 15. Januar 2024 auf Kontrafunk in der Sendung »Kontrafunk aktuell« als Tageskommentar gesendet.