Die Nachrichten über das Abgleiten der Kirchen in die Säkularität reißen nicht ab. Hier nichts von den Kirchen des Protestantismus — diese haben sich in toto in eine Vorfeldorganisation der grünen Parteizentrale profaniert. Aber der Katholizismus, der berufen wäre, dem Zeitgeist eine überzeitliche Botschaft entgegenzustellen, scheint außer Rand und Band: Die deutsche Spielart (was leider die korrekte Benennung dessen ist, was vor sich geht) der Una Sancta will sich in eine Progressivitätszentrale verwandeln — als Klimakirche, mit Queerpastoral, Andersdenkende verketzernd, auf dem »Synodalen Weg« weg von Rom.
Ostern war wieder einmal für die entspiritualisierten Funktionsträger dieser Kirche wenig mehr als ein willkommenes Fest der politischen Selbstvergewisserung und ihrer medialen Selbstdarstellung, wo vorgeführt wurde, wie es aussieht, wenn Christentum nur noch gespielt wird; wo der Essener Bischof Jesus als den »leidenden Gerechten« mit einer mainstream-kompatiblen Person der Zeitgeschichte gleichsetzte; wo der Berliner Erzbischof Ostern und Fußball, eine Münsteraner Pastoralreferentin die Auferstehung des Gottessohnes mit dem »Aufstehen gegen rechts« in Eins brachten; und wo zuallerletzt der Passauer Bischof die Osternacht, die »Große Nacht«, wie es in einem katholischen Land wie Slowenien heißt, mit einem abgestandenen Witzchen profanierte, um für einen billigen Moment mediale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Jetzt, wo die Kirche sich anschickt, sich auf das Pfingstfest vorzubereiten, ihren Geburtstag, tut es Not, innezuhalten und darüber zu sinnieren, warum der geistig-moralische Zustand dieser Institution und ihrer Würdenträger so erbarmungswürdig ist, wie er sich einer immer gleichgültiger werdenden Öffentlichkeit präsentiert — als ein Drama der Selbstaufgabe. Dazu einige Augsburger und Münchner Marginalien, die auf den zweiten Blick so randständig vielleicht gar nicht sind, sondern womöglich unmittelbar ins Herz der Finsternis führen.
Ulrich ohne Ulrich
Am 28. Dezember 2023 gedachte man in Augsburg, einer der schönsten und geschichtsträchtigsten Städte Deutschlands, der 1100. Wiederkehr der Bischofsweihe des Heiligen Ulrich, Patron des Bistums und jener Nationalheilige, der 955 auf dem Lechfeld die Ungarngefahr bannte (und dem die »Deutschen Erinnerungsorte« unverständlicherweise eine Erinnerung versagen). Die Messe im Hohen Dom zu Augsburg war ein Offenbarungseid, welcher sich um alles Mögliche und vieles Unmögliche drehte, ausgenommen den Heiligen Ulrich. Als einen, der Augburg kennt und liebt, hat mich die Teilnahme an dieser unwürdig profanen Veranstaltung, die eine Heilige Meßfeier hätte sein sollen, sehr angefaßt. Man leidet an dieser Stadt, man leidet an dieser Kirche – und muß sich erklären.
Das Bistum Augsburg feiert 2023/2024 das Ulrichsjahr in Erinnerung an die Bischofsweihe seines Patrons im Jahr 923. Zu einer merkwürdigen Zeit, um 16 Uhr an einem Werktag, fand im Dom die Messe zu diesem Gedenken statt. Der feierliche Einzug der Zelebranten war dem Anlaß angemessen — aber schon mit seinen Begrüßungsworten machte Bischof Bertram Meier alle sakrale Aura schlagartig zunichte. Er entbot keinen liturgischen Gruß, kein »Im Namen des Vaters«, sondern setzte wie ein Bierzeltredner unmittelbar damit an, daß er sich freue, wie viele Leute gekommen seien — und fuhr mit einer säkularen Litanei derer fort, die er als Ehrengäste namentlich meinte begrüßen zu müssen: die Oberbürgermeisterin, einen Staatsminister, den Regierungspräsidenten, usf. Es fühlte sich an, als hätte jemand einen Stecker gezogen.
Den Prediger, Kardinal Christoph Schönborn aus Wien, begrüßte der Bischof, wie man am Stammtisch einem alten Kumpel auf die Schulter schlägt: Er freue sich, »daß Du, Kardinal Christoph, da bist«. Und das Kirchenvolk klatschte dazu ergeben Beifall. Ich wohnte mit einer evangelischen Pfarrerin diesem Ereignis bei — wir schauten uns zunehmend fassungslos, am Ende entgeistert an, mit der stummen Frage: Wo sind wir hier? Die Pfarrerin sagte später, es wäre ihr vorgekommen wie bei einer Sportlerehrung in irgendeinem Rathaus — ihr jedenfalls würde es nie in den Sinn geraten, einen Gottesdienst derart profan und unliturgisch zu beginnen.
Wie verloren stand derweil der goldene Ulrichsschrein vor dem Altar. Kein Mensch, der sich unwissend in diese Messe verirrt hätte, hätte ahnen können, daß seine Person im Mittelpunkt dieser Veranstaltung stehen sollte (so profan muß man benennen, was sich zutrug im Hohen Dom zu Augsburg). Die Bischofsweihe des Heiligen Ulrich erwähnte der amtierende Augsburger Bischof nicht, dafür seine eigene, indem er betonte, ein Konzelebrant aus Rumänien sei zum letzten Mal hiergewesen, als er ihm bei seiner Weihe die Hand auflegte — »unter Corona-Bedingungen«, wie er ausdrücklich hinzusetzte, so als wäre das ein Ausweis höherer Qualität der Weihehandlung.
[Der Heilige Ulrich. Quelle: Maria Braun, Public domain, via Wikimedia Commons.]
Bertram Meier — so viel sei zu dessen Hintergrund gesagt — durchlief eine kirchliche Funktionärskarriere als Referatsleiter für (u.a.) Weltkirche und Ökumene im Bistum Augsburg, bevor er auf den Bischofsstuhl berufen wurde. Er kokettiert offensiv damit, in einem »konfessionsverbindenden« Elternhaus aufgewachsen zu sein, was seinem Karriereziel — der in absehbarer Zeit frei werdenden Leitung des Dikasteriums zur Förderung der Einheit der Christen bei der Römischen Kurie — dienlich sein dürfte. Der Bischofsstuhl des Heiligen Ulrich scheint für ihn — so sagen es zumindest Kenner der Augsburger Szene — nur eine Art Durchlauferhitzer und Sprungbrett auf dem Weg zu höheren Weihen in Rom zu sein. Vielleicht erklärt dieser Umstand manches.
Dann hielt »Kardinal Christoph« eine der merkwürdigsten Predigten, die ich je gehört habe. Sie setzte sich zusammen aus Gedankenfragmenten und Satzfetzen, teilweise einzelnen Wörtern, die irgendwie — collagiert? – aneinandergereiht waren (gefügt kann man eben nicht sagen); aus Assoziationsschnipseln — Heiligkeit, Geschichte, Aktualität —, welche ansatzlos aufploppten, um sogleich wieder im Nebel der Fadenlosigkeit zu verschwinden. Auch hier: Wer gekommen war, um sich ein Bild des Heiligen Ulrich zu machen, wurde bitter enttäuscht. Aus seiner Biographie nur die nüchternen Daten 923 (Bischofsweihe) und 973 (Tod).
Einzig substantieller Gedanke: Ulrich gehöre zu jenen Heiligen, die zuerst vom Volk heiliggesprochen würden, in einer Abstimmung mit den Füßen sozusagen, und daraufhin erst regelrecht kanonisiert. Kein Fünkchen aber von Ulrichs seelsorgerlichem, theologischem, politischem Wirkens durchzog diese lange Predigt; ausgenommen eine vage Andeutung darüber, daß »damals« Krieg geherrscht hätte und heute Krieg herrsche. Ungarneinfall, Lechfeld, Otto der Große — kein Thema für Schönborn. Stattdessen schwelgte er in seinen eigenen Erinnerungen an drei Heilige, die er persönlich kennengelernt habe: Padre Pio, Johannes Paul II. und Mutter Theresa. Und — da wurde es dann peinlich — er erzählte kontextlos themaverfehlend, welche bischöflichen Vorfahren sich in seinem Stammbaum finden: Mehrere Erzbischöfe, darunter barocke Landesherrn, wie der Bischof von Mainz oder jener von Würzburg, der Patron Frankens. Man wäre nicht allzu bösartig, würde man formulieren, das Thema der Predigt wäre gewesen: Christoph Schönborn über Christoph Schönborn.
Das alles, diese öffentliche Ausbreitung der eigenen Familiengeschichte durch den Prediger, der immerhin im Angesicht des Ulrichsschreins sprach, wurde etwas mühselig bemäntelt mit der Überlegung, wie wohl die Kirche »damals« ausgesehen habe und wie sich solch ein Bischof Schönborn gefühlt habe, um dann zur Frage zu springen, wie die Kirche am Ende des 21. Jahrhunderts aussehen möge — Schönborns Antwort: »Wir wissen es nicht«. (Ich fühlte mich bemüßigt zu denken: Wenn die Kirche Greta zu Ehren der Altäre erhebt, wozu es ja vor ein paar Jahren nicht mehr weit war, oder auch nur konsequent den synodalen, sprich: suizidalen Weg weitergeht wie sie es in Augsburg mit ihrer »Queersensiblen Pastoral« tut, dürfte die Antwort auf des Kardinals Frage lauten: Dann wird es die Kirche nicht mehr geben.)
Nun muß ich kurz Luft holen, bevor ich weitererzähle und einordne im Rahmen dessen, was die Augsburger Kirche sonst noch zu bieten hat an Kuriositäten und Irritationen. Für den Moment nur noch so viel zu vorerst absurder Letzt: Raten Sie mal, für was die Kollekte eingesammelt wurde? Besser gesagt: Raten Sie nicht — denn auf die Antwort kann ein normaler Mensche gar nicht kommen: für häusliche Krankenpflege in Albanien. Und ein Spinner wie ich hätte gedacht, die Kollekte, die im Namen des Bistumspatrons gegeben wird, verbliebe im Eigenen, im Bistum Augsburg, bei bedürftigen Kindern im eigenen Sprengel, verarmten einheimischen Rentnern, die ein Leben lang gearbeitet haben und denen jetzt die Rente hinten und vorne nicht langt oder gar bei den eigenen Seelsorgern, die Dank der umsichtigen Sprengelvergrößerung durch den Ortsbischof in den Burnout getrieben werden.
Christkindlwiegen
Jetzt bin ich wieder geerdeter, nachdem wir in der Münchner Bürgersaalkirche die Christkindlandacht besucht haben, zum Einbruch der Nacht, wozu man sich dicht an dicht durch fast ausschließlich schwarz gewandete Flaniermassen in der Kaufinger Einkaufsmeile schieben muß, vorbei an laut und bunt blinkenden Konsumtempeln aller Art, um dann einzutreten in die Kirche Pater Rupert Mayers, in die Stille und Andacht derer, die an seinem Grab knien und beten, hinauf in die Oberkirche, vorbei an der Schutzmantelmadonna, wo das erwartet spärliche und ältliche Häufchen Gläubiger auf die abendliche Andachtsstunde wartet, wo dann allerdings zu meiner tiefsten Bestürzung zunächst der oberflächlich-abwesende Wahn von draußen sich auch drinnen fortgesetzt hat darin, daß eine ganze Reihe älterer Frauen sich dem Jesuskind, dem berühmten Augustiner-Fatschenkindl, das nur an den Weihnachtstagen zur Verehrung aufgestellt ist, in einer maximal respektlosen Weise entgegenstürzten: mit gezückten Kameras, eine Verehrung nicht einmal andeutend, sondern fast aggressiv die Linse auf das Kind richtend, abdrückend, Bild im Kasten, mission accomplished. Als sich ein älterer Mann behutsam, mit gefalteten Händen näherte, stehen blieb, das Knie beugte und sich bekreuzigte — da erst war ich in einem Sakralraum angekommen, der herausgeschnitten ist aus dem Trubel und Wirbel des Draußen und der ewigen Selbstbespiegelung darin, alles, was man sieht und eigentlich nur deswegen wahrnimmt, weil man es in verwertbare Beziehung zum eigenen Ich setzt, abzulichten und allem dadurch die Aura zu nehmen.
[Fatschenkind. Quelle: Andreas Praefcke, Public domain, via Wikimedia Commons.]
Die Andacht selbst: würdig, sakral, unpolitisch (Gottseidank). Es zelebrierte derselbe Jesuit wie beim Weihnachtsgottesdienst (dem in der Großstadt München nicht mehr als 30 Gläubige beigewohnt hatten), seine Predigt darüber, daß man wie der greise Simeon im Tempel am Ende seines Lebens zurückschauen kann und sagen: Mein Gott, es war gut so, wie es war — sie hat uns wieder sehr berührt. Nach dem Segen hat der Küster das Kind vor den Gläubigen gewogen, es jedem einzeln zur Anschauung und Verehrung dargeboten. Und dann, an der Schutzmantelmadonna vorbei, zurück hinaus in den Trubel, wo das Leben tobt und brandet, ein Leben, das immer mehr einem Surrogat, einem billigen Aufguß eher gleicht als etwas Substantiellem, das den Namen Leben wirklich verdiente. Und gleich, auf einem Schleichweg, weg von der Einkaufsmeile, hinüber in die Löwengrube, wo zwar heute nur noch moderne Büroschachtelkolosse vor sich hin langweilen, wo allerdings bis zum Krieg echtes Alt-Münchner Leben gelebt wurde, wie man es in der alten BR-Historien-Spielfilm-Serie gleichen Namens wie die Straße nacherleben kann.
Jesus.life.style
Nun will (muß? sollte?) ich zu Ende erzählen, was wir in Augsburg erlebt haben. Wir waren ja zuletzt im Dom, bei einer Ulrichsfeier, die jene Persönlichkeit, derer man zu gedenken vorgab, in seinem goldenen Schrein am Altar stehen ließ, um ihn zu mißbrauchen für egoistische und weltliche Eitelkeiten. Nun entsteht solch ein Mißbrauch (und das war es, was wir erlebt haben) ja nicht im luftleeren Raum, sondern in einer Zeit, an einem Ort, in einem sozialen und kulturellen Zusammenhang. Darüber wäre noch zu berichten.
Davon — ich bleibe vorerst in kirchlichen Sphären —, wie man im Bistum Augsburg meint, junge Menschen zum Glauben animieren zu können. In Heilig Kreuz, jener Wallfahrtskirche, die das Wunderbarliche Gut birgt, fand ich — staunend zuerst, irritiert sodann, bald aber schockiert — Werbematerial für die Jugendkirche, deren Gottesdienste »Holy Hour« heißen. Mit diesem lächerlichen Anglizismus ließen es Bistum und Werbeagentur aber nicht beruhen. Sie assoziierten weiter zu »Happy Hour«, womit sie in der Cocktail-Bar gelandet sind, woselbst sie ihre »Zielgruppe« vermuten. Weil aber Bistum und Agentur in ihrer unheiligen Allianz die Jugendlichen für leicht minderbemittelt im Geiste halten, verbildlicht man sicherheitshalber die Botschaft, indem man zwei Hände mit Gläsern auf das lustige Ereignis anstoßen läßt, das ein Priester mit der Monstranz in der Hand, dem Allerheiligsten, zelebriert. Obszön, blasphemisch, letztlich zum Fremdschämen peinlich in seiner hilf- und niveaulosen Anbiederung.
[Quelle: Prospekt.]
Eine weitere Postkarte dieses »Stils«: Junges urbanes »Publikum« soll geködert werden mit — zugegeben — graphisch ansprechender Optik, aber fataler Botschaft von einem »Jesus.life.style«, der wiederum nach der Methode Holzhammer das Zielpublikum dort »abholen« will, wo es nach Ansicht der Produktmacher steht: Im Lager des materialistischen Nihilismus (Franz Werfel). Das »Credo« in der Nachfolge eines Menschen namens Jesus allerdings ist maximal anti-lifestylig. Aber so genau darf man es auf der Jagd nach dem »Ziel« nicht nehmen, besonders dann nicht, wenn den Jagenden das Wasser bis zum Hals steht — und man ob dieser Existenzgefährdung, deren Gründe man nicht einmal versteht, in schiere Panik auszubrechen geneigt ist.
Ergebnis: Werbematerial des Grauens, das unterm schönem Oberflächenschein gelungenen Designs die geistliche und geistige Leere kaum mehr verbergen kann (und es letztlich vielleicht auch gar nicht will.)
Neue Werte hat das Land
Auf dem Weg von Heilig Kreuz zum Rathaus vor einem Laden das Rocketeer Magazin, herausgegeben in der Stadt, Motto: »Celebrate Ideas«. Titel der Dezember-Ausgabe: »Female Business« — »Be your own f*ucking hero!«. Ja, das ist ein deutschsprachiges »Produkt«, wie die produzierende Agentur »pd next« sagen würde, die eine inspirierende Unternehmerin mit dem typisch schwäbischen Namen Tijen Oran preist, die »Diversity in Unternehmen vorantreibt«.
In der Stadtbibliothek, die wir — ich gestehe freimütig — nur aufsuchten, weil sie eine öffentliche Toilette bietet: Themen-Tische zu Antirassismus und Vielfalt. Letzterer verspricht eine »Lesereihe für Kinder« — »Viel(falt) vorlesen«. Die Reihe will »eine diverse Gesellschaft widerspiegeln«, man bietet dazu »eine turbulente Transgender-Verwechslungskomödie«, um im Anschluss den Jungs »rote Lippen« zu malen und den Mädchen einen »Stoppelbart«.
Im Foyer der Bibliothek auch ein lokales »Wertemagazin«. Bei der Lektüre schafft, wer keine Nerven aus Stahl hat, nur die ersten — maximal — acht Seiten. Darin fanden sich als auffallendste Schlagworte: Nachhaltigkeit 11 mal, Klima/Klimaschutz 8 mal, Vielfalt 6 mal, Zukunft / zukunftsfähig 4 mal. Dann habe ich aufgehört zu zählen, weil ich verstanden hatte: Es geht um Wandel (5 mal). Abgesehen davon, daß solche »Texte« jede Diskussion mit ihrer geballten Monotonie ersticken und Sprache zur Propagandaschleuder degradieren, dürfte die fast slapstickartig geballt und überdreht hyperventilierende Hysterie-Parolenausgabe einen Wendepunkt markieren: Eine derartig aggressive Penetranz öffnet auch den bislang noch wohlwollenden Zeitgenossen die Augen darüber, daß Protagonisten, die solche Einfalt in Dauerschleife produzieren, nicht Ernst zu nehmen sind.
Im Info-Point: Die Augsburger Tourismuswerbung eröffnet ihr »Regio Magazin 2023« mit den Worten »Nachhaltigkeit und Klimaschutz« und wirbt für »klimafreundlichen Urlaub daheim«, um Touristen aus aller Welt an den Lech zu lotsen! Ein Bericht über das Ulrichsjahr, das auch an die Schlacht auf dem Lechfeld gegen die Ungarn 955 erinnert, beginnt mit dem »heißen Sommer 2022«, wo Wassermangel herrschte, womit der Autor beim »Klimawandel« gelandet ist — in einem Text über den Heiligen Ulrich! Als ihm das Problem der Themaverfehlung auffiel, bog er die Heiligenlegende einmal quer über sein Knie, um zu texten, diese passe wunderbar zum Thema Klima, weil Ulrich einmal »eine Quelle auftat«, als ihm dürstete. »Geschichte und Legende, füg’ Dich auf Klima oder ich fress’ Dich.«
In allen anderen Beiträgen dieses Tourismus-Werbemagazins spielt dann auf 77 Seiten das Klima keine Rolle mehr, kein Wunder, will man doch Touristen anlocken, von denen die wenigstens CO2-neutral zu Fuß anreisen dürften. Abschließend aber wird noch einmal der große Klimahammer ausgepackt, in einem Interview mit Bayerns Ministerpräsident Söder: Tenor »Besser Bayern als Ballermann« — das Machwerk steht ja unter dem Motto »Urlaub daheim«. Denn — Umweltschützer Söder bzw. sein Imageberater fürs Grüne wissen: »Klima hat Top-Priorität, damit unser Land lebenswert bleibt«. Mit dieser Unsinns-Nichtaussage darf der CSU-Mann glänzen, um gleich darauf zu schwülsten, er freue sich über jeden, der Bayern besuche, worin er ausdrücklich auch Touristen aus Washington mit einschließt!
So macht’s, wer ein Adabei sein will, einer der auf allen Hochzeiten tanzt. Klimaschutz wichtig, Tourismus wichtig — und wenn’s nicht zusammenpaßt, wird’s schon keiner merken. Hauptsache, die grüne Soße landet auf dem Teller des Lesers: Im zweiseitigen Söder-Interview dröhnt alleine schon aus dem Intro 6 mal das Wort »nachhaltig«, dazu 5 mal »Klima« in allen Varianten nebst der unvermeidlichen woken Folklore um »Vielfalt«, »Chancen«, »Transformation« und »Zukunft«.
Vorbei am Maximilianmuseum, worin die große reichsstädtische Geschichte der Stadt bestens aufbereitet ist, wo kurze Zeit später ein Plakat neben der Pforte prangt — darauf der berühmte renaissancezeitliche Augustus-Brunnen, der Kaiser mittels Andreaskreuz aus extrabreiten Armen durchkreuzt, Aufschrift: »Ohne Migration kein Welterbe«. Im Kleingedruckten der Hinweis auf die »migrierten« Bildhauer Hubert Gerhard und Adriaen de Vries, holländische Auftragnehmer in der Lechstadt, die alles waren, nur keine Migranten — und nun in der jungen Stadt des UNESCO-Weltkulturerbes »Augsburger Wassermanagement-System« herhalten müssen für den ewiggestrigen »Kampf gegen rechts«. Was ist Plattheit?
[Kaiser Augustus in Augsburg — hier nicht im Kampf gegen recht. Quelle: Hajotthu, Wikimedia Commons.]
Am Rathausplatz, wo die letzten Reste des Christkindlmarktes abgeräumt werden, schreit ein fassadenfüllendes Plakat: »Für Vielfalt und gegen Antisemitismus« — sie begreifen nicht, daß das, was sie »Vielfalt« nennen und in großem Stil importieren, weil »Wir Platz haben«, den Antisemitismus, den sie in gleichem Atemzug mit Krokodilstränen beweinen, erst schafft. Sie verstehen nicht, daß das massive Polizei- und Security-Aufgebot im und vor dem Dom beim Ulrichs-Jubiläum, das offensichtlich der Terrorwarnung des Innenministers vom Vortag geschuldet war, deswegen notwendig ist und den Bürgern ihre Gefährdung erst versinnbildlicht, weil sie — während sie auf dem Weg zum Heilige Ulrich sind — dessen Anliegen, das sie vorgeben zu verehren, konterkarieren und mit Füßen treten. Die Lesung — »Er hat seine Stadt gegen den Feind befestigt« (unter Bischof Ulrich wurden die Holzpalisaden der Domburg durch eine Steinmauer ersetzt, um die Stadt vor den Ungarneinfällen zu schützen) — aus Jesus Sirach, über »Die Größe des Hohenpriesters Simeon«: »Zu seiner Zeit wurde die Mauer gebaut … Er hat sein Volk gegen Plünderung gesichert« (Sir 50, 2.4). Mich durchzuckte es bei diesen Worten, als hätte ein Blitz eingeschlagen. War ich im ganzen Dom der einzige, der so empfand?
Entweltlichung tut Not
Man will auf Teufelkommraus »progressiv« sein, in der Welt des Wertewestens und auch in einer mehr und mehr verweltlichten Kirche. Weiter, immer weiter, und wenn es in den Abgrund geht. Schon 2011 stellte das Bistum Augsburg die Ulrichswoche unter das orwellianische Motto »Bleiben heißt Weitergehen«. Vorwärts immer, rückwärts nimmer.
Ich muß diesen Marginalienbericht enden, mit der Frage, die mich in der Aufheben-Serie hier auf 5artikel umtreibt: Was schafft Bindung in einer bindungslosen Zeit? Bischof Ulrich könnte religio schaffen, wenn man ihn und sein Glaubenszeugnis, seinen Einsatz für sein Volk aufheben würde, statt ihn nur zu instrumentalisieren für Eigennutz.
Was könnte Bindung schaffen — bezogen auf das Amt der Kirche? In der Katastrophe von 1945 hat der heimatvertriebene Schlesier und Volkskundler Will-Erich Peuckert — ich zitierte es in »Aufheben« — dies als Notwendigkeit einer »Wiedergeburt« notiert: »Das ›Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes‹, wenn ich das neue Leben einmal als ›Reich Gottes‹ wiedergeben darf, ist wahr, und wahr ist, womit der Apostel darnach schließt: dann nämlich wird euch das andere alles bald zufallen.«
Was könnte Bindung schaffen — in einer Zeit ohne tragende Werte? In der Katastrophe von 1918, beschwor der protestantische Theologe Friedrich Gogarten seine Landsleute, damit aufzuhören, »eine Welt mit Menschenwillen und aus Menschenweisheit bauen« zu wollen. Würde man wieder anfangen, »nach Gott [zu] fragen«, dann würde sich die Frage nach dem Sinn nicht »im menschlichen« verstricken »und bringt falsche Antwort aus ihm, falsche, weil es eine menschliche und keine göttliche Antwort ist.« Kann sich die Notwendigkeit, auf die »göttliche Antwort« mehr zu hören als stets nur menschliche Antworten zu geben, in der Kirche von heute erneuern und von dort aus die Gesellschaft wieder zur wahren religio führen, zur Rückverbindung mit Schöpfer und Schöpfung?
Papst Benedikt XVI. hat in seiner Freiburger Rede im Jahr 2011 die Katholiken seines Vaterlands eindringlich ermahnt, von Politisierung Abstand zu nehmen. Er gab ihnen ein Richtmaß für die »Erneuerung« mit auf den Weg — die »Entweltlichung«.
München-Bogenhausen, Heilig Blut. Ein kurzes Gespräch mit dem Pfarrer, der abgebrannte Kerzenstummel vom Seitenaltar einsammelt. Er steht in der Nachfolge eines Papstes: Joseph Ratzinger war hier 1952 Kaplan; nach ihm bezog Romano Guardini das Pfarrhaus. Wir sprechen über die Nachrufe auf den Papst in der deutschen Presse. Der betagte Pfarrer (»ich bin ja ein Urgestein«) tut sich schwer, klare Worte zu finden. Aber es ist klar, was ihn bedrückt. In Benedikts Vaterland ruft man dem Verstorbenen nur das Schlechteste nach. Tiefpunkt der Schäbigkeit: »Wir sind tot« in »konkret«. Bei einem ungarischen (!) Publizisten liest man hingegen von Joseph Ratzingers Geburt am Karsamstag 1927, von seiner Taufe noch in der Osternacht im neu geweihten Wasser. Vom karsamstäglichen Gefühl, das ihn immer begleitete, umtrieb, spirituell anregte. Jetzt taut der Bogenhauser Priester etwas auf — freut sich über die theologische Anknüpfungsmöglichkeit. Der Organist übt. An der Bushaltestelle gegenüber Heilig Blut schreit den Passanten ein Plakat an: »Für Demokratie, Vielfalt und Klimaschutz!«
Klar scheint: Religio und »Holy Happy Hour« — verstanden als Symbol für das, was die entspiritualisierte, säkularisierte und zeitgeistig durchpolitisierte Kirche unserer Zeit nach außen von ihrer inneren Verfaßtheit preisgibt — sind denkbar weit auseinander liegende Gegensätze. Der Geist muß erst wiederkehren — als ein Brausen vom Himmel her. Am 19. Mai feiern wir Pfingsten.