Pfingsten gehört zusammen mit Weihnachten und Ostern zu den ganz großen Festen der Christenheit. Man merkt das als Nichtchrist daran, daß es als zweitägiges Fest auch im profanen Kalender auftaucht und einen arbeitsfreien Montag mit sich bringt.
Gefeiert wird am Pfingssonntag die Aussendung des Heiligen Geistes, von der die Apostelgeschichte Folgendes erzählt: Nach dem Tod Jesu versammelte sich die noch kleine Gruppe der Christen zum jüdischen Wochenfest in Jerusalem. Als man sich versammelt hatte, gab es ein Brausen in der Luft und der Heilige Geist fuhr ihn Form von feurigen Zungen in die Anwesenden, die plötzlich von Gottes Botschaft in einer Vielzahl von Sprachen sprechen konnten.
Im Selbstverständnis der Kirche ist dieses Ereignis ihre Geburtsstunde. Seither richtet sie in allen Sprachen der Welt die Botschaft von Gott aus, der möchte, daß wir umdenken und ihn als eine dynamische Kraft erkennen, die unser Leben zum Guten wenden will.
Um diese Sprachkraft, die der Heilige Geist verleiht, ist es freilich miserabel bestellt. Jedenfalls in den Amtskirchen, in deren Verlautbarungen längst jedes Wort zur leeren Hülse und jeder Satz zur geistlosen Phrase verkommen ist. Wir hören im Umfeld der Kirchen kein lebendiges Brausen mehr, das durch die Gläubigen fährt und auch die Ungläubigen noch aufrüttelt, sondern ein kraftloses amtskirchliches Journalistendeutsch. Es klingt exakt wie all der Sprachmüll, der Tag für Tag von jenen erzeugt wird, die sich fürs Äußern ihrer Meinung bezahlen lassen.
Um konkret zu werden: Zum Pfingstfest finde ich auf der Website der Erzdiözese Freiburg nichts Pfingstliches, wohl aber einen »Ökumenischen Aufruf zur Europawahl«. Der steht dort in profaner Eintracht neben Ankündigungen zu Veranstaltungen wie »Frauen setzen Zeichen«, »Toxische Männlichkeit« und natürlich »Gott queer gedacht«. Man liest das und weiß sofort, was man in diesem Umfeld vom »Ökumenischen Aufruf zur Europawahl« als Christ zu erwarten hat: nichts.
Und so ist es dann auch. Wir erfahren in diesem Aufruf, daß sich die christlichen Kirchen für eine Europäische Union engagieren, die sich zur Würde des Menschen bekenne. Und wir erfahren auch gleich, was das heißen soll: Nämlich eine nun auch kirchlich approbierte Würdepolitik im – ich zitiere – »Bereich von Flucht, Migration und Asyl, im Einsatz zur Bewahrung der Schöpfung oder für den Klimaschutz sowie mit Blick auf globale Lieferketten«. Soweit das Zitat. Wer davon noch nicht genug hat, mag sich daran erbauen, daß die Kirchen die Entwicklungsländer genauso unterstützen wie den europäischen Friedensgedanken. Und wer hier mit dem Lesen nicht aufgehört hat, dem wird noch rasch versichert, daß die Kirchen dem Rechtsextremismus und völkischen Nationalismus und dem Antisemitismus und den unverblümten Bestrebungen zur Abschaffung der EU vehement widersprechen.
Was immer das in den Augen der Kirchenfunktionäre sein mag, es ist jedenfalls vollkommen identisch mit dem, was allerorten von allen durch Zwangsbeiträge finanzierten Medien und allen sich für staatstragend haltenden Parteien getönt wird. Etwas spezifisch Christliches — gar etwas Pfingstliches — ist es nicht. Es ist von seiner Substanz her vielmehr nichts weiter als eine in christliche Worthülsen und Phrasen verpackte Anbiederung an die politische Klasse, mit der die Kirchen in Deutschland auf mannigfache Weise kollusiv verbunden sind.
Die Gläubigen hören das, sie schütteln sich mit Grausen und legen mit ihrer anhaltenden Massenflucht aus den Kirchen Zeugnis davon ab, daß die von den Kirchen an Pfingsten gepredigte und in der Apostelgeschichte wörtlich so dastehende »Rettung aus dem verkehrten Geschlecht« längst nicht mehr möglich ist. Jedenfalls nicht durch und in und mit einer Kirche, die sich selbst immer öfter und immer unverhohlener als »verkehrtes Geschlecht« offenbart.
Vorstehender Text wurde am 20. Mai 2024, Pfingstmontag, im Kontrafunk in der Sendung »Kontrafunk aktuell« als Tageskommentar gesendet.