Wer nicht von dreitausend Jahren
Sich weiß Rechenschaft zu geben,
Bleib im Dunkeln unerfahren,
Mag von Tag zu Tage leben.
Mit diesem Gedanken Johann Wolfgang von Goethes aus dem West-östlichen Divan leitet der Konstanzer Latinist Manfred Fuhrmann das Schlußwort seiner Streitschrift Bildung (2002) ein. Sein Blick auf jene Zeitgenossen, die über Bildung entscheiden: sie wüßten »nichts mehr von unserer Herkunft aus Jerusalem, Athen und Rom«. Man verhielte sich so, »als ob Europa keine Vergangenheit hätte, als ob es mittellos und ohne Erbe dastünde.« Fuhrmann endet sein kleines Reclam-Büchlein, das den Untertitel »Europas kulturelle Identität« trägt, mit der Feststellung: »Allerdings pflegt […] derjenige, der keine Vergangenheit hat, auch keine Zukunft zu haben.«1
Moderne EUrokraten, die sich als »glühende Europäer« bezeichnen, ficht ihr Nichtwissen nicht an, ihnen steht bei ihren technokratischen Ingenieursarbeiten am »Projekt« EU, das sie manipulativ »Europa« nennen, keinerlei Sachkenntnis im Weg. Nur auf einer abgeräumten Werkbank lassen sich Worthülsen wie »Menschenrechte« (Hertensteiner Programm Europäischer Föderalisten, 1946; erster von mehreren Verfassungsentwürfen für ein vereintes Europa) oder »Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit« (Präambel des Vertrags vom 29. Oktober 2004 über eine Verfassung für Europa, dem Bundestag vorgelegt unter der Vorgabe »Alternativen: keine«) zu etwas zusammenschrauben, was dann »Verfassung« heißt.
Für die Suche nach Europas Identität ist damit gar nichts gewonnen. Unsere Beitragsfolge, die sich die Frage nach Rückbindungen auf die Fahne geschrieben hat, befragt deshalb einen Vordenker der europäischen Einigungsbewegung im 20. Jahrhundert: Richard Nikolaus Graf von Coudenhove-Kalergi, der 1923 seine Vision Pan-Europa2 vorlegte, Überlegungen zu einem Staatenbund, den er als »Paneuropäische Union« oder »Vereinigte Staaten von Europa« bezeichnete.
»Ich bin seit dem Zusammenbruch meines österreichisch-ungarischen Vaterlandes ein überzeugter europäischer Patriot.«3
Eine schillerndere Gestalt als der Graf ist kaum denkbar. Österreicher, Tschechoslowake, Franzose (in dieser Abfolge). »Visionär Europas«, »Botschafter Europas«,4 »Prophet Europas«,5 »Gentleman Europas«.6 Ihm war der Kosmopolitismus in die Wiege gelegt: Vater aus brabantischem Adel mit mütterlicherseits byzantinisch-kretischen Vorfahren, Mutter aus traditioneller japanischer Kaufmannsfamilie. Geboren in Tokio, wo sein Vater als Geschäftsträger der Habsburgermonarchie amtiert; aufgewachsen auf Schloß Ronsperg in Böhmen, unterrichtet vom polyglotten Vater (u.a.) in Russisch und Ungarisch; Studium Philosophie und Geschichte, Beruf: Journalist. Freimaurer in der Wiener Loge »Humanitas« (seit 1922).
[Abb. 1: Gedenkbriefmarke für
Coudenhove-Kalergi.]
Der Graf verehelicht sich mit einer Jüdin, was ihn, dessen Pan-Europa-Union im nationalsozialistischen Deutschland verboten ist, 1933 zur Emigration zwingt, über Ungarn, Frankreich und die Schweiz schließlich in die USA. In der Tradition seines Vaters, dessen Studie Das Wesen des Antisemitismus (1901) argumentiert, Juden könnten keine »Rasseeigenschaften« zugeschrieben werden, weil es keine »jüdische Rasse« gäbe, engagiert sich von Coudenhove gegen Judenhaß. Ein Aristokrat »mit Hang zum Sozialismus und Faschismus«,7 durchwirkt von Ordnungsvorstellungen, die ihn in die Nähe des österreichischen Ständestaats der Zwischenkriegszeit bringen, verstanden als Bollwerk gegen den Nationalsozialismus, gleichzeitig zum Versuch verleiten, Mussolini für seine Paneuropa-Idee zu begeistern, während der Sozialdemokrat Karl Renner (ein Protagonist von Teil II von Religio, Das Volkstum) im Präsidium der österreichischen Sektion der Paneuropa-Bewegung sitzt.
Otto von Habsburg (1912–2011), österreich-ungarischer Thronfolger (in Verhinderung), Nachfolger von Coudenhoves in der Pan-Europa-Union, charakterisiert deren Gründer (mithin sich selbst und seine Vorfahren) im Vorwort einer Neuauflage von Pan-Europa: »Seine Heimat war ein Vielvölkerstaat, der es gewagt hatte, im Zeitalter des Nationalismus an der großen reichischen Tradition festzuhalten. Osterreich-Ungarn war an dieser übermenschlichen Aufgabe zerbrochen.«8
Die Idee von »Pan-Europa« (1923) und ihre Grenzen
Hauptbezugspunkt unserer Identitätssuche soll sein: Von Coudenhoves Schrift Pan-Europa von 1923 — mit inhaltssatten 168 Seiten und einem längeren Vorwort durchaus kein schmales Manifest. Der Graf durchmißt die europäische Geschichte auf der Suche nach ihren Grundpfeilern — mit diesem Ergebnis zu »Europas Grenzen«9:
»Hellas war das erste Europa — Sein Gegensatz zu Persien schuf die Spannung zwischen Europa und Asien, schuf die europäische Idee.« [Die Geburt Europas stand in dieser Sicht in Abgrenzung zu einem anderen Kulturraum.]
»Rom schuf das zweite Europa« [rund um das Mare Nostrum, das als Imperium in West- und Ostrom auseinanderbricht und an seinen Rändern dem Islam anheimfällt.]
[Abb. 2: »Das Zeichen, in dem sich die
Pan-Europäer vereinigen werden, ist das Sonnenkreuz: das rote
Kreuz auf goldener Sonne, das Symbol der Humanität und der
Vernunft. Diese Flagge der Liebe und des Geistes soll einst von
Portugal bis Polen wehen über einem einigen Weltreich des
Friedens und der Freiheit!«10 — Von Coudenhoves Entwurf für
eine Europaflagge wurde 1950 vom Europarat abgelehnt, weil er das
christliche Kreuzsymbol enthalte.]
»Die Völkerwanderung schuf das dritte Europa — Germanische Königreiche entstanden auf den Trümmern Westroms. Dieses germanische Europa, das in Karl dem Großen seinen Höhepunkt fand, grenzte im Westen an das maurische Spanien [heißt: Wo der Islam herrscht, ist nicht Europa!], im Osten an die Slawen, Avaren und Byzantiner.« [Womit Byzanz, dem alten Ostrom, die Zugehörigkeit zu Europa abgesprochen ist.]
[An dieser Stelle sei die Feststellung von Manfred Fuhrmann vermerkt, daß sich die Germanen »stets als Erben und Nachfolger der antiken Völker angesehen« hätten. Somit definiert der Latinist Europa als eine »Gegebenheit«, die sich »in permanenter Orientierung am Vor- und Gegenbild der Antike entfaltet«. Dies war nur möglich, weil »das Erbe, in Bücher gleichsam verpackt, die dunkle, chaotische Zeit zwischen Antike und Mittelalter überstehen [konnte] und dann aufs Neue wirksam werden«.11 Zieht man den Umkehrschluß, wird deutlich, wie sehr die Idee Europa entkernt ist, wenn sie sich durch Ignoranz von ihrem Erbe abschneidet, wie das heute der Fall ist.]
Ein viertes Europa entstand unter Führung des Papsttums, ein Europa, »dessen Grenzen zusammenfielen mit der Ausdehnung des römisch-katholischen Glaubens«.
[Abb. 3: Innozenz
III.,
Pontifex von 1198 bis 1216 – für von Coudenhove Haupt eines
»europäischen Reichs«: Als Vormund des minderjährigen Staufers
Friedrich II. konnte sich der Papst nach dessen Königswahl
1212 als Lehnsherr von Sizilien, Aragon und Leon, Portugal,
Ungarn, Bulgarien sowie England fühlen.]
Fünftes Europa: »Europa des aufgeklärten Absolutismus«. »Höhepunkt«: Napoleon. »Er hat als letzter das europäische Reich Julius Cäsars, Karls des Großen und Innozenz Ill. [1198–1216] wieder hergestellt. Hätte er bei Leipzig gesiegt, so würden heute schon [1923] die Vereinigten Staaten von Europa bestehen.«
1923 steht es trüb um Europa: »Während die übrige Welt täglich vorwärtsschreitet, geht es mit Europa täglich bergab.«12
Ein Manifest der Schwäche
Das Manifest Pan-Europa beginnt in einer Einordnung »Europa und die Welt« mit dem Eingeständnis des »Verfalls der europäischen Welthegemonie«. Die Notwendigkeit einer wirtschaftlichen und politischen Vereinigung der Staaten Europas war von Anfang an der Schwäche des Kontinents geschuldet, die spätestens mit dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten von Amerika 1917 offenkundig wurde. Vereinigungen im Zeichen der Schwäche sind selten auf einem tragfähigen Fundament erbaut.
Von Coudenhoves Lagebeschreibung klingt nahezu verzweifelt: »Europa, das sein Selbstvertrauen fast verloren hat, erwartet Hilfe von außen: die einen von Rußland — die anderen von Amerika.« Beides wäre »lebensgefährlich«. Denn weder dem Westen noch dem Osten ginge es um die Rettung Europas: »Rußland will es erobern — Amerika will es kaufen.« Ein »schmaler« Ausweg sei gangbar: »Selbsthilfe durch Zusammenschluß Europas zu einem politisch-wirtschaftlichen Zweckverband.«13
Dies müsse für jeden, der den Weltkrieg »als Bürgerkrieg zwischen Europäern: als Katastrophe erster Ordnung« empfunden hat, das wichtigste Anliegen sein: einen neuen Krieg in Europa zu verhindern, wozu eine Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich von Nöten wäre.14
Es ist alles andere als eine euphorische Utopie, die hier entworfen wird, eher ein Geburtshilfeversuch in höchster Not. Die europäische Einigung in diesem Sinne ist eine defensive Reaktion auf machtpolitische Realitäten. Folglich besteht der Kern des Buches — und das wird manchen enttäuschen — nicht in einer Bestandsaufnahme dessen, was historisch und kulturell europäisch wäre, sondern in geostrategischen Abgrenzungsfragen, inklusive einer Positionsbestimmung Europas gegenüber »Amerika« (den USA) und dem Völkerbund.
Nicht zu Pan-Europa gehört Rußland, dessen Bolschewismus »die europäische Zivilisation, die Peter der Große und seine Nachfolger importiert hatten, abgeschüttelt« hat. Solange diese Abwendung vom »christlichen und demokratischen Europa« bestehe, müsse »die politische Ostgrenze Europas gegen Rußland auch die Ostgrenze der europäischen Kulturgemeinschaft« bilden,15 ja mehr noch: ein »europäischer Garantiepakt« müsse geschlossen werden, um den Kontinent vor der »russischen Gefahr« zu schützen, eine Art europäische NATO in einem vorweggenommenen Kalten Krieg: »Das einmütige Ziel aller Europäer ohne Rücksicht auf Partei und Nation sollte die Verhinderung einer russischen Invasion sein.«16 — Nicht zu Europa gehört Großbritannien (von Coudenhove spricht von »England«), dem im Anschluß an eine Abwägung »Kleineuropa oder Großeuropa?« eine Absage erteilt wird, weil es als weltumspannendes Imperium etwas Eigenständiges sei. — Schließlich wird die Türkei dem asiatischen Raum zugerechnet; sie findet ebenfalls keine Aufnahme ins Pan-Europa-Konzept.
Die Wege zu den ersehnten »Vereinigten Staaten von Europa« »nach dem Muster der Vereinigten Staaten von Amerika« müßten über die Stufen Schieds- und Garantievertrag sowie Zollunion führen. Das vollendete »Pan-Europa« könnte »den übrigen Weltteilen und Weltrnächten gegenüber als Einheit auftreten, während [nota bene!] innerhalb der Föderation jeder Staat ein Maximum an Freiheit hätte.«17
Die imperiale Machtstellung Pan-Europas würde nicht angetastet, im Gegenteil: »Den europäischen Kolonialmächten wäre der Besitz ihrer Kolonien garantiert, die sie isoliert früher oder später an Weltmächte verlieren müssen.« Und Nationen, die »bei der Verteilung der außereuropäischen Erde zu kurz kamen, wie die Deutschen, Polen, Tschechen, Skandinavier und Balkanvölker« müßten ihren Anteil an der »europäische[n] Kolonie Afrika, die den ganzen Westen dieses Kontinents umfaßt«, erhalten.18 Als Gewährsmann für antikoloniale Ideologien eignet sich von Coudenhove gewiß nicht.
Doch bei aller kolonialen Kraftmeierei — der »Botschafter Europas« ist sich sehr bewußt, wo der Alte Kontinent machtpolitisch steht, was ihn die Forderung erheben läßt: »Europa muß, hundert Jahre nach Amerika, der Welt seine Monroe-Doktrin verkünden: ›Europa den Europäern‹!«19 Es ist der Wunsch nach einem Interventionsverbot raumfremder Mächte, wie es der Staatsrechtler Carl Schmitt formulierte.
[Abb. 4: Flagge der
Paneuropa-Union. Quelle: Ssolbergj, Public domain, via Wikimedia
Commons.]
Europäische Kultur — Versuch einer Positionsbestimmung zwischen Selbstbewußtsein und Selbstzweifel20
Es berührt merkwürdig, daß von Coudenhove seine Antwort darauf, was er unter »europäische Kultur« versteht, außerhalb Europas beginnt, denn diese umfasse »den ganzen amerikanischen Kontinent, Australien, Südafrika und Neuseeland«, zudem fänden sich »europäische Kulturoasen in allen Kolonien«. Geht es dem Grafen gar nicht um Europa als eine im Konkreten, auf dem Kontinent gleichen Namens angesiedelte »Gegebenheit«, sondern vor allem um die »Kultur«, die er mit dem Begriff Europa verbindet und die zwar von einem geographisch fassbaren Punkt ausgeht, aber grundsätzlich frei flottieren kann? Kann Europa hinverlegt werden, wo immer es einem gerade gefällt?
Sodann wagt von Coudenhove doch eine positive Standortfestschreibung dessen, was für ihn »europäische Kultur« bedeutet — eine »Kultur der weißen Rasse, die auf dem Boden der Antike und des Christenturns entstanden ist«, eine — und hier dezidiert und ohne Einschränkungen oder Zusätze — »christliche«.
Durchaus kühn ist die Behauptung, »die beiden Pole der europäischen Kultur« wären »der hellenische Individualismus und der christliche Sozialismus«. Nicht, daß Griechenlands Erbe und christliche Fundierung des Abendlandes auch nur im Ansatz in Frage stünden, aber die spezifisch Coudenhove’sche Sicht auf diese Grundpfeiler ist zumindest nicht unumstritten. (Wobei das allzu denunziatorisch und inflationär aufgeklebte Etikett »umstritten«21 für einmal seine Berechtigung hat.)
»Die europäische Kultur« — so formuliert der »europäische Patriot« selbstbewußt — »ist ihrem Wesen nach aktivistisch und rationalistisch. Sie strebt danach, vernünftige Ziele kraftvoll durchzusetzen. Ihre höchste Leistung ist die Wissenschaft und deren praktische Anwendung in der Technik, Chemie und Medizin. Darin übertrifft sie weit alle bisherigen Kulturen.« Und weiter schlußfolgernd: »Ihrer starken Aktivität, die sie ihrem nordischen Charakter verdankt, hat die europäische Kultur ihren Sieg über den Erdball zu danken: denn während die übrigen Kulturen sich im Verfalle befinden, schreitet die europäische siegreich vor.« Diese Feststellung steht zwar in denkbar größtem Gegensatz zu einem anderen Manifest dieser Zeit, Oswald Spenglers Untergang des Abendlandes, bildet in von Coudenhoves Denken selbst aber keinen Widerspruch zu seiner oben zitierten Diagnose einer Bergabfahrt Europas, weil er hier kulturellen Impetus und nicht wie dort politisches Gewicht abwägt. Machtpolitisch schwach und absteigend, so beschreibt der Graf die Lage Europas nach dem Ersten Weltkrieg, kulturell sich aber weiter erfolgreich ausbreitend, vor allem im asiatischen Raum, wo die europäische Kultur »alle anderen aufsaugen« werde. Oder aufgesaugt wird?
»Eine Spielart der europäischen Kultur«, so von Coudenhove, »ist der Amerikanismus. Er bildet den extremsten Kontrast zu allem Orientalismus, zu aller Beschaulichkeit und Mystik. Er ist optimistisch, zielstrebig, tatkräftig und fortschrittlich. Dieser Amerikanismus ist übrigens nicht auf Amerika beschränkt, sondern er beherrscht auch die Industriezentren der Alten Welt (Berlin).« Ist Europa — und beinahe so defätistisch klingt ausgerechnet der »Visionär Europas« an dieser Stelle bereits 1923 — dazu verdammt, sich dem Amerikanismus als einer Art Re-Import zuvor exportierter europäischer Kultur in nunmehr stark gewandelter Form zu unterwerfen? Oder beharrt Europa aller Amerikanisierung der Welt zum Trotz weiterhin auf einem Eigenleben?
Ein Lob der Nationen
Das Eurasische Magazin vermutet, »das Gros« der Einlassungen von Pan-Europa entspräche »bis heute den Grundüberzeugungen von Europabefürwortern«.22 Wirklich?
Daß ein Imperialist wie der Graf nicht kompatibel ist mit EU-Liebhabern zeitgeistigen Zuschnitts, versteht sich. »Ordnung — Autorität — Disziplin«, einer Biographin zu Folge »Coudenhoves Werte«,23 dürften ebenfalls kaum den Geschmackstendenzen jener Kreise entsprechen (obwohl?), die inzwischen als die lautesten Befürworter der EU auftreten. Konfliktlinien gäbe es auch bei des Grafen Überzeugung, daß die Familie die »natürliche Gemeinschaft« bilde und in seiner strikten Ablehnung der Abtreibung. Ebenso ist ein Kämpfer gegen »alle Tendenzen, die die geistige und moralische Kraft Europas zerstören«, etwa »Nihilismus, Atheismus und Konsumismus«, worin sich der Graf einig weiß mit so unterschiedlichen Zeitgenossen wie Franz Werfel oder Pater Leppich, sicherlich kein Verbündeter des Progressismus postmoderner Spielart. »Die nationale Frage« schließlich beantwortet von Coudenhove keineswegs im Sinne heutiger Nationalismusverächter und Grenzauflöser. Seine diesbezüglichen Ansichten müssen auf Antisouveränisten geradezu verstörend wirken:
»Jede Nation ist ein HeiIigtum: als Pflegestätte der Kultur, als Kristallisationspunkt der Gesittung und des Fortschrittes. […] Ein Kampf gegen den nationalen Gedanken wäre ein Kampf gegen die Kultur. Der Kampf gegen den nationalen Chauvinismus würde sich schwer kompromittieren, wenn er nicht halt machte vor der nationalen Idee. Der nationale Chauvinismus kann nicht durch einen abstrakten Internationalismus niedergekämpft werden — sondern durch Vertiefung und Erweiterung der nationalen Kultur zu einer europäischen; durch die Verbreitung der Erkenntnis, daß alle nationalen Kulturen Europas eng und unentwirrbar zusammenhängende Bestandteile einer großen und einheitlichen europäischen Kultur sind.«24
Nun redet es sich leicht von einer »europäischen Kultur«, solange diese Rede im Abstrakten verbleibt. Was lebensnah darunter zu verstehen ist, an dieser Konkretisierung scheitert von Coudenhove (wie so viele nach ihm). Statt belegbarer Bindungskräfte, statt eines begründenden Mythos für sein ersehntes Europa, präsentiert der Visionär viel konjunktivischen Idealismus: »Um auf der politischen Landkarte zu entstehen, muß Pan-Europa erst Wurzeln schlagen in den Herzen und Köpfen der Europäer. […] Das paneuropäische Gemeinschaftsgefühl, der europäische Patriotismus muß Platz greifen als Krönung und Ergänzung des Nationalgefühles.«25
Bereits der Einleitungssatz des Manifestes muß hinterfragt werden: »Dieses Buch ist bestimmt, eine große politische Bewegung zu wecken, die in allen Völkern Europas schlummert.«26 Die Annahme eines europäischen Patriotismus, die Imagination von Europa als eines Vaterlandes (welches wäre dessen Muttersprache?27) ist — so deutlich wird man es sagen müssen — dann doch hoffnungsloser Utopismus, die Suche, nach einem Nichtort, nach etwas, was es nicht gibt und nicht geben kann.
Vor der Tatsache der Existenz verschiedener europäischer Nationen und Völker, die von Coudenhove nicht nur ausdrücklich anerkennt, sondern für bewahrenswert hält, argumentiert Manfred Fuhrmann sehr viel realistischer als der »Prophet Europas«: Der Latinist warnt davor, nur auf »das Abstraktum ›Europa‹« zu schauen, wenn es gälte, »europäische Kultur« zu definieren, sondern »auf die einzelnen europäischen Nationen« als »das Medium der Hervorbringungen« solcher Höhepunkte wie französische Baukunst der Gotik oder deutsche Literatur und Musik der Klassik, welche in den meisten europäischen Ländern importiert und / oder nachgeahmt wurden, um erst nach dieser allgemeinen Anerkennung als europäische Kultur zu gelten.28
[Abb. 5: Umschlag der
englischen Ausgabe von Pan-Auropa. Quelle:
Amazon.de.]
Welche Bindekräfte halten Europa zusammen?
Auf diese Frage geht von Coudenhove explizit ein, indem er europäische Bindekräfte am Werk sieht, die Europa in seinen Augen »viel einheitlicher« erscheinen lassen als — sein Beispiel — Indien. Betrachtet man des Grafen Argumentation auch nur oberflächlich, wird fast erschreckend klar, wie sehr sein Wunsch Vater des Gedankens ist:
Indien sei — im Gegensatz zu Europa, das der »Prophet« dieses Kontinents vielfach »verbunden« sieht — »gespalten durch viele Sprachen und ungezählte Dialekte, durch mehrere Religionen und viele Sekten sowie durch die Gegensätze seiner Kasten und Rassen.« Wer die Dolmetscheritis in den EU-Gremien verfolgt, muß sich wundern, wie jemand auf die Idee kommt, Europa würde durch eine einheitliche Sprache zusammengehalten. Die Sprachvielfalt, um nicht zu sagen: Verwirrung unseres Kontinents wurde in einem wahrhaften Monument der Gelehrsamkeit durchleuchtet — Der Turmbau von Babel. Geschichte der Meinungen über Ursprung und Vielfalt der Sprachen und Völker (1957–1963), eine sechsbändige (!) Habilitationsschrift des nachmaligen Konstanzer Mittelalterhistorikers Arno Borst; die kulturelle Verschiedenheit des Kontinents scheint auf mindestens seit dem Erscheinen von Herders Stimmen der Völker in Liedern (1778). Europa — sprachlich und kulturell keine Einheit, sondern Vielfalt und Buntheit.
Vollständig abstrus wird es, wenn von Coudenhove als Belege für das, was er als »die gemeinsame europäische Geschichte« bezeichnet, ausschließlich sich diametral gegenüberstehende, sich (im Wortsinne!) bekriegende Gegensatzpaare anführt:29 »Römerreich und Völkerwanderung«, wo die letztere das erstere in die Geschichte verabschiedete; »Papsttum und Feudalismus«, die sich in grimmigem Aufeinanderangewiesensein jahrhundertelang um die Vorherrschaft zankten; »Reformation und Gegenreformation«, eine Reaktionskette gegenseitiger Ablehnung und Bekämpfung, kulminierend im Dreißigjährigen Krieg; »Absolutismus und Aufklärung«, das Gottesgnadentum und die Befreiung daraus als einer Unmündigkeit; »Nationalismus und Sozialismus«, als würden diese Prinzipien von Eigenstaatlichkeit und Internationalismus sich ergänzen und nicht ausschließen (obwohl?).30
Trifft nicht ein katholischer Sozialist aus Österreich wie Friedrich Heer das Richtigere, wenn er konstatiert, Europa lebe nur in seinen Gegensätzen?31 Denn was hielt (leider muß hier die Vergangenheitsform bemüht werden) Europa identitär zusammen? Nichts als das Christentum, wie es an anderer Stelle auch von Coudenhove einräumt — allem voran die über 1300 Jahre lang gemeinsam getragene Gewissheit, das Abendland vor dem Ansturm des Islam verteidigen zu müssen.
»Du bist Europa« — ist die Umsetzung eines solchen Identitätswunsches möglich? Ist den Menschen, die in Europa leben als Deutsche, Franzosen, Griechen, Finnen, Polen oder Portugiesen, eine europäische Identität zu vermitteln, indem man als europäische »Werte« Menschenrechte und Demokratie aufruft? Wohl kaum. Es wird aber auch gar nicht mehr versucht, den Bürgern Europas den Mythos ihrer Herkunft und kulturellen Identität nahezubringen, wie es von Coudenhove in seinem Pan-Europa-Manifest noch unternommen hatte, wenn er feststellt: Europa sei »verbunden durch die christliche Religion, durch die europäische Wissenschaft, Kunst und Kultur, die auf christlich-hel!enischer Basis ruht«.
Als die Bundesrepublik sich noch den Luxus eines Bundespräsidenten leistete, der zu eigenständigem Denken befähigt war, gab Theodor Heuss – 1950 zur Wiederinbetriebnahme einer Schule in Heilbronn — diese seine Sicht auf Europa zu Protokoll: »Es gibt drei Hügel, von denen das Abendland seinen Ausgang genommen hat: Golgatha, die Akropolis in Athen, das Kapitol in Rom.« Diese »Einheit« symbolisiert die Werte Europas: Christentum, Philosophie und Demokratie, Rechtsstaatsprinzip.32
Für Heuss sind diese Werte im Gegensatz zu den EUrokraten, die sie heute recht unwissend um ihre tiefere Geschichte im Munde führen (die beiden letztgenannten; Christentum und Philosophie sind diesen Kreisen Geheimnisse mit Sieben Siegeln), keine leeren Worthülsen für die Garnierung des tagespolitischen Kampfes, sondern notwendige und inhaltssatte Herleitungen aus mehrtausendjähriger Tradition als einer vertiefenden Vergewisserung des Grundes, auf dem man steht.
Vielleicht war Theodor Heuss einer der letzten Europäer, der — um es mit einem wundervollen Bild Uwe Jochums zu sagen — »das Vergangene festknoten« konnte, »damit die Jüngeren erfahren können, wie es war. Und daß es gut war und gut ist.«
Wer aber das Vorgefundene nicht schätzt, weil es nicht in sein Bauprogramm des Neuen passen will, der muß sich Traditionen, auf die er sich stützt (denn eine Stütze braucht sogar der traditionsloseste Progressive), erfinden …
[Abb. 6: Der Turmbau von
Babel. Quelle: Pieter Brueghel der Ältere, Public domain, via
Wikimedia
Commons.]
Eine erfundene Vorgeschichte EUropas
In der Historiografie halte »ein Trend zu einer europäischen Geschichtsschreibung an, welcher national orientierte Geschichtserzählungen in den Hintergrund« dränge und »nach europäischen Interaktionsmustern, Kulturtransfers und transnationalen Vergleichen« frage. Solches konnte man 2005 in einer Rezension zu zwei Studien33 über von Coudenhove und die Paneuropa-Bewegung lesen. Verfasserin: die Zukunftshistorikerin Elke Seefried,34 deren aktuellste Buchpublikation Shaping Tomorrow’s World betitelt ist, mithin eine fast schon klassische Aktivismus-»Wissenschaftlerin«, die in der Geschichte weniger sucht, wie es gewesen sein könnte, sondern dem Leser nahebringen will, wie »man« Geschichte zu bewerten und wie die Welt zu gestalten hat — frei nach Marx: Die Historiker haben die Geschichte bisher unterschiedlich erzählt, es gilt, zukünftige Geschichte nun in eine bestimmte Richtung zu formen. Denn wer etwas »in den Hintergrund« drängen will, ist kein Beschreibender,35 sondern ein Gestaltender — und ist dieser jemand ein Historiker, dann versucht er sich an der retrospektiven Umgestaltung dessen, was geschehen ist, betreibt also mithin, was als Geschichtsfälschung zu benennen ist.
Politische Zukünfte im 20. Jahrhundert, so der Titel eines neuen Sammelbandes deutscher Historiker, den wiederum Elke Seefried als Mitherausgeberin verantwortet. Darin werden »vergangene Zukunftsvorstellungen« durchweg positiv bewertet, wenn sie im Sinne gegenwärtiger Progressiver progressiv einzuordnen sind, angefangen bei Lenin, dem beinahe bewundernd eine praxisorientierte »Tatphilosophie« attestiert wird, »die den Kommunismus näher an die Gegenwart heranholen sollte«;36 weiter mit der deutschen Sozialdemokratie der Zwischenkriegszeit, die versucht, »sich als fortschrittliche Kraft zu positionieren«, eine »Zukunftsvision des Sozialismus« zu entwickeln und nach 1945 an diesen »Zukunftsoptimismus« anknüpft, bis sie in den 1970er Jahren »als eine fortschrittsfreundliche, zukunftszugewandte Partei im Angesicht von ökonomischen und ökologischen Herausforderungen in eine Krise« gerät. Den Liberalen hingegen fehlen grundsätzlich »große Visionen« und ein vernünftiges »Zukunftsmodell«. Keine Spur von Zukunftsoptimismus schließlich im »anti-pluralistischen« und »hierarchischen« politischen Katholizismus, dem seine »Skepsis« negativ angerechnet wird und im Nationalsozialismus, der »Ewigkeitsfantasien« hegte. Der Rezensent freut sich über eine »hohe Kohärenz zwischen den einzelnen Beiträgen«, kein Wunder, wenn alle beitragenden Historiker wie in einem Kartell genau wissen, welche Zukunftsvorstellungen aus der Vergangenheit gegenwärtig zu beloben sind (»Aufstieg der Ökologie zum wichtigsten Zukunftsthema der Gegenwart«) und welche »Rückwärtsgewandtheiten« zu tadeln. Man könnte auch sagen: die Autoren singen ein Loblied auf den Progressismus grüner Bauart.
Eine Biographin von Coudenhoves, die Grazer Zeithistorikerin Ziegerhofer-Prettenthaler, gesteht ganz unverblümt, ihre Studie wolle »ein weiterer Baustein des ›gewollten‹ Europa sein«,37 die Rezensentin, jene bereits vorgestellte Zukunftshistorikerin Seefried, freut sich über dieses aktivistische Engagement der Fachkollegin, die sich »explizit in den Dienst einer Konstruktion europäischer Identität« stelle, eine Konstruktion, »die eine sinnstiftende historische Unterfütterung des europäischen Einigungsprozesses schaffen solle«.
Vorstehendes darzulegen ist eine notwendige Positionsbestimmung derjenigen Klasse, die sich dazu ermächtigt hat, mit alternativloser Deutungshoheit darüber zu befinden, wie in der Gegenwart Zukunft zu gestalten sei und wie dazu die Vergangenheit zurechtgebogen werden muß als Blaupause »für gegenwärtige Zwecke« (Martin Walser). Allen möglichen historischen Ereignissen wird unterstellt, Pioniertaten des »europäischen Einigungsprozeß« gewesen zu sein, etwa dem Ungarnaufstand 195638 — ein grotesk ahistorisches Denken, das Historikern, die sich als Wissenschaftler verstehen, schlecht ansteht.
[Abb. 7: Europa und
der Stier. Quelle: ArchaiOptix, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons.]
Die EU schafft keine Bindung — im Gegenteil
Steht Europa auf dem Fundament der Aufklärung — und steht es dort auf sicheren Beinen? Novalis würde sein Pamphlet gegen die Aufklärung — und das ist es: eine Streitschrift, die sich gewaschen hat — Das Christentum und Europa auf den Tisch knallen, um diese Vorstellung abzuräumen. Und die Dialektiker der Aufklärung, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, würden in den Chor der Aufklärungsskeptiker mit diesen zwei ebenso nüchternen wie ernüchternden Sätzen einstimmen: »Seit je hat Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde erstrahlt im Zeichen triumphalen Unheils.«
Die vollends aufgeklärte EU ist ein sozialistisches Projekt, weil sie gleichmachen (»harmonisieren«) will, was höchst ungleich ist, zu welchem Behufe der Moloch umverteilen muß, um — Beispiel Finanzen — das erfolgreichere nationale Wirtschaftssystem zu dessen Lasten dem unterentwickelten anzugleichen und im Bildungssystem das Bessere dem Schlechteren, was man mittels Bologna-Prozess recht erfolgreich durchführt. Auch die Etablierung einer Plan- und Kommandowirtschaft (»Green Deal«) weist auf den sozialistischen Impetus der EU hin. Vollendeter Sozialismus ist erreicht, wenn es allen gleich schlecht geht; bezogen auf die Bildungspolitik: wenn alle gleich schlecht (aus)gebildet sind — wovor uns in der Bundesrepublik momentan noch das föderale Prinzip im Bildungssystem bewahrt.
Die EU spaltet damit aber in vielfacher Weise, indem sie Unzufriedenheit schafft bei denen, denen genommen wird, ohne das sich jene, denen gegeben wird, als sonderlich dankbar für die Gaben erweisen; nicht zuletzt ist die EU die Totengräberin eines Bauernstandes, der mit menschlichem Maß das Land bestellt — vorerst letzter Anschlag auf dessen Existenz: Mercosur.
Nicht nur am Rande sei eine besondere EUropäische Absurdität vermerkt: Kein Europäischer Ethnologe der Jetztzeit betreibt Europäische Ethnologie; diese Fachvertreter, die sich lange Zeit Volkskundler nannten, sind vollauf damit beschäftigt, eine öko-sozialistisch-woke Agenda (Migrationsbefürwortung, Antirassismus, Urbanisierung, Gender Mainstreaming, Enteignung breiter Massen der Bevölkerung im Namen von »Klimagerechtigkeit«) ebenso unduldsam gegen Widerspruch wie unwissenschaftlich-aktivistisch der Gesellschaft aufzudrängen, die man damit bevormundet und spaltet; nahezu keiner dieser Agenda-Wissenschaftler, wie Sandra Kostner die Spezies treffend nennt, thematisiert mehr als seine eigene Befindlichkeit als Möchtegern-Progressiver; europäisch an diesem Zugriff auf die Wirklichkeit ist maximal der Versuch eines deutschen Ethnologen, auch einmal auf Zypern »zu forschen«, was dann eben im besten Falle der Blick eines Deutschen auf Zypern ist, aber keine Europäische Ethnologie, die auch nur im Ansatz Bindekräfte entwickeln könnte.
Wer ist Europäer in Zeiten vor der EU?
Waren Karl der Große und Otto der Große Europäer? Als Machtpolitiker, die eine Art Hegemonie über große Teile des Kontinents in Händen hielten, durchaus; der Karolinger auch auf kulturellem Gebiet durch seine umfassende Bildungsreform.39 Hätte Karls Reich — mit seinen »herrliche[n] natürliche[n] Grenzen, die Pyrenäen, die Meere und die Elbe« schien es »geschaffen für die Ewigkeit« — Bestand gehabt, das ist Joachim Fernaus Sicht der Dinge, »so würden wir heute ruhig und vermutlich in Frieden in den ›Vereinigten Staaten von Europa‹ leben«.40
Für spätere Zeiten wird die Spurensuche deutlich schwieriger: An den in diesem Beitrag vorgestellten Gründern und Protagonisten der Pan-Europa-Bewegung sieht man, wer sich im 20. Jahrhundert als Europäer verstand: Adelige Österreicher, die der habsburgischen Vielvölkermonarchie anhingen und nachtrauerten.
Generell war während der ganzen sogenannten Neuzeit der Hochadel aller Länder Träger eines (wenn man so will) europäischen Gedankens — angefangen bei den Kavalierstouren des feudalen Nachwuchses durch Europa, endend in der Heirats- und Bündnispolitik: Eberhard Straubs populär gestalteter Band Die Wittelsbacher (1994) setzt damit ein, daß der Autor einen Wittelsbacher seiner Zeit sagen läßt, er und seine Vorfahren stünden — qua schierer Existenz quasi — für die Idee Europa, jedenfalls für erkennbare und wirkmächtige gesamteuropäische Vernetzungen.
Das intellektuelle Ostjudentum, wie es Amoz Oz in seiner Autobiographie Eine Geschichte von Liebe und Finsternis (2004) schildert, als es sich kurz vor der israelischen Staatsgründung in Jerusalem zusammengefunden hatte, nahm für sich recht selbstbewußt in Anspruch, in der Zwischenkriegszeit die einzigen gewesen zu sein, die sich wirklich als Europäer verstanden hätten.
Apart schließlich die Vorstellung, Europa als Summe von Geistesgrößen und Kulturheroen zu zeichnen, so in Gerd-Klaus Kaltenbrunners41 dreibändiger Essay-Sammlung Europa. Seine geistigen Quellen in Portraits aus zwei Jahrtausenden (1981–1985) — von Hesiod und Platon, Augustinus und Meister Eckhart, Achim von Arnim und Joseph von Eichendorff, Johann Gottfried Herder und Hölderlin zu Adalbert Stifter, Karl Wolfskehl und Emil Cioran —, aus dem Hauptstrom selbstredend verbannt, aber im Ares-Verlag zugänglich. Oder — neu in der Edition Buchhaus Loschwitz — Bernd Wagners Porträtstudien Die letzten Europäer, mit deren Ableben, so der Porträtist, Europa im 20. Jahrhundert gestorben sei.
[Abb. 8: Britische
und deutsche Soldaten verbrüdern sich zu Weihnachten 1914 im
belgischen Ploegsteert. Quelle: Imperial War Museum, Public
domain, via Wikimedia Commons.]
Der Abgesang
Letztmals Rom gespielt wird von den französischen Revolutionären — »Heben wir unsere Herzen empor zu den Vorbildern der Antike!«, so Robespierre 1793 im Nationalkonvent42 —, mit dem Vollender und Überwinder der Revolution, Napoleon Bonaparte als »Weltgeist zu Pferde« (Hegel) und letztem Cäsar (von Coudenhove dixit). Mit Napoleons Abgang von der Bühne aber sollten auch »die Alten in ihre Welt zurückkehren«.43 Von nun an war die Antike, die »für viele Jahrhunderte lebendige Wirklichkeit und eine Schatzkammer von Vorbildern und Tugenden gewesen war«, begraben unter einem »Berg von Gelehrsamkeit«,44 buchstäblich zu Geschichte geworden. Karl Lamprecht, der Universalhistoriker seiner Zeit, urteilte 1904, die Antike vermöge »keine Ideale mehr zu bieten«, ihre »normative Geltung« wäre »dahin«; die Frage träte auf, »was an ihre Stelle treten könne.«45
Hier endet der Berliner Althistoriker Werner Dahlheim seine fulminante Geschichte mit dem schlicht-großartigen Titel Die Antike, deren Nachwirkungen — wir haben es gerade gesehen — er bis zur Französischen Revolution virtuos nachspürt, einen intellektuellen Parforceritt durch fast dreitausend Jahre, auf Seite 734 mit der offensichtlichen »Antwort des 20. Jahrhunderts« auf Lamprechts Frage: »Nichts.«
Endete mit der Rückkehr der Alten in ihre Welt nicht auch die Idee Europa? Ist ein Faden gerissen — und müßte nun eine neue »Idee« von Europa gefunden werden, mit der man sich schwer tut jenseits eines politischen Willens, weil es keinen Mythos Europa mehr gibt, schon gar keinen motivierenden im Sinne von Georges Sorel?
Nochmals zugespitzt: War die dreitausendjährige Geschichte Europas zu Ende, lange bevor die EU begann? Das 19. Jahrhundert erweist sich als Jahrhundert von Europas Niedergang, in dem die drei Hügel zusehends bröckelten: Golgatha verkam vor allem in seiner protestantischen Spielart zum Kulturchristentum (und neuerdings zur grünen NGO), Rom hatte als Ideal- und Vorbildgestalt ausgedient und Athen mutierte im deutschen Philhellenismus zur Projektionsfläche für die Träumer einer geeinten Nation und zum Kunstmuseum für Winkelmann’sche Schwärmereien.
Gab es weitere europäische Renaissancen? Bestenfalls im Konjunktivischen: Kontrafaktisch überlegt Karlheinz Weißmann 2021, wie 1921 in Berlin der 50. Wiederkehr der Reichsgründung gedacht worden wäre, hätte Deutschland den Ersten Weltkrieg gewonnen, wobei er sich auf den britischen Historiker Niall Ferguson beziehen kann, der für diesen Fall ein Nachkriegs-Europa als eine Art »Europäische Gemeinschaft« unter deutscher Führung annahm.
Die gegenwärtige Ahnungslosigkeit im progressiven Lager davon, was ein »europäischer Gedanke« sein könnte, wird nirgendwo besser dokumentiert als in der entgleisten Vorstellung des Grünen-Bundestagsabgeordneten Gelbhaar, die Union habe mit ihrer Gesetzesinitiative für eine Migrationswende den »europäischen Gedanken fallen gelassen«.
Die »Idee Europa« — ein Eliten-Projekt, einst und jetzt
Der niederländisch-jüdische Schriftsteller Leon de Winter hat einmal im Stern konstatiert, die EU sei — und er meinte das durchaus abwertend — ein Eliten-Projekt. Betrachtet man die Geschichte der »Idee Europa« und ihre Träger, dann war dies zu keinem Zeitpunkt anders; die breiten Massen der Menschen aller Völker, die in Europa lebten, waren von dieser »Idee« insofern ausgeschlossen, als sie in keiner alltagsweltlichen Berührung mit ihr standen.46 Das hat sich in Zeiten einer real alles Leben in Europa bedrohenden EU radikal geändert: Nun kann sich kein EU-Bürger mehr dem galoppierenden Wahnsinn der EU-Verordnungen entziehen, die in totalitärer Manier den gesamten Alltag in destruktivster Weise durchdringen.
Deutschland bildet das Herzstück Europas. […]
Wenn Deutschland fällt, so fällt Europa.
Wenn Deutschland verrückt wird, so wird auch Europa verrückt.
Salvador de Madariaga47
Rede eines Europäers (Addendum vom 16. Februar 2025)
Wer die Rede von J.D. Vance, die er am 14. Februar 2025 auf der Münchner Sicherheitskonferenz gehalten hat, nüchtern auf ihren Inhaltskern hin hört, kann einen beherzten Anwalt des Abendlandes entdecken, ein solcher Zuhörer wird die Rede eines Europäers vernehmen — frei und souverän vorgetragen vom Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika —, wie sie denjenigen, die behaupten, glühende Europäer zu sein, niemals über die Zunge kommen würde.
Die Bedrohung der abendländischen Zivilisation, so Vance, gehe nicht von äußeren Feinden aus, sondern »von innen« — als »Rückzug Europas von einigen seiner grundlegendsten Werte«: Demokratie, Freiheit, Christentum.
Die Demokratie beruhe »auf dem heiligen Prinzip, dass die Stimme des Volkes zählt. Es darf keine Schutzmauern [firewalls] geben.«
Die Freiheit, insbesondere die Meinungsfreiheit, wird im Rückgriff auf die europäische Aufklärung aufgerufen: Die Trump-Administration mag »anderer Meinung sein als Sie [Vance spricht die anwesenden Vertreter von »unseredemokratie« direkt an], aber wir werden dafür kämpfen, Ihr Recht zu verteidigen, sich öffentlich zu äußern — ob Sie uns zustimmen oder nicht.« Voltaires Worte, wie man sie aus dem Mund aufgeklärter europäischer Demokraten schon lange nicht mehr gehört hat.
Das Christentum werde, so Vance mit Beispielen implizit, in Europa verfolgt, wenn etwa ein britischer Veteran bestraft wird, weil er von einer Abtreibungsklinik betete.
Schließlich stellt der Vizepräsident der Vereinigten Staaten von Amerika die Frage aller Fragen, die ich dem Europa-Teil von Religio zu Grunde gelegt hatte: »Was mir und sicherlich vielen Bürgern Europas weniger klar ist: Wofür Sie sich eigentlich verteidigen. Was ist die positive Vision, die diesen Sicherheitsbund zusammenhält?«
Nüchtern betrachtet war dies viel mehr die Rede eines Europäers als alles, was die EUrokraten in den letzten Jahren zu Europa zu sagen hatten. Es war die Rede eines Familienvaters, der mit einem Kind auf dem Arm in Paris europäischen Boden betrat. Es war eine — höflich und unaufgeregt vorgebrachte — Gegendarstellung zu einer EU, die sich als »stramm atheistisches Projekt« (Claudio Zanetti) versteht und inszeniert. Wann zuletzt hat jemand im »Wertewesten« an so exponierter Stelle wie J.D. Vance von den Werten des Christentums gesprochen — insbesondere würde diese Frage an die Vertreter der C-Parteien und die Kirchen gehen. Und wann zuletzt hat ein wertewestlicher Politiker eine Rede beendet mit den Worten: »Gott segne Euch«?
Die nächste Folge von Religio will deutlich machen, wo Heimat zu verorten ist — nicht in einer abstrakten Idee von Europa, schon gar nicht in der real existierenden EU, deren Zeremonienmeister in lichtlosen Brüsseler und Straßburger Verhandlungssälen48 blutleere Finalitätsdebatten führen, sondern in Schabbach im Hunsrück.
Anmerkungen
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Manfred Fuhrmann: Bildung. Europas kulturelle Identität. Stuttgart: Reclam, 2002, S. 111. ↩
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Richard N. Coudenhove-Kalergi: Pan-Europa. Der Jugend Europas gewidmet. Wien: Pan-Europa-Verlag, 1923. — Am 15. November 1922 erschien zunächst ein Beitrag »Paneuropa — ein Vorschlag« in der Vossischen Zeitung, wiederabgedruckt am 17. November 1922 in Neue Freie Presse (Wien). ↩
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Martin Posselt: »Ich bin seit dem Zusammenbruch meines österreichisch-ungarischen Vaterlandes ein überzeugter europäischer Patriot.« Richard Coudenhove-Kalergi, Paneuropa und Österreich 1940-1950. In: Michael Gehler, Rolf Steininger (Hrsg.): Österreich und die europäische Integration 1945-1993. Aspekte einer wechselvollen Entwicklung. Wien und Köln: Böhlau, 1993, S. 367–404. ↩
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Vanessa Conze: Richard Coudenhove-Kalergi. Umstrittener Visionär Europas. Persönlichkeit und Geschichte, Band 165. Gleichen: Muster-Schmidt, 2003. — Anita Ziegerhofer-Prettenthaler: Botschafter Europas. Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi und die Paneuropa-Bewegung in den zwanziger und dreißiger Jahren. Wien: Böhlau, 2004. ↩
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Otto von Habsburg: Der Prophet Europas. Vorwort zur Neuauflage 1982. In: Pan-Europa (1923), wie Anm. 2, S. V–VI. ↩
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Hanne Dézsy: Gentleman Europas. Erinnerungen an Richard Graf Coudenhove-Kalergi. Wien: Czernin, 2001. — Die Autorin: Jahrgang 1942, Salzburger Komponistentochter, Dolmetscherin, Privatsekretärin von Coudenhove-Kalergi. ↩
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Ziegerhofer: Botschafter (2004), wie Anm. 4, S. 448. ↩
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Von Habsburg: Prophet (1923/1982), wie Anm. 5, S. V. ↩
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Pan-Europa (1923), wie Anm. 2, S. 31f. ↩
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Ebd., S. 168. ↩
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Fuhrmann, Bildung (2002), wie Anm. 1, S. 9f. ↩
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Pan-Europa (1923), wie Anm. 2, S. VIII. ↩
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Ebd., S. X–XI. ↩
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Da es unserer Suche nach Rückbindung nicht um die Aufarbeitung politischer Implikationen in historischen Zeitrahmen geht, die Frage nach von Coudenhoves Verständnis einer paneuropäischen Friedensmission aber in seinem und auch im heutigen Denken von EU-Befürwortern zentral ist, soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß von Coudenhoves begrüßenswerter Friedensappell (»Kein Mittel darf unversucht bleiben, um der Welt den künftigen europäischen Zukunftskrieg zu ersparen«, S. 102) an seiner Blindheit für die realpolitische Situation der Zwischenkriegszeit krankt. Denn das, was diesem Friedenswunsch diametral entgegenstand, der Diktatfriede von Versailles, wird von ihm kompromißlos akzeptiert: »Das heutige Europa ist ein Kind der Pariser FriedensschIüsse. Von diesen Friedensschlüssen muß jede Rekonstruktion Europas ausgehen.« An eine mögliche und notwendige Revision durch die Siegermächte zur Entschärfung der durch das Versailler Diktat entstandenen Situation denkt er in keinster Weise: Pan-Europa (1923), wie Anm. 2, S. 112. — Sehr viel realistischer und für die Stimmung der 1920er Jahre im gesamten politisch-weltanschaulichen Spektrum in Deutschland repräsentativ ist die Einschätzung Carl Goerdelers, der am 2. Februar vor 80 Jahren als Widerstandskämpfer gegen das nationalsozialistische Regime hingerichtet wurde: »Alle Schwierigkeiten, in denen sich heute Deutschland und die Welt befinden, gehen zurück auf den Wahnsinn des Diktates von Versailles.« ↩
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Pan-Europa (1923), wie Anm. 2, S. 36. ↩
-
Ebd., S. 58. ↩
-
Ebd., S. 153. ↩
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Ebd., S. 156. ↩
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Ebd., S. 85. ↩
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Die Zitate in diesem Abschnitt aus: Ebd., S. 34–36. ↩
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Conze: Visionär (2004), wie Anm. 4, nennt von Coudenhove bereits im Titel ihrer Biographie einen »umstrittene[n] Visionär Europas«. Seither sind die Umstrittenheitsverurteilungen Legion geworden — und es gilt nicht mehr das von Michael Klonovsky in seinem Roman Land der Wunder bemühte Diktum, umstritten zu sein wäre das Mindeste, was man von einem Autor erwarten dürfe. ↩
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An dieser Formulierung — »Europabefürworter« — zeigt sich hell ausgeleuchtet die Perfidie in der Manipulation, die Institution EU mit dem wesentlich umfassenderen Begriff »Europa« gleichzusetzen. Denn wenn die EU Europa ist, muß jeder, der die EU kritisiert oder gar ablehnt, ein Europagegner sein, was natürlich eine absurde Unterstellung ist, die Nigel Farage in seiner Brexit-Speech im EU-Parlament nachdrücklich zurückgewiesen hat, indem er für seine Brexiteers betonte: »We love Europe, we just hate the European Union«. https://www.youtube.com/watch?v=RBMvZRf9Scs. ↩
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Ziegerhofer: Botschafter (2004), wie Anm. 4, S. 387. ↩
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Pan-Europa (1923), wie Anm. 2, S. 142 ↩
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Ebd., S. 166. ↩
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Ebd., S. VII. ↩
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Internationale Verkehrssprache Paneuropas, Lingua Franca gewissermaßen, sollte nach Kalergis Vorstellung sein: Englisch. (Nachdem Großbritannien aus dem Staatenbund, der ihm vorschwebte, ausgeschlossen bleiben sollte.) ↩
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Fuhrmann: Bildung (2002), wie Anm. 1, S. 47f. ↩
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Pan-Europa (1923), wie Anm. 2, S. 143. ↩
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Daß von Coudenhove auch noch »Parlamentarismus« und »Industrialismus« auflistet, um seine Vorstellung von »gemeinsamer europäischer Geschichte« zu illustrieren — geschenkt. ↩
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Friedrich Herr: Europa — eine Gemeinschaft von Gegnern und Gegensätzen. In: ders.: Koexistenz — Zusammenarbeit — Widerstand. Grundfragen europäischer und christlicher Einigung. Zürich: Niehans, 1956, S. 9–28, hier S. 9. ↩
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Heuss’ Drei-Hügel-Bild taucht immer wieder in leicht abgewandelter Form in der Beschwörung der abendländischen Wurzeln auf, etwa in Manfred Fuhrmanns eingangs zitiertem Dreiklang: »Jerusalem, Athen und Rom«. ↩
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Wie Anm. 4. ↩
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Monographien: Zukünfte. Aufstieg und Krise der Zukunftsforschung 1945–1980. Berlin: de Gruyter, 2015; Shaping Tomorrow’s World. A 20th Century History of West German, Cold War, and Global Futures Studies. New York: Berghahn Books, 2024. — Herausgeberschaften: Plan und Planung. Deutsch-deutsche Vorgriffe auf die Zukunft. Berlin u.a.: de Gruyter, 2018; Politische Zukünfte im 20. Jahrhundert. Parteien, Bewegungen, Umbrüche. Frankfurt am Main / New York: Campus, 2022. ↩
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Der Bibliothekar, Zeitdeuter und Wanderer Erhart Kästner sieht das Wesen jeden wirklichen Forschers als das eines »Beiträger[s] zur großen Welt-Beschreibung, die seit dem Herodotos im Gang ist und offensichtlich den Sinn hat, die Dinge den Menschen bekannt und befreundet […] zu machen. Ohne sich dessen bewußt zu sein, kennt er die Linie, die zwischen Nutzung der Dinge und ihrer überzogenen Ausnutzung, Ausforschung und Überlistung verläuft: das ist die Grenzlinie der Neuzeit. Er beschreibt.« Erhart Kästner, Aufstand der Dinge. Byzantinische Aufzeichnungen. Frankfurt am Main: Insel, 1973, S. 130. ↩
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Wenn der Münchner »Zeithistoriker« Andreas Wirsching Lenin näher heranholt, ist dies legitim, den er steht auf dem »demokratischen« Ufer; wenn Jörg Seidel in der Zeitschrift Sezession dasselbe versucht, dürfte dies in den Augen der »Demokraten« eine unerlaubte Aneignung durch rechtsextreme Kreise sein. ↩
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Ziegerhofer: Botschafter (2004), wie Anm. 4, S. 14 f. ↩
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So der damalige Leiter der Bayerischen Staatskanzlei im Jahr 2006 bei einem Festakt zum 50. Jahrestag des Ungarnaufstandes in der Münchner Musikhochschule. ↩
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Fuhrmann: Bildung (2002), wie Anm. 1, S. 13-18. ↩
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Joachim Fernau: »Deutschland, Deutschland über alles …« Von Null bis Heute. Düsseldorf / Wien: Econ, 1967, 13. Auflage 1971, S. 23f. — Noch einmal, allerdings nur »einen Augenblick lang« hatte Otto »das gesamte Reich Karls des Großen in den Händen gehalten« — »er ließ es wieder fahren!« Ebd., S. 37. ↩
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Der Rechtsintellektuelle Kaltenbrunner war Herausgeber der inzwischen allzu unbekannten »Initiative«-Reihe im Freiburger Herder-Verlag, die zwischen 1974 und 1988 eine Art konservatives Gegengewicht zur marxistischen Edition Suhrkamp gebildet hat. ↩
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Werner Dahlheim: Die Antike. Griechenland und Rom. Ferdinand Schöningh, Paderborn u.a. 1994, 4., erweiterte und überarbeitet Auflage 1995, S. 720. ↩
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Ebd., S. 727–734. ↩
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Ebd., S. 733. — Siehe dazu auch Fuhrmann: Bildung (2002), wie Anm. 1, S. 33: »Die humanistische Bildung« sei, so der Konstanzer Latinist, vom »einst gemeinsame[n] Besitz einer ganzen Schicht« zur »Liebhaberei einiger weniger verkümmert«. Der Befund: »Die Antike hat für die Mehrzahl der heutigen Europäer allenfalls noch den Status von gesunkenem Kulturgut, das in Ruinen und alten Inschriften, in geflügelten Worten und wissenschaftlichen Terminologien sein abgesondertes Wesen treibt«, ohne »integrierende Impulse« aussenden zu können — und dies »angesichts einer Entwicklung, die zu einem europäischen Staatenbund führen soll«. ↩
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Zitiert nach: Dahlheim: Antike (1995), wie Anm. 42, 733f. ↩
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Mit der Ausnahme, daß etwa französische Lehnwörter wie Trottoir oder Chauffeur in die jeweiligen Landessprachen einsickerten, so daß sowohl meine Großmutter im Bayerisch-Schwäbischen als auch ein Arbeiter am Schwarzen Meer in Rumänien diese Wörter wie selbstverständlich im Munde führten. ↩
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Salvador de Madariaga: Porträt Europas. Aus dem Englischen übersetzt von Herbert von Borch. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1952, S. 128. ↩
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Unvergessen das schockartige Erlebnis, vor zwanzig Jahren während eines Pfarrkonvents im Elsaß plötzlich der kühlhallenartigen luftabschneidenden gemütskrankmachenden und Gehirn wie Kreativitätssinn schlagartig entleerenden Atmosphäre der Räumlichkeiten des sogenannten Europäischen Parlaments in Straßburg ausgesetzt gewesen zu sein. ↩