Kein Zweifel: Der Erfolg gebiert den Erfolg. Wenn eine Sache einmal erfolgreich ist oder es doch wenigstens scheint, springen immer mehr auf diesen Erfolgszug auf, der immer voller und länger wird und mit immer größerer Geschwindigkeit in die erfolgreiche Zukunft rast. Was macht es da schon, daß in dem immer volleren Zug die Luft immer schlechter wird? Was macht es da schon, daß man vom immer schnelleren Zug aus immer weniger Landschaft zu sehen bekommt? Hauptsache, das Ziel mit Namen »Digitalien« leuchtet im hellsten Sonnenlicht der Welt; Hauptsache, die Heizer vorne in der Lokomotive legen kräftig Kohlen nach und halten die Maschine unter Volldampf.
[Abb. 1: Dampflokomotive 89 7513. Quelle: Michael Gäbler via Wikimedia Commons (CC BY 3.0).]
Wer allerdings an der Strecke am Bahndamm steht, hört zunächst nur den aggressiven Lärm der sich rasant nähernden Lokomotive, dann sieht er in vielen Waggons hinter beschlagenen Scheiben eine vorüberhuschende bunte Zirkusschau — und dann ist alles im Nu vorbei. Die Stille kehrt zurück, alles ist wie vorher und immer. Nur ganz weit hinten jenseits der Horizontlinie gibt es ein Kreischen, das darauf schließen läßt, der Zug sei gerade entgleist. Und sehen wir nicht von dorther schemenhaft einige blessierte Gestalten zu uns zurückwanken? Mit erstaunt-entsetzten Gesichtern, daß die Fahrkarte, die sie gelöst zu haben meinten, nicht zu einem Platz an der digitalen Sonne führte?
[Abb. 2: Lok 41 018 auf der Schiefen Ebene. Quelle: Chianti via Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0).]
Kein Zweifel: Die bunte Truppe der Urheberrechtsaufweicher und »Open-Access«-Aktivisten meint, in einem solchen unter Volldampf fahrenden Zug zu sitzen. Gerade ist man an der Station »Urheberrechts-Wissengesellschafts-Gesetz« vorbeigekommen und hat nocheinmal Passagiere und Kohlen nachgeladen, und schon ist man auf dem Weg zu den »Verwaisten Werken«, und bald schon, glauben alle, werde man in »Digitalien« angekommen sein, zumal der von der Europäischen Union in die diversen universitären Bahnstationen gehängte Fahrplan als Ankunftsdatum ja klar und lesbar das Jahr 2020 nennt.
Was macht es da schon, daß in diesem Zug inzwischen auch einige Passagiere mitfahren, die man bei der Abfahrt eigentlich zurücklassen wollte? Denn die Zukunft, so sagten vor der Abfahrt die Schaffner und Lokführer, die Zukunft da vorne in »Digitalien« könne man nur erreichen, wenn man ohne die Verlage — jedenfalls und mindestens ohne Springer, Wiley und Elsevier — abfahre. Und so fuhr das begeisterte Publikum mit, und niemand fragte, wer eigentlich die Schaffner und Lokführer bezahle und woher das Geld für den Zug und die Schienen komme? Hauptsache, im Zug herrscht gute Laune und Zuversicht und die Party geht bis zur Endstation weiter. Aber die auf dem erhöhten Bahndamm stehen und mit etwas Abstand auf den vorbeirauschenden Zug sehen, wundern sich darüber, daß auf dem Tender doch gut sichtbar für alle, auch die Ersteinsteiger und Spätaufspringer, eine Reklametafel steht, deren wechselnde Anzeige verrät, wer da hilft, die Kohlen zu bezahlen: Es sind u.a. Springer, Wiley und Elsevier:
[Abb. 3: Offizielle Sponsoren der Dresdener »Open-Access«-Tage. Quelle: Website der Open-Access-Tage 2017 (Dresden)]
Während man also im Zug meint, die Party gälte der Bekämpfung, vielleicht gar Vernichtung der drei bösen großen Wissenschaftsverlage, darf man davon ausgehen, daß ebendiese Verlage von drinnen und draußen längst dafür sorgen, daß der Zug in die für sie richtige Richtung fährt. Es wird keine Richtung sein, in der die Passagiere der »Community« in einem verlagsfreien und schlaraffig-kostenlosen »Digitalien« ankommen werden, sondern eine Richtung, die in einem sehr weiten Kreis auf ein Ziel führt, das mit dem Start identisch ist. Nur, soviel Hegel muß dann doch sein, wird es eine Identität auf neuer Ebene sein: volldigital wohl kaum, teurer ganz gewiß, und von den großen Verlagen kontrolliert sowieso. Schon deshalb, weil die staatlichen Akteure, die den Schaffnern und Lokführern das Kostüm verpassen, sich in Wahrheit ja gar nie in einer nennenswerten Opposition zu den drei genannten Verlagen befunden haben, sondern, ganz im Gegenteil, montags zwar deren Einhegung und Zurückdrängung fordern, mittwochs aber nicht zögern, sich mit ihnen einzulassen und große Geschäfte zu machen. Das gilt zumal für die »DEAL«-Verhandlungen, die in aller Munde sind und die genau mit jenen Verlagen geführt werden, gegen die man doch eigentlich zu Felde ziehen wollte. Es gilt aber auch für das große wissenschaftliche Bahnstellwerk namens »Deutsche Forschungsgemeinschaft«, das den Wissenschaftlern immer mehr »Open-Access«-Regularien aufnötigt, selbst aber kein Problem damit hat, seine Hauszeitschrift »forschung«, eine steuerfinanzierte Hochglanz-Werbebroschüre, bei Wiley erscheinen zu lassen.
[Abb. 4: forschung, das Werbemagazin der DFG, Cover der Ausgabe 3/2017. Quelle: Website der DFG]
Und so darf man sich nicht wundern, daß in diesem Zug und an jedem seiner Haltepunkte das Wort von der »Kollaboration« die Runde macht. Das meint in diesen Kreisen, daß man alles dafür tun müsse — durch ein aufgeweichtes Urheberrecht und durch noch mehr »Open Access« —, daß »die Wissenschaft« am besten weltweit über digitale Wissenschaftsplattformen (die eine Kommunikationsplattform und zugleich ein Reservoir digitalisierter Bücher und Aufsätze sein sollen) miteinander arbeiten kann, so, als sei Wissenschaft ein Unternehmen nach Art eines Industriebetriebes und habe durch geeignete Geschäftsgänge dafür zu sorgen, daß hinten auch ein verwertbarer »Output« herauskommt. Daß diese Art von »Kollaboration« freilich ohne jene andere und sehr massive Art von Kollaboration, die die Interessen der einzelnen Wissenschaftler längst auf dem Altar der industriellen Verwertbarkeit von Wissenschaft geopfert hat, gar nicht möglich sein kann, ignoriert man. Und macht sich also zu einem Kollaborateur ebenjener u.a. mit dem Namen Elsevier verbundenen Verwertungsinteressen, die an der Wissenschaft nur den Profit sehen, den man aus ihr ziehen kann. Hätte man in den Kreisen dieser Kollaborateure noch ein Gran von Bewußtsein und einen Funken Scham, müßte man angesichts der in schöner Folge gemeldeten Renditezahlen von Elsevier — sie sollen bei 30 Prozent liegen — schamrot werden; denn diese Umsatzrenditen verdanken sich nicht nur einem knallharten Geschäftsmodell auf seiten des Verlages, sondern gerade auch den willfährigen Digitalisierungs- und »Open-Access«-Kollaborateuren auf seiten des Staates.
[Abb. 5: Elsevier ist nicht allein. Quelle: »Isaac Elzevir entwarf um 1620 das heute noch genutzte Markenzeichen der Firma«, vektorisiert von Benutzer:Gaspard (Public Domain), via Wikimedia Commons.]