Das Geheimnis von DEAL

Geschrieben von Uwe Jochum am 2.6.2019

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Uwe Jochum

Wissenschaftlicher Bibliothekar

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»Open Access« — wer weiß es nicht? — ist »der freie Zugang zu wissen­schaftlicher Literatur und anderen Materialien im Internet«. So steht’s in der Wikipedia. Und wer es mit dem freien Zugang noch etwas umfassender haben will, schwenkt von »Open Access« gleich zu »Open Science«, die zum Ziel hat, »Wissenschaft einer größeren Zahl von Menschen einfacher zugänglich zu machen.« So steht es gleichfalls in der Wikipedia. Damit aber niemand auf die Idee kommt, daß mit dem »einfacher zugänglich« eine in einfacher Sprache verfaßte Wissenschaft gemeint sein könnte, präzisiert das der Wikipedia-Artikel durch zwei Unterpunkte: Erstens kann man »Open Science« unter »produkt­orientiertem« Blickwinkel betrachten und also darauf hinarbeiten, daß bei »Offener Wissenschaft« möglichst viel »Open Access« herauskommt; und zweitens kann man »Open Science« prozeßorientiert betrachten und die Wissenschaft zu einem Fall von »Bürgerbeteiligung« machen. In den Worten der Wikipedia:

Offene
Wissenschaft [Quelle: Wikipedia.]

Es ist kein Geheimnis, daß sich in Deutschland die großen Wissenschafts­organisationen von Anfang an hinter »Open Access« und dann natürlich auch hinter »Open Science« gestellt haben. Seit der »Berliner Erklärung« aus dem Jahre 2003 sind alle großen deutschen Forschungsorganisationen, die sich in der »Allianz der Wissenschaftsorganisationen« zusammengeschlossen haben, mit im Boot und betreiben eine Forschungspolitik, die das Adjektiv »offen« als Synonym für »digital übers Internet verfügbar« auslegt und »Offene Wissen­schaft« folglich als eine Unternehmung betrachtet, deren Veröffentlichungen »frei« übers Internet zugänglich sind. Daß die vom Grundgesetz garantierte Wissen­schaftsfreiheit etwas ganz anderes meint, nämlich nicht die technische Optimierung des Zugriffs auf Wissenschaft dank Internetzugang, sondern die von jedem Wissenschaftler zu treffende freie Wahl seiner Forschungs­gegen­stände, Forschungswerkzeuge und Veröffentlichungswege, blendet man in der kollektiven Selbstdarstellung der »Allianz« inzwischen nahezu völlig aus oder schiebt es an den Rand in offizielle Jubiläumsfeierstunden.

In diesem Kontext ist es natürlich bemerkenswert, daß die für »Open Science« eintretende »Allianz der Wissenschaftsorganisationen« im Zuge der DEAL-Verhandlungen — mehr dazu in der Wikipedia — mit dem Verlag Wiley sich selbst an die Nase faßte und den zwischen Wiley und dem »Projekt DEAL« geschlossenen Vertrag veröffentlichte. Offenbar wollte man hier nicht nur von »Open Science« reden, sondern »Open Science« auch praktizieren und Transparenz herstellen. Das ist eine durchaus erfreuliche Sache, und es ist ebenso erfreulich, daß der interessierte Bürger auf der Website des »Projektes DEAL« nun auch eine Liste mit häufig gestellten Fragen (FAQs) findet, so daß er in die Lage versetzt wird, sich auf dieser Basis ein eigenes Urteil zu bilden.

Schaut man sich die dortigen Ausführungen vor allem im Hinblick auf die vertraglich vereinbarten Zahlungen etwas genauer an, fällt allerdings auf, daß der Transparenz eine bemerkenswerte Grenze gesetzt ist. Lesen Sie, damit Sie den Punkt, um den es geht, besser verstehen, folgende Passage aufmerksam durch:

Projekt DEAL [Quelle: Website Projekt DEAL.]

Zweifellos gibt der erste Absatz genau das wieder, was im veröffentlichten DEAL-Wiley-Vertrag steht und von jedermann nachgelesen werden kann. Erläutern muß man höchstens, daß das im ersten Absatz genannte »Publikations­aufkommen« die geschätzte Anzahl der hybriden »Open-Access«-Publikationen meint, für die ein Festpreis von 2750 Euro pro Artikel vereinbart wurde. Der »individuelle Teilnahmepreis« der teilnehmenden Bibliotheken (oder Universitäten) richtet sich nach diesem geschätzten Publikationsaufkommen in den hybriden »Open-Access«-Zeitschriften. Zu diesem auf der Basis von Schätzungen ermittelten »Teilnahmepreis« kommen dann noch die Publikationsgebühren für die goldenen »Open-Access«-Artikel hinzu, die mit zwanzig Prozent vom Listenpreis rabattiert werden. Soweit, sogut und bekannt.

Der zweite Absatz ist indessen durchaus rätselhaft. Dort wird ein Rundschreiben der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) erwähnt, in dem von einer Preis­steigerungsrate die Rede ist, die bis zum Ende der Vertragslaufzeit des Wiley-DEAL-Deals pro Jahr effektiv 2,961 Prozent betragen soll. So steht es da. Und es steht ebenfalls da, daß Einrichtungen, die »relativ wenig« veröffentlichen (gemeint ist: an denen die Wissenschaftler relativ wenig à la »Open Access« und in Wiley-Zeitschriften veröffentlichen), mit einer Rückerstattung rechnen könnten, über deren Höhe sich freilich derzeit nichts sagen lasse.

Was daran rätselhaft sei, werden Sie fragen?

Nun, rätselhaft daran ist erstens, daß die dort erwähnte »Preissteigerung« auf der Basis des Jahres 2017 errechnet wird und nicht auf der Basis des Jahres 2018, das unmittelbar vor der am 1. Januar 2019 beginnenden Laufzeit des Vertrages zwischen dem Verlag Wiley und dem »Projekt DEAL« liegt und damit eigentlich das Referenzjahr zu sein hätte, von dem aus man die jährliche Preissteigerungs­rate bis zum Vertragsende am 31. Dezember 2021 berechnen müßte. Man darf vermuten, daß bei einem anderen Referenzjahr auch eine andere »Preissteigerung« herauskäme, aber ob sich das so und wie es sich im Detail verhält, läßt sich ohne Kenntnis des zugrundegelegten Rechenwerks natürlich nicht sagen. Zweitens ist rätselhaft, daß im Wiley-DEAL-Vertrag überhaupt keine Bestimmungen zu einer Preis­steigerungsrate zu finden sind. Das als Quelle für die konstatierte »effektive Preissteigerung von 2,961 % pro Jahr« genannte »HRK-Rundschreiben Nr. 02/2019« legt hier folglich keine Vertragsbestimmung aus, die für beide Vertragspartner bindend wäre, sondern verkündet einen einseitig für die Bibliotheken greifenden und von der HRK festgesetzten finanziellen Mechanismus. Drittens ist rätselhaft, auf Grund welcher ökonomischen Sachverhalte es zu dieser effektiven Preissteigerung kommen soll. Im Vertrag zwischen Wiley und DEAL ist ja explizit festgelegt, daß für die hybriden »Open-Access«-Artikel über die gesamte Vertragslaufzeit ein Festpreis von 2750 Euro pro Stück zu entrichten ist, was Preissteigerungen ausschließt. Preissteigerungen kann es folglich nur für die goldenen und rabattierten »Open-Access«-Artikel geben, aber diese sind für die jährliche Berechnung des »Teilnahmepreises« und die sich daraus ergebenden Preissteigerungen nicht relevant und können hier folglich nicht gemeint sein. Was sorgt dann aber für eine Preissteigerung, die auf effektiv 2,961 Prozent pro Jahr gedeckelt werden soll? Und damit sind wir beim vierten rätselhaften Moment der ganzen Sache: Beim »HRK-Rundschreiben Nr. 02/2019« handelt es sich um ein nicht-öffentliches Zirkularschreiben an die DEAL-willigen Einrichtungen, so daß die interessierte Öffentlichkeit keine Chance hat, zu erfahren, aufgrund welcher publikationsökonomischen Mechanismen hier die Deckelung eines Preisanstiegs notwendig wird, eines Preisanstiegs, der auf der Basis eines fragwürdigen Referenzjahres berechnet und der in den Bestimmungen des Wiley-DEAL-Vertrags gar keine Grundlage hat.

Viele Fragen [Bild von Sophie Janotta auf Pixabay.]

An dieser Stelle könnte man einen Punkt machen. Und sich mit der Feststellung begnügen, daß es Gründe geben muß, der Öffentlichkeit — übrigens auch dem innerbibliothekarischen Fachpublikum — etwas zu verschweigen. Und zwar keine Vertragsbestimmung, sondern ein auf seiten der Bibliotheken zur Anwendung kommendes Berechnungsverfahren, das eine »Preissteigerung« unterstellt, die es laut Vertrag gar nicht geben kann.

Man könnte einen Punkt machen und die Sache als geheimnisvoll auf sich beruhen lassen. Man kann aber auch auf dem Standpunkt stehen, daß Geheimnisse dazu einladen, gelüftet zu werden. Vor allen Dingen, wenn man, wie hier, mit einer großen Transparenzgeste an die Öffentlichkeit geht und den Vertrag »ins Netz« stellt, dann aber im Kleinklein der bibliothekarischen Ausführungsbestimmungen von Transparenz nichts mehr wissen will und Geheimniskrämerei betreibt.

Ein Geheimnis kann auf zweierlei Weise gelüftet werden. Zum einen dadurch, daß man die geheimgehaltene Bestimmung öffentlich macht. Diesen einfachen Weg muß ich leider ausschließen: Ich kenne das HRK-Rundschreiben 02/2019 genausowenig wie all die anderen, die nicht zum erlauchten Kreis seiner Adressaten gehören. Bleibt nur der andere Weg, das Geheimnis zu lüften, indem man frei nach Sherlock Holmes detektivische Vermutungen anstellt, bei denen man das Unmögliche ausschließt, um einen Möglichkeitsraum übrigzubehalten, in dem die Wahrheit zu finden sein muß. Und das ist dann auch der Lohn, der unserem kleinen Spiel mit Vermutungen winkt: Wir schauen in die Richtung der Wahrheit.

Top Secret [Bild von Peter Wiberg auf Pixabay.]

Machen wir es also wie unser großer literarischer Detektiv und schließen zunächst das Unmögliche aus.

Zu diesem Unmöglichen gehört, wie wir bereits wissen, daß es für die in hybriden »Open-Access«-Zeitschriften veröffentlichten Artikel zu einer Preissteigerung kommen kann. Das ist durch die Vertragsbestimmung aus­geschlossen, daß für jeden dieser Artikel während der Laufzeit des Vertrages ein Festpreis von 2750 Euro zu entrichten ist.

Unmöglich ist aber auch, daß die goldenen »Open-Access«-Artikel zu einer Preissteigerung führen, die sich auf den DEAL-»Teilnahmepreis« auswirkt. Denn selbst wenn während der Vertragslaufzeit die Publikationsgebühren für die goldenen Artikel steigen werden (was nicht unwahrscheinlich ist), würde sich das nicht auf die Berechnung des DEAL-»Teilnahmepreises« auswirken, schlicht deshalb, weil für die Berechnung des »Teilnahmepreises« nur die geschätzte Anzahl jener Artikel herangezogen wird, die in hybriden »Open-Access«-Zeitschriften veröffentlicht werden.

Nach dem Unmöglichen nun das Mögliche:

Möglich ist natürlich, daß das Volumen der vom Wiley-DEAL-Vertrag abgedeckten und in hybriden »Open-Access«-Zeitschriften erscheinenden wissenschaftlichen Aufsätze über dem liegt, was man geschätzt und der Berechnung des »Teilnahmepreises« zugrundegelegt hat. In diesem Fall werden die teilnehmenden Bibliotheken allerdings nicht mit einer »Preissteigerung« konfrontiert sein (die ist ja ausgeschlossen, siehe oben), sondern mit einer Kostensteigerung: Je mehr Wissenschaftler mitmachen, desto teurer wird das Ganze, einfach deshalb, weil der Festpreis von 2750 Euro pro Artikel mit der Anzahl der faktisch verfaßten und von den Zeitschriften akzeptierten Artikel multipliziert werden muß. Und andererseits: Wenn das Volumen der veröffentlichten Aufsätze unter der geschätzten Menge liegt, kann es, wie die DEAL-FAQs ausführen, auch eine Kostenreduktion und damit Rückerstattung geben, wobei der Wiley-DEAL-Vertrag allerdings festlegt, daß auch bei geringerem Publikationsaufkommen jener Betrag zu zahlen ist, der dem »Basiszähler« (»Baseline Count«) entspricht, der ungefähr bei 9500 Artikeln pro Jahr und damit bei jährlich 26 Mio. Euro liegen wird (siehe dazu den Appendix E des Vertrages).

Möglich ist natürlich auch, daß an einzelnen Einrichtungen die Wissenschaftler mehr produzieren, als man geschätzt hat, während sie an anderen Einrichtungen weniger als angenommen produzieren. Dann hat die eine Einrichtung schlicht mit einer Kostensteigerung zu kämpfen, die andere Einrichtung aber darf sich über eine Kostenreduzierung freuen — die freilich, siehe oben, nicht unter den »Basiszähler« rutschen kann. Dieser Fall, daß die Publikationsvolumina an den einzelnen Einrichtungen unterschiedlich ausfallen und die einen mehr, die anderen weniger produzieren als angenommen, ist sicherlich der wahrscheinlichste. Hinzu kommt, daß sich das Mehr oder Weniger während der Laufzeit des Vertrages dynamisch verschieben wird, denn wir wollen ja ganz im Sinne unserer »Open-Access«-Freunde davon ausgehen, daß die Sache ein Erfolg wird und immer mehr Wissenschaftler nach ebenjenen Konditionen veröffentlichen, die ihnen der Wiley-DEAL-Vertrag eröffnet. Daraus würde dann natürlich insgesamt eine Kostensteigerung resultieren, die sich aber auf die einzelnen teilnehmenden Einrichtungen ganz unterschiedlich auswirken würde: Die insgesamt steigenden Kosten werden sich bei der einen Einrichtung dank vielschreibender Wissenschaftler als steile Kostenkurve niederschlagen, an einer anderen Einrichtung mag der Kostenanstieg deutlich flacher ausfallen, und wieder an einer anderen Einrichtung mögen dank wenigschreibender Wissenschaftler die Kosten sogar zurückgehen. Kurz: Bei insgesamt und absolut steigenden Kosten kann es innerhalb der Bibliotheken zu relativ unterschied­lichen Kosteneffekten kommen.

Was nun? [Bild von Robin Higgins auf Pixabay.]

Soweit also das Mögliche und sogar Wahrscheinliche. Vor dem Hintergrund dieses Wahrscheinlichen ist nun aber die in dem unveröffentlichten HRK-Rundschreiben 02/2019 genannte »Preissteigerung« von 2,961 Prozent im Jahr durchaus verständlich; man muß nur das Wort »Preissteigerung« gegen das Wort »Kostensteigerung« austauschen: Der angenommene Erfolg des Wiley-DEAL-Vertrages mit seiner antizipierten Zunahme des Veröffentlichungs­volumens führt selbstverständlich zu einer Kostenzunahme. Wieso aber, so werden sich meine auferksamen Leser an dieser Stelle fragen, kann man die erwartete Kostenzunahme so überaus präzise nicht nur mit 2,961 Prozent im Jahr angeben, sondern die zu erwartende Kostensteigerung auch genau auf diesen Prozentsatz begrenzen? Nun, man kann es, wenn man die insgesamt steigenden Kosten auf die einzelnen Einrichtungen ganz unterschiedlich herunterbricht. Und zwar so, daß diejenigen, die einen Kostenauftrieb produzieren, der über 2,961 Prozent liegt, ihren Kostenanstieg auf genau jenen Prozentsatz gedeckelt finden, während diejenigen, die mit schreibschwachen Wissenschaftlern gesegnet sind und eigentlich eine Rückerstattung erhalten müßten — nun, was soll ich sagen? —, weniger zurückerstattet bekommen, als ihnen rechnerisch zurückerstattet werden müßte, vielleicht sogar gar nichts zurückerstattet bekommen. Noch einmal in anderen Worten: Die Kosten-Kappungsgrenze von 2,961 Prozent läßt sich nur realisieren, wenn bei Einrichtungen mit wenigschreibenden Wissenschaftlern die Rückerstattung geringer ausfällt als sie unter Berücksichtigung des anteiligen Publikations­aufkommens dieser Einrichtung sein müßte — oder wenn sie gleich ganz entfällt. Und nun ergibt auch der letzte Satz in obigen DEAL-Ausführungen zur Frage der möglichen Rückerstattungen einen sehr verständlichen Sinn: Es kann, steht dort, für Einrichtungen, die relativ wenig publizieren, auch eine Rückerstattung geben; und dann: »Diese kann aber heute der Höhe und der Berechnungsweise nach nicht quantifiziert oder gar garantiert werden

Jetzt ist alles klar: Die Rückerstattungen können nicht garantiert werden, weil — wenn unsere Vermutungen stimmen — die Bibliotheken von Einrichtungen mit wenigschreibenden Wissenschaftlern über eine interne Kostenumverteilung jene Bibliotheken subventionieren müssen, an denen die Wissenschaftler äußerst veröffentlichungsfreudig sind. Sonst ließe sich keine pauschale Kosten-Kappungsgrenze von jährlich 2,961 Prozent festlegen. Und natürlich kann eine Rückerstattung auch deshalb nicht garantiert werden, weil dann, wenn der Wiley-DEAL-Deal unter den Wissenschaftlern ein Erfolg würde, so daß die Anzahl der realen Publikationen und damit auch die Höhe der realen Kosten über den Schätzungen liegen — Rückerstattungen selbstverständlich nicht möglich sind. In diesem Falle würde der Erfolg die versuchte Kostendeckelung aushebeln.

Geheimnis [Bild von Robin Higgins auf Pixabay.]

Das wäre, wenn es so wäre, allerdings ein starkes Stück. Nicht nur, weil das Versprechen auf prozentuale Kostenkappung auf Sand gebaut ist. Sondern auch, weil in dem von Dauersubventionen geprägten Umfeld von »Open Access«, in dem die »Allianz der Wissenschaftsorganisationen« von Markt- und Konkurrenzmechanismen nichts mehr wissen will, weil sie darauf setzt, daß der Staat selbst ein besseres und billigeres Publikationswesen als die Verlage auf die Beine stellen könne und dort, wo er es doch nicht kann, durch bilaterale Verhandlungen, wie bei Wiley-DEAL, die Kosten gedrückt werden müssen — weil in diesem von grassierender Subventionitis und Kostenversteckerei geprägten Umfeld die »Allianz« nun noch eines obendraufsetzt, indem sie einen Kostenkappungsmechanismus erfindet, bei dem die einen Bibliotheken die anderen kannibalisieren müssen. Kein Wunder, daß man die Details dieser Kannibalisierung lieber für sich behält und das HRK-Rundschreiben 02/2019 nicht veröffentlicht. Dann nämlich steigen die Chancen, daß den Kannibalisierten mangels öffentlicher Aufmerksamkeit und damit verbundenen Protestpotentials nichts anderes übrig bleibt, als bei diesem zweifelhaften Festmahl mitzumachen. Und sie werden ja auch erst, wenn sie den Eintritt fürs Gastmahl bezahlt haben und am Tisch sitzen, erfahren, ob sie zu den Essern oder zu den Gegessenen gehören. In den Worten der DEAL-FAQs: »Der individuelle Teilnahmebetrag wird den einzelnen Einrichtungen von der MPDL Services GmbH mitgeteilt.«

Drawing[Die Gottesanbeterin frißt ihr Männchen. Quelle: Oliver Koemmerling via Wikipedia, cc-by-sa 3.0.]

Ob das funktionieren wird? — ich weiß es nicht. Ich weiß auch nicht, ob die hier angestellten Vermutungen die Wahrheit treffen; ich vermute allerdings, daß sie in die Richtung der Wahrheit weisen. Eines aber läßt sich mit Gewißheit sagen: Die Nichtveröffentlichung des HRK-Rundschreibens 02/2019, in dem der für den Wiley-DEAL-Deal anzuwendende, weil »Open-Access« ermöglichende Kostenkappungsmechanismus erläutert wird, hat mit »Open Science« nichts zu tun. Was die Hochschulrektorenkonferenz nicht anders als die gesamte »Allianz der Wissenschaftsorganisationen« noch als Lernpensum vor sich hat, wird an dieser Stelle mehr als deutlich: »Open Science« sollte den Wissenschaftlern und Bibliotheken weder durch Versprechungen noch durch finanzielles Schönrechnen abgepreßt werden, mit »Open Science« sollte man vornehmerweise zunächst einmal bei sich selbst beginnen. Das wäre in diesem Fall ganz einfach zu bewerkstelligen, indem man aus dem HRK-Rundschreiben 02/2019 kein Geheimnis macht, sondern es »Open Access« »ins Netz« stellt.

So ließe sich das Geheimnis von DEAL lüften. Ich wäre der Letzte, der es bedauerte, durch eine solche Lüftung widerlegt zu werden.