Die politische Lage, in der wir uns derzeit befinden, ist nicht mehr so recht gemütlich. Ganz offensichtlich geht das neue Biedermeier, das sich mit dem Namen Merkel verbindet, zu Ende, und damit geht auch eine gesellschaftliche Phase zu Ende, in der viele glaubten, ihre Angelegenheiten dem vormundschaftlichen und von einer »Mutti« gelenkten Staat überlassen zu können, der es schon richten werde. Das hat der Staat getan und tut es immer noch, aber inzwischen zeigt sich angesichts dessen, was man »Corona-Krise« nennt, daß es des Vormundschaftlichen längst zuviel ist. Zum Symbol dieses Zuviel ist die »Mund-Nase-Bedeckung« geworden, die »Maske«. Von ihr glauben die einen — beeinflußt durch ein Amalgam aus Staatsvirologen, Robert-Koch-Institut, staatlichem Rundfunk, staatlichem Fernsehen und staatstragenden Zeitungen —, sie würde sie vor einem tödlichen Virus schützen. Die anderen hingegen — die sich längst aus staatsunabhängigen und über das Internet leicht zugänglichen Quellen informieren — sind davon überzeugt, daß angesichts eines grippeähnlichen Virus die Maske unnütz und eher schädlich ist und dem Staat dazu dient, dem Bürger jeden Tag über die öffentliche Vermummung eine Demutsgeste abzufordern: Wer dem vormundschaftlichen Staat nicht mehr folgen mag, muß sich im Tragen der Maske ihm dennoch unterwerfen.
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Normalerweise ist das eine Situation, in der Demokratien zur Höchstform auflaufen. Über die Parlamente und Medien moderieren sie den öffentlichen Austausch der unterschiedlichen Ansichten, so daß sich in diesem Austausch allmählich eine gemeinsame, von der Mehrheit der Bürger akzeptierte Linie herausbilden kann. Diese Moderation aber wurde im neuen Biedermeier ausgesetzt. Die Parlamente auf Landes- und Bundesebene sind seit langem schon zu reinen parteipolitischen Proklamationsapparaten geworden, in denen im Fünfminutenrhythmus ein Redner seine immer vorhersehbare Parteimeinung kundtut, ohne sich auf das Spiel von Rede und Antwort und also auf einen Konflikt um der Sache willen einlassen zu müssen. Und die Medien ersetzten profunde Recherchen durch leichte Reportagen, in denen den Lesern ein auf die Wirklichkeit zielender Eindruck von was auch immer vermittelt wird, aber keine Analyse ebendieser Wirklichkeit. Kurz: Es fehlt das kontroverse Wort, und damit fehlt auch der Begriff, der es erlauben würde, die Wirklichkeit zu begreifen.
Aber ist das Internet mit seinen vielfältigen Möglichkeiten nicht das Mittel der Wahl, um aus dieser Situation herauszukommen? Zumal, siehe oben, sich ja wirklich viele Interessierte längst über das Internet informieren? Nun, denkbar ist natürlich, daß sich auch im Internet Plattformen bilden, die an die Stelle der Zeitungen und öffentlich finanzierten Rundfunk- und Fernsehanstalten treten und leisten, worin diese Medien versagen: die Moderation der antagonistischen Meinungen. Das hängt aber zuletzt an der Bedingung, daß das Internet ein freies Medium ist, in dem die konfligierenden Tendenzen ihren Ort finden und aufeinandertreffen können. Genau das steht jedoch in Frage: Längst blockiert das Oligopol aus Twitter, Facebook und Youtube Beiträge, die sogenannte »Community-Standards« nicht einhalten, wobei in vielen Fällen fraglich bleibt, worin der Verstoß denn nun genau bestehen soll. Im Reich des Vertragsrechts und mit dem Netzdurchleitungsgesetz im Rücken ist es den Plattformbetreibern ein leichtes, unliebsame Kunden wegen »gefährlicher Desinformation« oder »Haß« oder »Rassismus« oder »Homophobie« oder »Covidiotie« vor die digitale Tür zu setzen.
Dabei fällt auf, daß der Ausschluß vor allem jene betrifft, die sich öffentlichkeitswirksam gegen die derzeitige Regierungspolitik in Position gebracht haben und auch kompetent etwas zu sagen wissen. Fachleute eben, deren Verstoß gegen die »Community-Standards« offenbar darin besteht, Argumente vorzubringen, die gegen die vom Staat vorgegebenen Wahrnehmungs- und Denkstandards verstoßen. Sucharit Bhakdi zum Beispiel, der dem unabhängigen Journalisten und Blogger Boris Reitschuster ein Interview gab, in dem er die »Corona-Maßnahmen« der Bundesregierung mit guten Gründen kritisierte, was Youtube nicht im geringsten davon abhielt das Video ohne gute Gründe zu löschen. Nachdem Reitschuster das gelöschte Youtube-Video mit dem Bhakdi-Interview erneut hochgeladen hatte, wurde es wieder gelöscht — und nun geht die Sache vor Gericht. Nicht anders erging und ergeht es dem Arzt Bodo Schiffmann, ein bekannter Aktivist gegen die staatlichen »Corona-Maßnahmen«, der inzwischen auf eine ansehnliche Liste von gesperrten Youtube-Videos zurückblicken kann.
Quelle: www.reitschuster.de
Wer angesichts dieser Situation damit liebäugelt, dann doch lieber wieder in die Hände staatlicher Akteure zurückzuflüchten und darauf zu setzen, daß es dort und zumal in der Wissenschaft noch neutrale Instanzen gibt, die die Debatte um das Virus Sars-CoV-2 fördern, hat die Rechnung ohne den Wissenschaftsförderungswirt gemacht. Denn wie man inzwischen lernen mußte, ist die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) — mit einem Finanzvolumen von 3,3 Milliarden Euro Deutschlands größter Wissenschaftsförderer — keineswegs ein neutraler Verein, dem es alleine um »eine freie und erkenntnisgeleitete Forschung« geht. Die DFG verfolgt längst eine andere Agenda, wie sich besonders an der Causa »Sars-CoV-2« zeigen läßt.
So mag man es zunächst für eine gute Sache halten, daß die DFG im April 2020 dem inzwischen als eine Art Staatsvirologen auftretenden Christian Drosten den »Sonderpreis für herausragende Kommunikation der Wissenschaft in der Covid19-Pandemie« verliehen hat. Merkwürdig ist allerdings, daß dieser Sonderpreis als einmaliger Sonderpreis an den jährlich verliehenen und in diesem Jahr bereits anderweitig vergebenen Communicator-Preis angehängt wurde, so daß man den Eindruck gewinnen muß, die DFG habe es voller Ungeduld gar nicht erwarten können, dem so überaus regierungsnahen Virologen als Zeichen seiner staatlichen Wertschätzung noch im laufenden Pandemiejahr einen Preis zuzuschanzen. Und zwar explizit für seine Rolle bei der Korrektur »auch wissenschaftlich nicht belegte[r] Thesen«, wodurch er »Akzeptanz und Vertrauen bei einer großen Zahl von Menschen und auch in der Politik« erreiche, wie die DFG in ihrer Preisbegründung ausführt. Das klingt eher nach Belohnung für die von Drosten seit Februar erbrachte Leistung, nämlich die Legitimierung der staatlichen »Corona-Maßnahmen« durch sich selbst als namhaften Wissenschaftler, dem es nicht zuletzt dank des beim NDR laufenden Podcasts leichtfällt, andere wissenschaftliche Meinungen ex cathedra podcasti als unwissenschaftlich aus der Debatte auszuschließen. Dabei läuft er nicht Gefahr, sich vor offenem Mikrophon mit einer kontroversen Meinung auseinandersetzen zu müssen und Contra zu bekommen. Dem Podcast, der, wie es auf der Website heißt, »verlässlich über neue Erkenntnisse der Forschung informieren« will, genügt vielmehr alleine Drostens Wort und Sprechstimme.
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Man mag es drehen und wenden wie man will: Wissenschaftliche Neutralität sieht anders aus. Wie wenig Kraft zu der gebotenen Neutralität man bei der DFG tatsächlich noch aufzubringen bereit ist, wurde einem größeren Publikum spätestens klar, als die DFG für ihre Jubiläumsaktion zum einhundertjährigen staatlichen Wissenschaftsfördern den Kabarettisten Dieter Nuhr für ein Audio-Statement verpflichtete. Denn als in diesem Statement ein launiger Satz zur Wissenschaftsgläubigkeit der Klima-Aktivisten zu hören war, fühlten sich einige Wissenschaftler*/_Innen dermaßen auf den Schlips (oder das äquivalente Kleidungsstück) getreten, daß sie die DFG mit einem Shitstorm überzogen, der dazu führte, daß die DFG das Nuhrsche Statement aus dem Netz nahm — nur um nach großem öffentlichem Protest dasselbe Statement dann doch wieder ins Netz zu stellen. Nun wissen wir also, was von Deutschlands größter Organisation zur Wissenschaftsförderung im Hinblick auf wissenschaftliche Neutralität und Abstand zur Politik zu halten ist.
Wer also glaubt, er habe »im Netz« ein Medium gefunden, das über den Konflikten stehe und diese moderieren könne, der muß nun einsehen, daß ebendieses Netz aufgrund seiner eigenen politischen Vorlieben und aufgrund seiner Reichweite die eingerissenen Einseitigkeiten noch verschärft. Wer von Twitter, Youtube und Facebook blockiert und gelöscht wird, wird unsichtbar gemacht und scheidet als Gegenstimme und Widerwort aus der öffentlichen Debatte aus. Das ist eine technosoziale Möglichkeit, die auch den staatlichen Akteuren zupaß kommt: Ihre Anpassung ans Netz ist mehr als nur eine Anpassung an den herrschenden Zeitgeist, es ist die Nutzung einer vom Zeitgeist prämierten Technik, um mit ihrer Hilfe jede Kontroverse und damit auch alle wissenschaftlichen Kontroversdebatten zu blockieren und dadurch das »Durchregieren« (Merkel) zu erleichtern. Drostens Podcast ist das derzeit sichtbarste Symptom dieser Entwicklung: die sich als demokratische Volksaufklärung verkaufende Einseitigkeit par excellence; der Wissenschaftler als medialer Superstar, um den sich die hoffnungsfrohen Fans scharen. Während für die Kritiker die Oligopolisten des Digitalmediums sich tot stellen.
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Aufklärung war einmal etwas völlig anderes. Sie war, wie Kant schrieb, der »öffentliche Gebrauch der Vernunft«, und zwar so, daß jemand »als Gelehrter« diesen öffentlichen Vernunftgebrauch »vor dem ganzen Publikum der Leserwelt« macht. Dazu, so ergänzte Kant, »wird nichts erfordert als Freiheit« auf der einen Seite (der Seite des Staates) und die Überwindung von Faulheit und Feigheit auf der anderen Seite (der Seite des Publikums). Die Bedingungen für das Gelingen dieser wahren Aufklärung sind immer noch gegeben: Es gibt jenseits des digitalen Oligopols, in der die Öffentlichkeit zum Reich der Sternchen und Stars hochgemotzt wird und zugleich zur Latrinenwand verkommt, immer noch die langsame Welt des Buches, in der das sorgfältige Denken Gestalt annehmen kann. In der Engführung gegen das digitale Oligopol wirkt daher das Buch längst als ein die Herrschenden beunruhigendes Kassiber, das diesmal aber nicht vom Gefängnis in die Außenwelt geschmuggelt wird, sondern umgekehrt von denen, die von den öffentlich-rechtlichen Medien und den Digitalmedien à la Facebook, Youtube und Twitter ausgesperrt wurden, in die staatshörige Medienwelt hineingeschmuggelt wird. Dort ist es im Modus des laut Beschwiegenen anwesend.
Sie finden das übertrieben? Schauen Sie: Während Sucharit Bhakdi zu keiner Fernsehdebatte zugelassen wird und kein öffentlich-rechtliches Kamerateam bei ihm vorbeischaut, um ihn zu interviewen, und während das digitale Oligopol Videos mit ihm unauffindbar macht und sperrt — wird sein Buch mit dem Titel »Corona Fehlalarm?« bei Amazon.de im Verkaufsrang auf Platz vier geführt und steht bei den Spiegel-Bestsellern in der Rubrik Sachbuch seit zehn Wochen auf Platz eins. Wir lernen daraus, daß die Kontroversdebatte immer noch stattfindet, aber sie findet statt als Debatte zwischen dem neuen Digitalmedium und dem alten Medium Buch, das im Hinblick auf den kontrovers-öffentlichen Gebrauch der Vernunft das Digitaloligopol sehr alt aussehen läßt. Das eine Medium hat Propagandakanäle aller Art geöffnet, die das Publikum in Panik versetzen und das Merkelsche »Durchregieren« erleichtern; das andere Medium tritt einen Schritt zurück und schafft Raum für eine Atemwende.