Fürchtet euch nicht!

Ein Wort zur Weihnacht

Geschrieben von Uwe Jochum am 27.12.2022

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Uwe Jochum

Wissenschaftlicher Bibliothekar

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In der Weihnachtsgeschichte, wie sie das Lukasevangelium bietet, gibt es einen äußerst wichtigen Satz, der direkt auf die Geburt Jesu hinführt. Der Satz fällt zum erstenmal, als ein Engel dem am Jerusalemer Tempel diensttuenden Zacharias erscheint, um ihm zu verkünden, daß seine unfruchtbare Ehefrau Elisabeth einem Kind das Leben schenken werde. Als Zacharias den Engel sah, bekam er es mit der Angst zu tun, aber der Engel beruhigt ihn mit dem Satz: »Fürchte dich nicht!« Sechs Monate später erscheint der Engel erneut, aber diesmal der Maria, der Verlobten Josefs aus Nazareth, um ihr zu verkünden, daß auch sie ein Kind haben werde, das sie Jesus nennen solle. Auch diesmal ist die erste Reaktion beim Erscheinen des Engels Angst, aber der Engel beruhigt wieder: »Fürchte dich nicht!« Neun Monate später ist es dann soweit: Jesus wird in Bethlehem geboren, wohin die Eltern hatten reisen müssen, um sich in Steuerlisten einzutragen. Eine Geburt am Rand des Römischen Reiches, in einem Provinznest mitten im Winter, ein unscheinbares Ereignis, ohne Medienbegleitung. Aber doch nicht ganz: Denn wieder hat ein Engel Dienst und erscheint Hirten, die bei Bethlehem auf dem Feld das Vieh hüten und beim Erscheinen des Engels in große Furcht geraten. Und wieder sagt der Engel: »Fürchtet euch nicht!«

Dreimal also erscheint ein Engel, um dreimal die Furcht der Menschen zu vertreiben, denn dreimal hat er Freudiges zu verkünden: Die Geburt eines Menschen durch Menschen, die mit dieser Geburt eigentlich gar nicht rechnen dürfen. Dreimal also geht es um den Neubeginn des Lebens, der mit dem neugeborenen Menschen verbunden ist: Mit jedem Neugeborenen, so hat es die Philosophin Hannah Arendt oft gesagt, beginnt die Welt neu.

In den drei Coronawintern, die nun hinter uns liegen oder doch bald hinter uns liegen werden, ist dieser ankündigende Engel-Satz, der die Furcht vertreibt und die Freude des Lebens in den Blick nimmt, kaum je in den Kirchen gefallen. Ganz im Gegenteil: Beinahe über Nacht wurden auch die Kirchen von einer Coronafurcht befallen, in der sie zu bürokratischen Einrichtungen mutierten, an denen staatliche Schutzmaßnahmen penibel durchgezogen und die Seelsorge für die Kranken und Sterbenden in viel zu vielen Fällen aus Furcht vor dem Virus eingestellt wurde. Statt Gottvertrauen und dem Rekurs auf das Gewissen sah man überall Staatshörigkeit und den Rekurs auf Verordnungen, die das Gewissen und damit auch die Dimension der eigenen Urteilskraft ausschalteten: Ganze Gemeinden beschlossen, daß sie lieber dem Masken-, dem 2G- und dem 3G-Regime folgen wollten als dem »Fürchtet euch nicht!«, das im Evangelium steht.

Der Papst in Rom schlug dem Faß den Boden aus, als er dem Personal im Vatikan die Pflichtimpfung verordnete – wer nicht mitmachte, wurde ganz unchristlich entlassen – und das Ganze noch als einen Liebesdienst betrachtete: Die auch von gläubigen Christen zu vollziehende Injektion von experimentellen mRNA-Substanzen sei ein »Akt der Liebe«, wie er per Videobotschaft der Welt mitteilen ließ. Und das, obwohl für die Herstellung der injizierten Substanzen Material von abgetriebenen Föten verwendet wurde und wird und die päpstliche Instruktion Donum vitae (Geschenk des Lebens) im Jahr 1987 deutlich erklärt hatte, daß die Verwendung fötalen Materials zu experimentellen Zwecken »ein Verbrechen gegen deren [der Föten] Würde als menschliche Wesen« darstellt. In Zeiten von Corona wollte man am Vatikan und wollte der Papst davon nichts mehr wissen: Im Dezember 2021 erschien eine »Note« der Glaubenskongregation, in der den staunenden Gläubigen mitgeteilt wurde, daß wegen der »schwerwiegenden Gefahr«, die in der Ausbreitung des neuen Virus liege, die Gläubigen in aller Seelenruhe zu den neuen »Impfstoffen« greifen dürften, denn das stelle »keine formale Mitwirkung an der Abtreibung« dar.

Das alles ist moraltheologisch nicht nur fragwürdig, sondern ein Anschlag auf den innersten Kern des Christentums, das eine Religion des Lebens und der Freude am Leben ist, seit der denkwürdigen Hochzeit von Kana, bei der Jesus sage und schreibe sechshundert Liter Wasser in sechshundert Liter Wein wandelte. Man kann sich auch ganz ohne Glauben vorstellen, was das für eine Hochzeit bedeutet und wie hoch dadurch die Wahrscheinlichkeit steigt, daß nicht nur dem Hochzeitspaar neun Monate später ein Kind geschenkt wurde. Denn darum geht es: um »Glaube, Hoffnung, Liebe: diese drei. Doch am größten von diesen ist die Liebe.« (Erster Brief an die Korinther, Kap. 13, Vers 13) Natürlich meint das nicht den engen Fokus auf eine sportlich verstandene Sexualität, es meint die Weite des Einander-wohlgesonnen-Seins, der Zuneigung und der Unterstützung, wo diese nötig ist. Aber es meint eben auch die Wahrnehmung unseres Leibes als eines »Tempels des heiligen Geistes«, den wir von Gott haben (ebd., Kap. 6, Vers 19), und es meint die Anerkennung der Sexualität als eines menschlichen Bedürfnisses. So kommt es, daß der Apostel Paulus nicht nur die Heirat als ein Mittel empfiehlt, sich nicht »in Begierde zu verzehren«, sondern die tiefe Dimension des Zusammenseins von Mann und Frau sogar über das Gebet stellt: »Entzieht euch einander nicht, außer im gegenseitigen Einverständnis und für eine Zeitlang, um für das Gebet frei zu sein. Dann kommt wieder zusammen, damit euch der Satan nicht in Versuchung führt, wenn ihr euch nicht enthalten könnt.« (ebd., Kap. 7, Vers 5)

Von all dem scheint man in Rom keinen Begriff mehr zu haben, und auch in den Ortsgemeinden hat man seit drei Jahren den Satz vergessen, daß »die Liebe dem Nächsten nichts Böses tut« (Römerbrief, Kap. 13, Vers 10). Statt dessen gibt man sich einer Furcht und Hoffnungslosigkeit hin, die vom Nächsten in der Kirchenbank nichts mehr zu erwarten scheint als eine virale Kontamination, auf die unweigerlich der Tod folgt. Daß wir »durch Hoffnung gerettet« sind (ebd., Kap. 8, Vers 24) – das ist dem Papst und dem Großteil seiner abendländischen Herden offenbar völlig schnurz, solange abends Christian Drosten – der Mann, der im Vorname ein Christ zu sein beansprucht – das drohende Ende verkündet, wenn nicht zum ultimativen Rettungsmittel der Spritze gegriffen wird. Kurzum: Die »Kultur des Todes«, vor der der jetzige Papst vor einigen Jahren noch warnte, scheint sich durch eine Hintertür in die Kirche eingeschlichen zu haben, und diese Hintertür ist wie schon so oft in der Geschichte die Furcht vor dem apokalyptischen Ende der Welt.

Und so reiben wir uns verwundert die Augen über diese welthistorisch-theologische Umkehr der Dinge, in der die Axt an die Kirche gelegt wurde. Aber wie immer in Zeiten, in denen die Institutionen ihre Altersschwäche nicht mehr verbergen können und nur noch ein Schatten ihrer selbst sind, steht neben dem morschen Baum der frische Schößling. Und so nehmen wir immer noch verwundert wahr, daß das »Fürchtet euch nicht!« in den vergangenen Corona-Monaten durchaus zu hören war, aber eben dort, wo es keiner, der dem Staat und den Kartellmedien Gehör schenkte, hören konnte. Denn just all jene, die man als Querdenker, Spaziergänger und Schwurbler brandmarkte, haben sich der um sich greifenden Hoffnungslosigkeit und von den Medien verbreiteten Herrschaft der Angst entzogen.

Warum, so muß man fragen, sind die Querdenker, Schwurbler und Spaziergänger nicht auf die staatsmediale Propaganda hereingefallen? Warum blieben ihre Herzen und die Türen ihrer Häuser auch dann noch offen, als alle anderen sie geschlossen hielten? Die Antwort auf diese Frage ist sehr einfach. Sie lautet: Sie alle haben die Wahrheit wissen wollen.

Und damit sind wir wieder bei Weihnachten. Denn Jesus Christus, dieser am Rande der Welt in unscheinbaren Verhältnissen, aber in Freude Gezeugte und Geborene, ist, davon ist das Christentum seit 2000 Jahren überzeugt, nicht nur das Leben, sondern auch die Wahrheit, wie es am Anfang des Johannesevangeliums heißt. Die Wahrheit also als etwas, was sich in einem Menschen verkörpert? Was nur in ihm »ist«? Ist das nicht etwas viel – nun, wie wollen wir es nennen: christliches Geschwurbel?

Keineswegs. Und der Blick zurück auf drei Coronajahre hilft uns, zu verstehen, was hier gemeint ist. Blicken wir nämlich zurück und aktivieren wir noch einmal, was wir in dieser Zeit erfahren haben, dann sehen wir, daß sich in diesen Jahren in zahllosen Fällen zeigte, daß sich die Wahrheit immer mit Menschen verbindet, denen wir vertrauen können. Und wir vertrauen ihnen, weil wir sehen, daß auch sie sich auf die Suche nach der Wahrheit gemacht haben, daß sie wissen wollen, wie es um das Virus eigentlich steht und um die immer wieder angekündigten Horrorzahlen von Toten. Aber an dieser Stelle sehen wir auch, was in unserem Land und weltweit geschehen ist: Wir sehen, daß die einen zu faul waren zum Nachfragen und in blindem Vertrauen die offiziellen Antworten der Regierung und der Kartellmedien übernommen haben. Und wir sehen, daß die anderen nachgefragt und Zahlen überprüft haben, sich mit der Geschichte der Viren befaßt haben und wissen wollten, mit welchen Akteuren in Politik und Wissenschaft wir es eigentlich zu tun hatten und haben. Dadurch haben sich im Grunde zwei Gemeinschaften gebildet: Auf der einen Seite die Gemeinschaft derer, die nicht wissen und fragen wollten und die daher auf den Weg der Angst geraten sind, auf dem es Monat um Monat enger um sie wurde, dunkler, maskenhafter bis hin zur Akzeptierung eines Genexperiments, dessen Ausgang offen ist; und auf der anderen Seite die Gemeinschaft derer, die Fragen stellten, die die Wahrheit wissen wollten und ebendeshalb im Licht blieben und, zumeist ohne es zu wissen, genau deshalb auch bei Gott blieben, der das Licht ist (Erster Johannesbrief, Kap. 1, Vers 5), und genau deshalb auch die Freude am Leben nicht verloren haben.

Die Wahrheit, so stellen wir fest, ist nichts »da draußen«, was man ohne Eigenbeteiligung einfach mitnehmen kann. Man muß etwas für sie tun, vor allem den anderen zuhören, mit ihnen sich auf den Weg machen – und dann entscheidet sich auf diesem Weg, wohin er führt, in die dunkle Enge der Angst, oder in die lichte Weite der Lebensfreude. Es ist eine Entscheidung, die jeder für sich treffen muß, und die wir immer zugleich zusammen mit anderen treffen; es ist eine Entscheidung, die uns auf andere Menschen hinordnet oder uns von anderen Menschen entfernt. Und das ist es, was in den vergangenen drei Jahren geschehen ist, diese Entscheidungs- und Menschenfindung auf dem Weg der Wahrheit – oder dem Abweg der Lüge. Es war und ist eine Entscheidung für eine Gemeinschaft der Lebensfreude oder eine Gemeinschaft der Todesfurcht.

Das ist die Lage. Man kann sie insofern vielleicht paradox nennen, als all jene, die auf die vom Staat und den Medien herbeizitierten Experten vertraut und auf die mRNA-Injektionen gesetzt haben, weil sie Freiheit versprachen, sich nun damit abfinden müssen, daß sie diese Freiheit zu sich und ihrer Zukunft verloren haben. Denn sie haben eine Entscheidung getroffen, die nicht nur auf biochemisch-genetisch wirkende Substanzen setzt, deren heilsame Wirkung von Tag zu Tag fragwürdiger wird, sondern die auch nicht mehr rückgängig zu machen ist. Sie haben sich auf einen Weg der Enge begeben, von dem völlig unklar ist, wie er sich jemals wieder weiten könnte. All jene hingegen, die zur rechten Zeit die rechten Fragen gestellt haben und den staatsmedialen Experten mit der nötigen Skepsis begegnet sind, fanden sich zwar eine viele Monate währende Zeit unter Druck gesetzt, aber nun stellt sich heraus, daß es ebendieser Druck war, in dem sich eine Gemeinschaft gebildet hat, die die Orientierung auf die Freiheit nicht verloren und die Kraft hat, dem angstgeplagten Land vorzuleben, was Wahrheit und Freiheit und Freude am Leben ist.

Am Ende von drei Coronajahren müssen wir feststellen, daß die freiesten Menschen in unserem Land nicht die Parteigänger der Regierung und nicht die Coronagläubigen sind, die in Drosten, Wieler und Lauterbach ihre wechselnden Messiasse gefunden zu haben glauben. Die freiesten Menschen in unserem Land sind vielmehr all jene, die man beschimpft, denunziert und verfolgt hat und immer noch verfolgt, weil sie – bewußt oder nicht – einem Messias die Treue hielten, der die Wahrheit und das Leben ist.

Es ist eine ernüchternde und traurige Erfahrung, daß so viele Menschen diesen Weg der Wahrheit und des Lebens nicht gehen konnten oder wollten, daß sie ihre Freiheit aufgegeben haben und nun nicht wissen, wie es in Zukunft um ihr Leben steht. Wer auf dem anderen Weg geht, dem Weg der Wahrheit und des Lebens, kann wenig mehr tun, als die anderen einzuladen, auch dann und gerade dann, wenn sie mitgemacht haben beim Schimpfen, Denunzieren und Verfolgen. Denn nun, nach drei Jahren, ist die Wahrheit kaum mehr zu übersehen, daß sie alle Verlorene sind, die das Beste verloren haben, was man im Leben verlieren kann. Sie aus ihrer Verlorenheit zu befreien, heißt, ihnen jenen Weg zu zeigen, auf dem sie umkehren können. Dieser Weg öffnete sich vor 2000 Jahren an Weihnachten, und er öffnete sich mit dem Satz der Engel: »Fürchtet Euch nicht!«


Erstveröffentlichung am 25. Dezember 2022 in der stattzeitung.org. In der hier veröffentlichten Version habe ich einen kleinen Lapsus verbessert.