Heimatkunde

Teil vier

Geschrieben von Uwe Jochum am 27.10.2023

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Uwe Jochum

Wissenschaftlicher Bibliothekar

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Die große Vernachlässigung

Die Verkehrswende ist in aller Munde. Und natürlich kann man das, was da in aller Munde ist, bequem in der Wikipedia nachlesen: Es geht um die Umgestaltung unserer »Mobilität« hin zu Formen, bei denen der Individual- mit dem öffentlichen Personenverkehr besser vernetzt, der Güterverkehr von der Straße auf die Schiene gebracht und der öffentliche Raum der Städte irgendwie menschengerechter — statt autogerechter — werden soll. Das ferne Ziel scheint dabei so auszusehen, daß der Individualverkehr gänzlich verschwindet, weil es durch eine Umlenkung der Geldströme gelungen ist, den Nahverkehr (und in manchen Entwürfen auch den Fernverkehr) für alle entgeltfrei anzubieten. Dann muß man nur noch die Parkplätze begrünen und die überflüssigen Straßen zu Fußgängerzonen umgestalten — und fertig ist die Wende.

Um den Bürger die Sache als machbar anzudienen, sieht man überall, wie der Radverkehr gefördert wird, durch Einrichtung von »Fahrradstraßen« oder durch Steuersubventionen für den Kauf eines Lastenrads, in das die Einkäufe und die Kinder gepackt werden können; und man sieht elektrische Tretroller, mit denen man den Menschen den Weg zur nächsten Bus- oder Straßenbahnhaltestelle erleichtern will, dabei zwei Fliegen mit einer Klappe schlagend: das beschwerliche Laufen wird durch’s Fahren ersetzt, und das elektrische Fahrzeug suggeriert Teilhabe an der mit der Verkehrswende irgendwie verknüpften Energiewende, die alles Heizen, Produzieren und Fortbewegen auf Elektrizität umstellen will.

Tretroller außer
Dienst [Tretroller außer Dienst. Photo: Uwe Jochum.]

Daher sieht man niemanden, der auf dem E-Roller mit peinlich berührter Miene daherkommt, was er eigentlich müßte, denn der E-Roller als Variante des Tretrollers ist ja ein Fahrzeug für Kinder, nicht für Erwachsene. Vielmehr sieht man von der jungen Studentin bis zum schick ergrauten Banker die Menschen mit stolz wehendem Haar an einem vorbeihuschen, in dem sicheren Bewußtsein, hier husche die Zukunft unseres Planeten — nach der grünen Endreinigung, versteht sich, bei der alles mit Öl, Gas, Holz, Stahl, Beton und Atom weggekehrt wurde.

Und was die Lastenräder anbelangt, wird gerade der Umschlag in den leichtsinnigen Wahnsinn vollzogen. Denn während man bislang mit Gurten angeschnallt in einem Auto fuhr, in dem die kleinen Kinder auf Kindersitzen besonders gesichtert waren, werden beim Lastenrad die Kinder nun ohne Sicherungsgurte vor den Radlenker in einen Holzkasten gesetzt, der bei einem Unfall für den Radlenker als Knautschzone dienen mag, aber für die darinsitzenden Kinder das Todesurteil bedeutet. Und auch wenn es zu diesem Äußersten nicht kommen sollte, so bleibt es doch ein Rätsel, wie solche hölzernen Radkonstruktionen jemals zugelassen werden konnten, die im Falle einer Kollision mit einem Fußgänger zu schweren Verletzungen führen werden. Das alles wird ausgeblendet, weil das, was man für Wünschenswert hält, ideologisch dermaßen aufgebläht wird, daß jeder Sacheinwand chancenlos bleibt: Er erreicht nicht die emotionale Ebene, die für die nötige Stimmung sorgt, in der auch noch der größte Mist wie Gold schimmern kann.

E-Bike [Elektrisches Lastenrad für das »Business«. Photo: Uwe Jochum.]

Inzwischen sieht man in der Realität — wenn man denn sehen will —, daß die ganze Sache anders ausgehen wird. Sie wird den Verkehr nicht zum Besseren wenden, sondern den öffentlichen Raum weiter belasten, nur mit dem Unterschied, daß man sich eine Zeitlang einreden wird, es sei das keine Belastung, sondern eine Entlastung. Wie so eine vermeintliche Entlastung durch das Rad aussieht, kann man insbesondere in jenen Städten bestaunen, in denen sich eine mittelalterliche Bebauung erhalten hat und nun die von dieser Bebauung abstrahlende Atmosphäre durch die Drahtesel, die an den Häusern lehnen, glatt vernichtet wird.

Räder an der
Wand [Räder an der Wand. Photo: Uwe Jochum.]

Einmal abgesehen davon, daß wir nun den Zustand erreichen, daß man das Auto erfolgreich aus den Innenstädten gedrängt hat, um die Aufenthalts- und Lebensqualität der Städte zu verbessern, nun aber anstelle des Autos man mit den Rädern ebenjenen Zustand wiederherstellt, der vor Verdrängung des Autos herrschte: verstopfte Straßen und Durchgänge, Blechlawinen, nun freilich etwas filigranerer Art.

Verstopfter
Durchgang [Verstopfter Durchgang. Photo: Uwe Jochum.]

Und wer meint, diese neue Art von Innenstadtverschandelung sei doch wenigstens ohne die üblen Dünste des Autoverkehrs, den darf ich eines Besseren belehren: In vollwoken Innenstädten werden die Gassen durch Räder verstopft und die Luft durch die mülltrennungsgerechten Abfallbehälter, die auf der Straße stehen (wo sollen sie bei Altbauten sonst hin?), verpestet. Und ich glaube nicht, daß der Gestank vollgeschissener Babywindeln und vergammelnder Fleischreste in irgendeiner Weise angenehmer ist als das, was die Autos jahrezehntelang durch den Auspuff abgegeben haben.

Rad und Gestank [Rad und Gestank. Photo: Uwe Jochum.]

Und abgesehen davon: Während Autos nur nach einem strengen Prozedere wieder entsorgt werden dürfen, haben unsre linksgrünen Zeitgeistradler sich daran gewöhnt, ihren ausgedienten Tretesel in der grünen Natur oder deren innerstädtischen Rändern zu entsorgen: das pseudogrüne Fahrzeug wird einfach ins Grüne gestellt — paßt scho.

Rad und Müll [Rad und Müll. Photo: Uwe Jochum.]

Und da auch hier der einfache Grundsatz gilt, wonach Müll und Müll sich gerne gesellt, kann man bewundern, wie eins zum andern kommt und sich innenstädtischen da und dort die allerschönsten Müllcluster bilden. Es ist, als lebte der Müll und das Rad und pflanze sich fort. Das wäre ideologisch sicherlich wünschenswert, real ist es unmöglich, und so haben wir es hier mit einem höchst menschlichen Tun zu tun, das man nicht einfach »verantwortungslos« nennen darf, sondern »eine Schweinerei« nennen muß.

Müllradgesellschaft [Müllradgesellschaft. Photo: Uwe Jochum.]

Wo das enden wird? Ich weiß es nicht. Fürs erste wird das noch eine Weile so weitergehen, denn die Akteure, die uns diesen Mist einbrocken, brocken ihn ja mit dem besten Gewissen der Welt ein und werden medial in den Himmel geschrieben, so, als brächten sie uns denselben hienieden auf Erden. Aber fürs zweite wird es bald anders kommen: Der linksgrüne Kunsthimmel wird sich als das herausstellen, was diese Himmel noch immer waren, nämlich nun zwar nicht die Hölle, aber doch die kleine Variante davon, nämlich menschengemachter Bockmist, auf Deutsch: Bullshit, der kein einziges Problem vermeidet, aber jedes Problem verschärft. Sobald dieser Groschen gefallen sein wird, wird auch noch der letzte Verblendete sehen, daß das im grünen Gras liegende Fortbewegungsdingsbums eben das ist, was es nicht sein will: Müll.

Höherer Müll,
Zwischenhölle [Höherer Müll, Zwischenhölle. Photo: Uwe Jochum.]

Und man wird feststellen, daß wir hier gar nicht auf dem Weg zu einer emanzipierten Gesellschaft sind, sondern uns schnurstracks zurückinfantilisieren, mit Tretrollern und Rollschuhen.

Erwachsenenrollschuhe [Erwachsenenrollschuhe. Photo: Uwe Jochum.]

Das alles, nur fürs Protokoll, in einer deutschen Mittelstadt, die den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden, ein alteingesessenes Bürgertum und eine Universität und einen CDU-Bürgermeister hat, dessen Herz dort schlägt, wo es bei allen Menschen rechten Glaubens schlägt: links und im grünen Bereich.