»Open Access« — eine Erfolgsgeschichte

Geschrieben von Uwe Jochum am 12.12.2016

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Uwe Jochum

Wissenschaftlicher Bibliothekar

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»Open Access«, so hörte ich neulich, sei eine Erfolgsgeschichte. Dafür spreche das steigende Interesse an den »Open-Access«-Tagen, deren Teilnehmerzahl in der Tat seit den Anfängen der Bewegung stark gestiegen ist: Bei den ersten »Open-Access«-Tagen, die 2007 von der Universitätsbibliothek Konstanz ausgerichtet wurden, hatte man 66 gemeldete Teilnehmer gezählt; und heuer, bei den zehnten »Open-Access«-Tagen, im Oktober 2016 an der Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität in München veranstaltet, beging man nicht nur ein Jubiläum, sondern durfte 258 gemeldete Teilnehmer begrüßen (wenn ich richtig gezählt habe). Das ist eine Vermehrung um, rund gerechnet, den Faktor 4; und in einer Welt, in der die Controller mit ihren Statistiken das Sagen haben, sind solche Mehrs natürlich ein Erfolg.

Wie groß dieser Erfolg für die »Open-Access«-Bewegung ist, merkt man nicht zuletzt daran, daß die tastenden Schritte der Anfangszeit einem festen Marschtritt gewichen sind: Während es im Jahre 2007 noch darum ging, ein »Netzwerk« aufzubauen — gerade auch durch regelmäßig stattfindenden »Open-Access«-Tage —, um »Strategien und Maßnahmen zur Förderung von Open Access« zu erarbeiten und »so der Open-Access-Bewegung eine starke gemeinsame Stimme zu verleihen« (wie es im Tagungsbericht heißt), sieht man sich im Jahre 2016 bereits auf der »Zielgeraden«, nämlich der von Ralf Schimmer, einem der Direktoren der Max Planck digital library, verkündeten »großflächige[n] Transformation zu Open Access«.

Ralf Schimmer [Abb. 1: Dr. Ralf Schimmer von der Max Planck digital library will große Flächen bearbeiten. Quelle: Video Online Unterrichtsmitschau der LMU München.]

Und daß zu dieser Transformation dann natürlich auch die Einbeziehung der Monographien gehört — etwas, was die »Open-Access«-Bewegung jahrelang von sich gewiesen hat —, versteht sich da schon ganz von selbst (»Session 3: Publikationsdienstleistungen: Welche Services sollten Forschungsstätten für Monographien, Zeitschriften und andere Formate anbieten?«)

Das Schöne am erreichten Erfolg ist freilich, daß er deutlicher als der tastende Anfang erkennen läßt, um was es der Erfolgssache eigentlich geht. Und an dieser Stelle muß man sich dann die Augen reiben. Denn der zentrale Triebsatz von »Open Access« war ja stets der Wunsch, in klarer Frontstellung gegen die kommerziellen Verlage (undifferenziert irgendwie alle Verlage) ein in staatlicher Hand liegendes billigeres Veröffentlichungsmodell auf digitaler Basis zu etablieren. Um das zu tun, ging man generalstabsmäßig vor: Zunächst finanzierte man aus Projektmitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) vier Jahre lang (2006–2010) den Aufbau einer »Informationsplattform Open Access«, die den organisatorischen Vernetzungskern der deutschen »Open-Access«-Bewegung bildet (heute nicht mehr DFG-finanziert, sondern mit unsichtbarem Geld aus unsichtbaren Töpfen vorangebracht). Sodann machte man sich daran, über die DFG Finanzmittel bereitzustellen, aus denen die deutschen Universitäten einen »Publikationsfonds« aufbauen können (hier gibt’s das Merkblatt dazu), was sie seither munter getan haben. Und zuletzt sorgte man natürlich dafür, daß das ganze Projekt durch entsprechende Gutachten als finanzierbar ausgewiesen wurde, will sagen: Das alles soll in der Summe billiger sein als das, was die Verlage in gedruckter Form und begleitender Dienstleistung den Bibliotheken bislang in Rechnung gestellt haben.

Sven
Fund [Abb. 2: Dr. Sven Fund, der geschaßte Geschäftsführer des de-Gruyter-Verlags, erklärt sein neuestes »Geschäftsmodell«. Quelle: Video Online Unterrichtsmitschau der LMU München.]

Und warum muß man sich da nun die Augen reiben?

Schauen wir zunächst noch einmal auf die Teilnehmerliste der Münchener Jubiläumstagung. Man wird rasch bemerken, daß von der einstigen Frontstellung gegen die Verlage nicht mehr viel übrig ist, denn in München nahmen Verlagsvertreter noch und nöcher teil, von den ganz großen und bösen (Wiley) bis zu den ganz kleinen und darbenden (oekom verlag). Auch wenn der eine oder andre Verlag in München nur vorbeikam, um auf dem Laufenden zu sein und nach den Rechten zu sehen, darf man doch nicht verkennen, was die Teilnahme der Verlage insgesamt bedeutet: Sie macht deutlich, daß »Open Access« das Zeug hat, von den Verlagen als eines ihrer »Geschäftmodelle« ökonomisch integriert zu werden — und dabei dann auch gleich vielen neuen Kleinverlagen eine Nische zu bieten, in der sie die »Open-Access«-Publikationsgebühren für sich einsammeln können. Das ist natürlich kein Wunder, denn die ganze »Open-Access«-Chose treibt den Verlagen mitnichten mittels des Beelzebubs der DFG-Subventionsmittel den kapitalistischen Teufel aus; vielmehr wird lediglich die Zahlstelle vom Ende an den Anfang des wissenschaftlichen Publizierens verlegt; und daß diese Verlegung irgendeinen ökonomischen Spareffekt haben könnte, glauben nur noch die »Open-Access«-Bewegung und die von ihr bemühten Eigengutachter.

Bibliothek und
DFG [Abb. 3: Dr. Klaus-Rainer Brintzinger, Leiter der UB der LMU München, und Dr. Johannes Fournier, DFG-Programmdirektor, ziehen gemeinsam am »Open-Access«-Strang. Quelle: Video Online Unterrichtsmitschau der LMU München.]

Und damit bin ich auch schon beim zweiten Grund, weshalb man sich mit einem Blick auf die Münchener Jubeltagung die Augen reiben muß. In München sieht man nämlich aufs allerschönste, daß der Versuch, ein möglichst ökonomiefreies, weil direkt vom Staat betriebenes Publikationssystem aufzubauen, genau dahin geführt hat, wo solche Versuche immer hinführen: zu einem steuerfinanzierten Subventionszirkus mit rascher Personalvermehrung und Tagungsbespaßung. Denn man darf mit einiger Sicherheit davon ausgehen, daß die Mehrzahl der Teilnehmer in München (abzüglich der Verlagsvertreter und sonstiger Handlungsreisenden) an der Tagung teilnahm, weil man an der Bibliothek oder Forschungseinrichtung, an der man tätig ist, »Open-Access«-Aufgaben wahrzunehmen hat. Und die hat man wahrzunehmen, weil man auf einer halben oder vielleicht auch ganzen Stelle sitzt, deren Zweck es ist, mit der Hilfe von DFG-Projektmitteln (oder auch ohne) das »Open-Access«-Rad zu drehen. Zieht man also von den 258 gemeldeten Teilnehmern die Handlungsreisenden ab, bleiben 188 »Open-Access«-Beauftragte und -Projektmitarbeiter übrig, die einiges an Steuermitteln kosten (und deren Dienstreisen nach München, wo man sich im gemeinsamen Sitzen strategisch vernetzt, um der »Open-Access«-Sache eine möglichst laute Stimme zu geben, ebenfalls vom Steuerzahler finanziert wurden).

Open Access [Abb. 4: Die »Open-Access«-Bewegung sitzt. Quelle: https://pbs.twimg.com/media/CuZVD62XEAA-TdF.jpg]

Welche Beträge da zusammenkommen, läßt sich leicht überschlagen: Gehen wir einmal davon aus, daß die Mehrzahl der in München sich Versammelnden nicht auf den bestbezahlten Stellen des öffentlichen Dienstes sitzt, sondern trotz Hochschulstudium auf eher bescheiden bezahlten Stellen in der tarifvertraglichen Preisklasse von E 11 oder E 12 oder, bestenfalls, E 13. Dann macht das, wie ein Blick in die einschlägigen Tabellen zur Ermittlung der Personalkosten (inkl. der Gemeinkosten) zeigt, bei einer E 11-Stelle 79 120 Euro im Jahr aus, bei einer E 12-Stelle sind es 88 868 Euro. Wir wollen das auf 84 000 Euro mitteln und mit den 188 Teilnehmern multiplizieren — und erhalten dann Personalkosten von knapp 15,8 Mio Euro. Und selbst wenn man annähme, alle diese schlecht bezahlten Akademiker säßen auf noch schlechteren Halbtagsstellen, käme ein Betrag von rund 8 Mio Euro heraus, den der Steuerzahler nur als den Personalanteil von »Open Access« zu bezahlen hätte.

Und wie verhält es sich in Wahrheit? Nun, die Wahrheit wird, wie immer, irgendwo in der Mitte liegen: Wenn man davon ausgeht, daß nicht alle Universitäten, Fachhochschulen und öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen auch schon über die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gewünschten »Open-Access«-Beauftragten verfügen oder nicht alle Universitäten es für nötig befanden, ihren »Open-Access«-Beauftragten nach München zu schicken, dann sind die 188 anwesenden »Open-Access«-Akteure nur ein Teil der »Bewegung«. Über den anderen Teil, der hier dann noch zu addieren wäre, läßt sich im Augenblick mangels verfügbarer Daten nichts sagen.

Sagen aber läßt sich, daß das, was da in München als großer Erfolg gefeiert wurde, der Selbstbeschreibung der »Open-Access«-Bewegung — Wissenschaft so kostenlos zu machen wie Freibier — diametral widerspricht. Und genau in diesem Widerspruch zeigt sich die einfache Wahrheit von »Open Access«:

Alleine das Personal von »Open Access« kostet den deutschen Steuerzahler einen Betrag von 8–16 Mio Euro pro Jahr.

Dafür bekäme man dann schon eine kleinere Universitätsbibliothek, komplett mit Mann und Maus und den Büchern und Zeitschriften.

Die Open-Access-Flagge
einholen [Abb. 5: Das »Open-Access«-Tagungsbanner wird eingeholt. Quelle: https://pbs.twimg.com/media/CuZVD62XEAA-TdF.jpg]