Drei einfache Tatsachen

Geschrieben von Uwe Jochum am 11.10.2018

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Uwe Jochum

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Während »Open Access« sich auf der freundlichen Ebene des Tagungskarussells allmählich zu so etwas wie einem steuerfinanzierten und professionell inszenierten Massenphänomen entwickelt — heuer waren in Graz auf den zwölften »Open-Access«-Tagen rund 350 Teilnehmer —, sieht es im Maschinenraum des Karussells ganz anders aus. Dort zeigt sich inzwischen nicht nur, daß die erhoffte Massenattraktivität der Sache ausbleibt, sondern auch, daß die bei »Open Access« verbauten Elemente nicht wirklich funktionieren, weshalb der eine oder andere Ingenieur, der das Karussell ursprünglich zum Laufen brachte, schon wieder abspringt.

Es sind drei einfache Tatsachen, die in diesem Zusammenhang zu verbuchen sind.

  1. »Open Access« gewinnt nicht einmal an den Einrichtungen, die sich seine massenhafte Durchsetzung zum Programm gemacht haben, an Fahrt. Ganz im Gegenteil: Schaut man genauer hin, muß man feststellen, daß selbst unter den Angehörigen dieser Einrichtungen — am deutlichsten wird es an der Max Planck Digital Library — die Quote der eingereichten »Open-Access«-konformen Beiträge zurückgeht. Und zwar deutlich.

  2. Da auch die erhofften Kosteneinsparungen ausgeblieben sind, weiß man sich inzwischen nicht mehr anders zu helfen als dadurch, daß man nun ein »faires Open Access« propagiert. Dieses »faire Open Access« unterscheidet sich freilich von dem bislang propagierten nicht im geringsten — mit der bezeichnenden Ausnahme, daß man sich diesmal offen von den ökonomischen Mechanismen lossagen möchte: Wenn auch bei »Open Access« alles bisher immer teurer wurde und die Preissteigerungsraten sogar über denen der kommerziell vertriebenen Zeitschriften lagen — dann, Teufel noch mal!, setzen wir eben ab sofort einen Höchstpreis fest! »Fair« soll in Zukunft im Kontext von »Open Access« also nur noch sein, was höchstens 1000 USD an Veröffentlichungsgebühren kostet. Daß dieses »Open Access hoch zwei« scheitern wird, liegt auf der Hand. Denn noch niemals ist es gelungen, Kosten dadurch in den Griff zu bekommen, daß man die Preise staatlich oder sonstwie administrierte. Das Ergebnis solcher Versuche war immer eine ruinöse Planwirtschaft. Immerhin weiß die Öffentlichkeit jetzt, was der ökonomische Kern des »Open-Access«-Pudels ist: Planwirtschaft.

  3. Wenn die erhoffte Resonanz ausbleibt, kann man die Sache entweder sein lassen oder die Zügel anziehen und verkünden: Was gut ist, aber von der Masse nicht verstanden wird, muß der Masse notfalls zu ihrem eigenen Besten aufgenötigt werden. Bei ebendiesem Notfall ist »Open Access« gerade angekommen: Der von der »cOAlition S« verabschiedete »Plan S« besteht aus einem einzigen »Prinzip«, dessen Synonym »Zwang« lautet:

    Plan S [Abb. 1: »Plan S«. Quelle: Science Europe.]

    Ein solcher Zwang paßt nun zwar vorzüglich zur Planwirtschaft des »fairen Open Access«, aber er paßt nicht im geringsten zu dem, was bisher im Abendland (man muß das so emphatisch sagen) unter Wissenschaft verstanden wurde: nämlich eine freie Wissenschaft, ohne staatliche oder sonst eine Bevormundung und ohne Verwertungsgelüste Dritter. Das versteht in Zeiten, in denen die Wissenschaft weltweit auf Projektforschung getrimmt wird, ein großer Teil der Forschungsadministratoren und -politiker offenbar nicht mehr. Um so erfreulicher ist, daß man es in Deutschland — auch hier mit Emphase: dem Land Wilhelm von Humboldts — offenbar noch versteht. Denn obwohl die »cOAlition S« stolz zwölf nationale Förderer nennt,

    cOAlition
S [Abb. 2: Nationale Förderer der »cOAlition S«. Quelle: Science Europe.]

    fällt auf, daß auf dieser Liste Deutschland fehlt. Noch erfreulicher ist, daß Peter Strohschneider, der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), die »Süddeutsche Zeitung« wissen ließ, die DFG werde sich der »cOAlition S« nicht anschließen, weil hierzulande die Forscher auch in Zukunft ihren »Publikationsort« frei wählen können sollen. Offenbar hat man in der DFG als wichtigstem deutschen Wissenschaftsförderer inzwischen verstanden, daß sich eine freie Forschung nicht mit Zwang, auch nicht mit einem bestimmten medialen Zwang, verträgt.

Das also sind die Tatsachen: »Open Access« ist keine Massenbewegung geworden, es hat kein Geld gespart, und es hat Wissenschaft nicht freier gemacht. Man muß daher kein Prophet sein, um zu sehen, daß »Open Access« in seiner über viele Jahre propagierten Form im Sterben liegt und von der Sache nichts weiter bleiben wird als ein Modell digitalen Publizierens, das dem einen oder anderen unter bestimmten Bedingungen zupaß kommen mag, vielen anderen aber nicht.