Bibliotheksrabatt und Servicegebühr

Geschrieben von Uwe Jochum am 24.5.2020

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Uwe Jochum

Wissenschaftlicher Bibliothekar

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Das im Jahr 2002 beschlossene Buchpreisbindungsgesetz (BuchPrG) ist eine kulturpolitisch gute Sache. Es verfolgt nämlich keinen geringeren Zweck als den, das »Kulturgut Buch« zu schützen (§ 1 BuchPrG). Und das soll einfach dadurch gewährleistet werden, daß der »Letztabnehmer« einen »verbindlichen Preis« für das Buch zu entrichten hat, Preiskonkurrenz also ausgesetzt wird in der Hoffnung, das Buch dadurch auch einer »breiten Öffentlichkeit« zugänglich zu machen (immer noch § 1 BuchPrG). Wie diese »Preisbindung« (§ 3) über eine »Preisfestsetzung« (§ 5) vonstatten geht, mag man in besagtem Gesetz nachlesen.

Nicht im Gesetz steht freilich, warum man meinte, das Buch als Kulturgut schützen zu müssen. Das steht in etwas arg dürren Worten dafür im Wikipedia-Artikel zur »Buchpreisbindung« und läuft darauf hinaus, das Buch als einen Gegenstand zu betrachten, in dem sich ein großer Teil unserer Kultur objektiviert: Was auch immer Kultur abstrakt sein mag, konkret ist sie das, was wir in den bestimmte Lokalitäten prägenden Denkmälern vor Augen haben, in unseren Kulturlandschaften durchwandern und als Buch in die Hand nehmen und lesen können. Soll heißen: So wenig, wie wir den Teutoburger Wald oder den Rhein mit den an ihnen hängenden Geschichten, die unsere Geschichte formieren, verkaufen sollten, so wenig sollten wir eine Kleist-Ausgabe in derselben Weise kaufen und verkaufen wollen wie Seife.

Man kann das auch anders sehen, beispielsweise wie die »Monopolkommission« im Jahre 2018, als sie die Buchpreisbindung als »schwerwiegenden Markteingriff« bezeichnete und daher für ihre Abschaffung votierte. Nur muß man dann auch ausführen, daß reine Konkurrenzmechanismen zu einer »schöpferischen Zerstörung« führen, wie der Ökonom Schumpeter das nannte. Erfolgreiche Unternehmen streben nämlich eine Monopolstellung an, die ihnen von ihren Konkurrenten streitig gemacht wird, und daraus entsteht eine ökonomische Dynamik, die einerseits nun zwar dafür sorgen mag, daß die Unternehmen sich durch fortwährende Innovationen um ihre Konkurrenzfähigkeit kümmern müssen, um auf dem Markt bestehen zu können, während andererseits die von den Unternehmen erzeugten Produkte dank der Innovationen und Konkurrenzen immer billiger werden. Genau diese ökonomische Dynamik ist aber für Kulturgüter fatal. Sie würden, wenn man die Logik des Marktes auf die Kultur übertragen würde, zu handelbarer Ware werden und im Prozeß der »schöpferischen Zerstörung« ihren identitätsstiftenden Charakter verlieren. Oder was könnte es heißen, daß ein chinesisches Konsortium den Teutoburger Wald kaufen würde, um darin für ein zahlungskräftiges chinesisches Publikum Hermann-der-Cherusker-Festspiele aufführen zu lassen? Und in Konkurrenz dazu ein deutsches Konsortium in Afrika einen Wald kaufte, um dort die Arminius-Festspiele aufführen zu lassen und die zahlungskräftigen Chinesen von Teutoburg nach Kampala zu locken? Möglicherweise ließe sich damit viel Geld verdienen, aber mit Sicherheit hätte all dieser Spektakel dann mit der deutschen Geschichte nichts mehr zu tun (oder käme dort dann nur noch als Nachtrag zu ihrem Ende vor).

Teutoburger
Wald [Quelle: Pixabay.]

Wir merken uns an dieser Stelle, daß Kultur und Ökonomie nicht glatt ineinander konvertiert werden können, auch wenn einige Ökonomen dieser Meinung sind. Und weil es hier keine einfache Konversion gibt, ging es immer darum, die Demarkationslinie, die Kultur von Ökonomie trennt, zu verteidigen. Die Buchpreisbindung ist diese Demarkationslinie, und es ist interessant zu sehen, wer an dieser Linie ganz vorne als Verteidiger steht. Die Bibliotheken sind es nicht. Es ist vielmehr der Buchhandel, also das Insgesamt von Verlagen und Buchhandlungen, der mit der Buchpreisbindung die öffentlichen Bibliotheken (zu denen wir die wissenschaftlichen Bibliotheken als steuerfinanziert-öffentlicher Bibliotheken hinzuzählen dürfen) zu unterstützen versucht. Und zwar dadurch, daß er auf der einen Seite die Buchpreisbindung verteidigt und auf der anderen Seite den Bibliotheken als den wichtigsten Mitspielern auf dem kulturellen Spielfeld des Buches einen Rabatt beim Buchkauf einräumt. Wer’s nicht glauben mag, der lese einfach die Begründung zu § 7, Abs. 2 BuchPrG nach; dort steht im Hinblick auf den Rabatt, der Bibliotheken gewährt wird: »Diese Möglichkeit geht auf kulturpolitische Bestrebungen des Buchhandels zurück, öffentliche Bibliotheken in finanzieller Hinsicht zu unterstützen.« Seither, seit der Ratifizierung des Gesetzes, können daher die öffentlichen Bibliotheken (Stadtbüchereien) einen Nachlaß von bis zu 10 Prozent und die wissenschaftlichen Bibliotheken (Universitätsbibliotheken) einen Nachlaß von bis zu 5 Prozent von ihren Buchlieferanten eingeräumt bekommen. Mit anderen Worten: Man hat auf seiten des Buchhandels verstanden, daß Kultur nur solange existiert, wie sie über die Ökonomie (ohne die Kultur nicht wäre) hinausreicht und als filigranes System von Akteuren funktioniert, die sich nicht in gegenseitiger Konkurrenz über den Tisch zu ziehen versuchen, sondern etwas erhalten wollen. Das Buch eben.

Die Bibliotheken haben dem Buchhandel seine kulturpolitischen Bestrebungen zum Erhalt des Buches nicht unbedingt gedankt. Als die öffentliche Hand ab den 2000er Jahren finanziell immer klammer wurde und man die Bibliotheksetats einfror oder reduzierte, gaben die Bibliotheken ihre Finanzierungsprobleme ungeniert an den Buchhandel weiter. Seither darf der Buchhandel den Bibliotheken nicht nur Bücher liefern, sondern es müssen vielerorts bereits vorausgestattete Bücher sein, also Bücher, bei denen der Buchhandel schon einen Teil dessen erledigt hat, was eigentlich Aufgabe der Bibliotheken ist und von diesen aus eigenem Etat zu finanzieren wäre: die Broschierung des Taschenbuchs etwa, oder das Aufkleben von Signaturschildchen, oder das Erstellen statistischer Daten für die Controllingabteilung der Bibliothek, oder oder oder. Natürlich, so liest es sich in bibliothekarischen Veröffentlichungen, machen die Lieferanten das nicht umsonst, sie erhalten vielmehr eine Vergütung für ihre bibliothekarischen Vorarbeiten. Aber man müßte schon ein arger Schelm sein, wenn man vermuten würde, daß der Betrag, den die Bibliotheken seither ihren Lieferanten für die Bibliotheksarbeiten zahlen, deren Kosten deckt. Weniger schelmisch dürfte es sein, wenn man davon ausgeht, daß die Bibliotheken als örtliche Monopolisten ihrem zuliefernden Buchhandel ein Angebot gemacht haben, das dieser — wir alle haben den Film Der Pate gesehen — nicht ausschlagen konnte. Oder kurz und für alle: Der Buchhandel hat den Bibliotheken einen Teil der Kosten abgenommen (abnehmen müssen) und darf nun sehen, wie er damit zurechtkommt. Noch kürzer: Er bleibt auf diesen Kosten sitzen.

Der Pate [Quelle: Pixabay.]

Juristen mögen darüber befinden, ob diese Kostendrückerei ein Verstoß gegen das Preisbindungsgesetz ist. Denn sehen wir’s doch mal so: In Frankreich hat der Gesetzgeber der Firma Amazon verboten, Bücher zu versenden, ohne für den Versand die Portokosten in Rechnung zu stellen. Der Gesetzgeber hatte verstanden, daß ein preisgebundenes Buch, das dem Kunden ohne Zusatzkosten an die Haustür geliefert wird, die Preisbindung aushebelt. Nun warten wir mal darauf, wann der deutsche Gesetzgeber versteht, daß ein preisgebundenes Buch, das der Buchhändler der Bibliothek in einer (wie auch immer minimalen) Bibliotheksausstattung liefert, die Preisbindung ebenfalls aushebelt, selbst dann, wenn der Buchhändler dafür eine Vergütung erhält. Denn das mindeste, was hier passiert, ist dies: Es wird willige und es wird unwillige Buchhändler geben, die bei diesem Spiel auftreten — und die unwilligen werden sich immerzu fragen müssen, ob die Tatsache, daß sie kein Lieferant der örtlichen Bibliothek mehr sind, möglicherweise damit zusammenhängt, daß sie das Buchausstattungsspiel nicht mitspielen wollten. Denn für die Bibliothek sind die Unwilligen ein einfacher, an der Buchpreisbindung direkt hängender Kostenfaktor, der zu eliminieren ist.

Was hier sichtbar wird, ist der seit Jahrzehnten zu beobachtende bibliothekarische Reflex, im Buchhandel nicht das zu sehen, was dieser offenbar (siehe oben die Initiative zur Buchpreisbindung) in den Bibliotheken sieht: Partner auf seiten des Kulturguts Buch. Die Bibliotheken gefallen sich vielmehr darin, im Buchhandel insgesamt das Ökonomisch-Böse schlechthin zu sehen, das ihnen angesichts knapper Etats noch die Butter vom Brot nimmt. Und so redet man sich unablässig ein, man selber könnte das alles viel billiger als es der Buchhandel und das Verlagswesen hinbekommen, wenn man denn nur endlich in die Lage versetzt würde, das auch unter Beweis zu stellen. Das aber hat man den Bibliotheken dank der Budapester »Open Access Initiative« seit dem Jahr 2002 in zunehmendem Maße ermöglicht. Seither dürfen sie in dem Glauben leben, den Buchhandel und das Verlagswesen und damit auch das physische Buch »disruptiv« überwinden und die schlechten alten kapitalistischen Strukturen durch eine bibliothekarische Form von Staatssozialismus ersetzen zu können. Was würde man nicht alles einsparen, so tönt es im Bibliothekswesen von fern und von nah, wenn man nur endlich alle kostenreibenden Verlage mit ihren als absurd geltenden Preisvorstellungen aus dem Geschäft drängen könnte, um das, was Verlage und Buchhandel machen, selber viel billiger machen zu können. Aber was kommt dabei heraus, wenn man an den hehren Zielen vorbei auf die einfache Realität dieser Bestrebungen schaut? Heraus kommt eine Gebühr.

Gebühr [Quelle: Pixabay.]

Als nämlich die MPDL Services GmbH im Auftrag der Hochschulrektorenkonferenz, die wiederum namens der deutschen wissenschaftlichen Einrichtungen und Bibliotheken handelt, unter dem Trump-mäßigen Namen DEAL »Open-Access«-Transformationsverträge mit den Verlagen Wiley und Springer abschloß, da mußte man nicht nur die an DEAL teilnehmenden Bibliotheken registrieren, sondern auch die von diesen zu entrichten Beiträge berechnen und verbuchen. Das alles wurde nun zur Aufgabe der MPDL Services GmbH, die sich ihre Arbeit von den Bibliotheken pro wissenschaftlichem Aufsatz, der über DEAL abgewickelt und publiziert wird, mit 150 Euro bezahlen läßt. Nun wollen wir nicht erneut auf die kritischen Details der bei DEAL anfallenden Kosten zu sprechen kommen; das ist in diesem Blog zur Genüge geschehen. Im Kontext der zwischen Bibliotheken und Buchhandel stattfindenen Kooperationen und Kooperationsverweigerungen ist vielmehr viel interessanter, daß die Bibliotheken nicht die geringsten Probleme damit haben, daß die MPDL Services GmbH ihnen überhaupt eine Servicegebühr abknöpft. Wo es sonst heißt, daß Konkurrenz das Geschäft belebe, und wo man sonst alles dafür tut, auch noch den kleinsten Rabatt einzustreichen, sind jetzt alle Bibliotheken völlig damit einverstanden, der MPDL Services GmbH als der Monopolagentur zur Verwaltung der DEAL-Transformationsverträge pro »Open-Access«-Aufsatz die verlangte Servicegebühr zu überweisen. Haben Sie den Fehler bemerkt? Nein?

Versuchen wir’s einmal so: Mengengeschäfte tendieren in offenen Märkten immer dazu, Rabattgeschäfte zu werden. Wer als Kunde viel abnimmt, erhält vom Hersteller einen Rabatt, um die Bindung zwischen Hersteller und Kunde zu erhöhen. Je mehr Akteure sich auf dem Markt in Konkurrenz tummeln, desto stärker sind die dabei auftretenden Rabatteffekte, mit denen man versucht, die Bindungen zu pflegen. Und selbst beim Kulturgut Buch, das kein reines Handelsgut ist, haben wir gesehen, daß Rabatte die Bindungen zwischen Buchhandel und Bibliotheken stärken sollen und für die verschiedenen Beteiligten unterschiedliche Rabatte möglich sind, sorgsam und kulturschützend gehegt vom BuchPrG. Nun aber, in der Welt des Digitalen und des »Open Access« samt seiner staatlichen »Disrupteure« und DEAL-Maker, ist es ganz anders: Hier, wo alle dabeisein möchten, weil im Digitalen die reine kapitalismusfreie Zukunft der Bibliotheken lockt, ist jede Bibliothek ohne zu Zögern mit einer Servicegebühr einverstanden, die sie in der »Old-School«-Welt der gedruckten Bücher wegzurabattieren versucht hätte. Und das obendrein, wo wir es doch mit einem Massengeschäft erster Güte zu tun haben — es geht um viele Tausend wissenschaftliche Zeitschriftenartikel pro Jahr — und man also meinen sollte, daß diejenigen Bibliotheken, die im Rahmen von DEAL mehr umsetzen, im Vergleich zu denjenigen, die weniger umsetzen, einen Rabatt erhalten müßten. So wäre es in der schnöden Welt des Buchhandels, so ist es aber nicht in der lichten Welt von DEAL. In der Welt von DEAL hat man die bösen kapitalistischen Konkurrenzmechanismen überwunden, und damit hat man auch den individuellen Rabatt überwunden und ist bei der sozialistischen Einheitsgebühr angekommen.

Supermarkt [Quelle: Pixabay.]

Noch viel interessanter ist es allerdings, daß die MPDL Services GmbH als das zentrale Scharnier von DEAL eine einhundertprozentige Tochter der Max-Planck-Gesellschaft ist, wie es auf der Website der genannten GmbH steht:

MPDL [Quelle: MPDL Services GmbH.]

Die Max-Planck-Gesellschaft wiederum ist ein Verein, der, wie es auf dessen Website heißt, »überwiegend aus öffentlichen Mitteln von Bund und Ländern« finanziert wird. Das meint, daß Bund und Länder je zur Hälfte den Löwenanteil der 1,8 Milliarden Euro aufbringen, die die Max-Planck-Gesellschaft pro Jahr benötigt. Und das wiederum meint: Die Max-Planck-Gesellschaft ist zu beinahe einhundert Prozent steuerfinanziert. Was wir damit haben, ist dies: Wir haben einen steuerfinanzierten Verein, der eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung als »Tochter« gründet, die ihrerseits die wissenschaftlichen Bibliotheken als steuerfinanzierte Einrichtungen mit einer Servicegebühr zur Kasse bittet. Man kann es auch kurz so sagen, daß hier der Staat den Staat zur Kasse bittet bei dem Versuch, kapitalistische Konkurrenzmechanismen zu überwinden. Das ist eine Gleichung, aus der man den im Zähler und im Nenner stehenden Staat herauskürzen kann, und dann erscheint als einfacher Rest der Steuerzahler. Der bezahlt die »Open-Access«- und DEAL-Party ganz alleine.

Leere Taschen [Quelle: Pixabay.]

Warum das alles? Weil man im Buch kein Kulturgut mehr zu sehen vermag; weil man den Buchhandel nicht mehr als Partner betrachtet, mit dem gemeisam man sich der Pflege des Kulturguts Buch widmen sollte; weil man die Ökonomie von Kultur nicht mehr begreift, die aus einem Ineinander von privat(wirtschaftlich)en Akteuren und öffentlichen Einrichtungen besteht; weil man nicht mehr versteht, daß der Staat von den außerhalb der Staatssphäre verdienten Steuern lebt und die Privaten den Staat als Schutzraum brauchen, um frei handeln zu können; weil all diese institutionellen Komplexitäten und gesellschaftlichen Abstufungen eingeschrumpft werden auf die einfache Omnipräsenz und Omnipotenz des Staates, der auf der einen Seite nur noch Steuerzahler und auf der anderen Seite nur noch Subventionsempfänger kennt, die er nach Maßgabe seiner Ziele alimentiert und lenkt.

Freilich: Wenn das Ziel »Informationsgesellschaft« heißt und deren Zweck darin liegt, »Informationen« möglichst rasch zu ökonomisch verwertbaren Gütern zu machen, dann ist DEAL und die von DEAL implizierte »Open-Access«-Transformation der Bibliotheken ein großer Schritt in diese Richtung. Man darf dann nur niemals fragen, woher man wissen will, welche »Informationen« sich rentieren und welche nicht, und woher ausgerechnet der Staat wissen will, daß die Zukunft, die er in seinen zahlreichen »Strategiepapieren« unter dem ermüdenden Titel »Die Zukunft gestalten« imaginiert, genau so ausfällt, wie er sich das ausgemalt hat. Es ist ein Ausmalen, das Buntheit nur verspricht, real aber ein sattes Grau bewirken wird. Bunt bliebe es, wenn es beim Buch bliebe mit seiner Preisbindung und seinen Rabatten und einem Buchhandel, der von den Bibliotheken und also den hinter ihnen und durch sie agierenden politischen Akteuren nicht in die Ecke gedrängt würde.