Frau Weisband und die Twitter-Sezession

Geschrieben von Uwe Jochum am 4.1.2024

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Es gibt ein interessantes Video von Marina Weisband, die als Geschäftsführerin der Piratenpartei bekannt wurde, ihre Bekanntheit nach dem Wechsel zu den Grünen noch steigern konnte und bis heute ein gerne gesehener Gast in den Talkshows der Kartellmedien ist. In dem Video, das im Oktober 2023 sowohl auf YouTube als auch — anders geschnitten — auf Weisbands Mastodon-Account veröffentlicht wurde, fordert sie nicht nur dazu auf, Twitter/X zu verlassen und alle Accounts und Organisationen mitzunehmen, sondern als »Journalist:innen« auch Twitter/X gar nicht mehr zu schauen, zu lesen und zu zitieren. Man solle so tun, als sei X nicht existent.

Sie begründet das damit, daß X zu einem »Pool von Nazis, Verschwörungstheoretikern und Trollen« geworden sei, die auf X den Diskurs beherrschten, was durch die von X benutzten Algorithmen verstärkt werde und von Elon Musk, der sich in die Politik einmische und mit »Faschisten« spreche und deren Meinung verbreite, auch genau so gewollt sei. Lese man, was auf X geschrieben werde, so Weisband, dann gewinne man als »Journalist:innen« und »Politiker:innen« den »Eindruck dieses intensiven Rechtsrucks«. Aber, so Weisband weiter, »das ist nicht die Gesellschaft, es ist nur ›Shitter‹«. Daher würden immer mehr »vernünftige Leute« zu anderen Plattformen wie Mastodon oder Bluesky abwandern.

Interessant ist das aus zwei Gründen.

Zum ersten behauptet Weisband, daß X nicht die Situation in der Gesellschaft wiederspiegle, daß also der »Rechtsruck«, von dem sie spricht, gar nicht real stattfinde, sondern von X rein medial und also künstlich durch Algorithmen erzeugt werde. »Es ist nur ›Shitter‹«, sagt Weisband. Diese Behauptung hat mit der realen politischen Lage nicht das geringste zu tun. Realpolitisch und also in der Wirklichkeit sieht es längst so aus, daß die konservativ-rechten Parteien eine Mehrheit der Wählerstimmen auf sich vereinigen, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa und auch in den USA.

Und geht man über den Horizont der üblichen Wahlumfragen und Umfragen zu den Parteienpräferenzen hinaus, zeigt sich, daß eine Mehrheit der Bürger konservativ denkt und konservativ lebt und von der von den linksgrünwoken Parteienkartellen exekutierten Politik sich immer stärker und immer schneller abwendet. Das ist so beim leidigen Thema des »Genderns«, mit dem der sprachliche Kulturkampf vor Jahren schon eröffnet wurde, das aber trotz enormen Einsatzes von medialen Dyslektikern und Ungrammatologen samt universitärer Scheinexperten die Sprachgemeinschaft nicht weichkochen konnte. Auch nach rund vierzig Jahren Propagierung sprachlichen Genderns lehnen weit mehr als 70 Prozent der Bevölkerung das Gendern ab und praktizieren es auch nicht. Gendern ist und bleibt ein grammatischer Rohrkrepierer, mit dem das linksgrünwoke Milieu aus den Universitäten und Medien auf das Volk zu schießen versucht, um sich regelmäßig darüber zu empören, daß das Sprachvolk immer noch grammatisch in Reih und Glied steht und ohne glottalen Schluckauf spricht.

Das Volk bleibt aber nicht nur beim Sprechen störrisch, sondern auch bei einer Vielzahl anderer Themen, die »das Milieu« in den letzten Jahren aufs Tapet brachte. So bringt die Klimapolitik die Naturschützer alten Schlages in Rage; die grüne Landwirtschaftspolitik treibt die Bauern zum Protest; die Subventionitis in der Verkehrspolitik ruiniert die an Überlastung zu Grunde gehende Bahn vollends; und sie raubt den E-Auto-Besitzern immer mehr den Schlaf, weil sie feststellen müssen, daß ihre Träume an der Realität gestrichener Zuschüsse, brennender Batterien und afrikanischer Kinderarbeiter plus mangelnder Reichweite der Fahrzeuge samt fehlender und nicht funktionierender Ladesäulen schlicht platzen.

Mit anderen Worten: Die Wirklichkeit ist in einer Weise konservativ und rechts, wie Leute vom Schlage einer Weisband sich das offenbar nicht vorstellen können. Überall geht es anders zu als in den linken Köpfen, die glauben, man müsse nur etwas sagen und das Gesagte immerzu wiederholen — und dann werde es auch wirklich. In der realen Welt ist es genau andersherum: Da drängt sich die Wirklichkeit von alleine auf, auch wenn man still sitzt und nichts tut; die Realität kommt so, wie sie von sich aus ist. Und dann fordert sie von uns eine angemessene Reaktion, die auf der Ebene der Sprache so auszusehen hat, daß das Gesprochene und Geschriebene mit der sich aufdrängenden Wirklichkeit übereinstimmt, so gut es geht. Wer das nicht kann, wird notwendigerweise an der Wirklichkeit scheitern.

Eben das ist es, was wir derzeit beobachten können: wie eine hochgradig ideologische Politik, deren Kennzeichen genau darin besteht, wirklichkeitsimmun zu sein, an der Wirklichkeit scheitert, jeden Tag ein wenig mehr und insgesamt immer schneller. Und weil ein Ideologe darauf keine Antwort hat, sondern sofort vermutet, daß sich nicht die Wirklichkeit als solche gegen ihn verschworen hat, sondern daß die politischen, weltanschaulichen, religiösen und viele andere Gegner sich gegen ihn verschworen haben, kann er gar nicht anders, als erstens diese Gegner als teuflische Verschwörer zu brandmarken und sie mit Hilfe der von ihm beherrschten Medien und staatlichen Organe zu kriminalisieren, um sie mundtot zu machen. Und parallel dazu kann er zweitens gar nicht anders, als diese bösen Diskursteufel aus seiner Welt zu verbannen und also medial von X zu Mastodon auszuwandern, um dort ein Stück seines ideologischen Himmels zu retten und sich weiterhin selig fühlen zu dürfen. Denn dort, so seine Logik, wo die bösen Verschwörungsteufel und diabolischen Trolle nicht sind, müssen die ideologischen Engel zu finden sein, die frei vom Denkvirus der Kritik das ewige Loblied nun zwar nicht Gottes, aber doch der gerade herrschenden linksgrünwoken Agenda singen.

Mit anderen Worten: Das linksgrünwoke Milieu versucht sich vor dem Andrang der Wirklichkeit dadurch zu retten, daß es eine Selbstghettoisierung betreibt und hinter die Brandmauern von Mastodon oder Bluesky flüchtet. Es ist eine Flucht aus der Wirklichkeit in einen linksgrünwoken Panikraum, den man eilends so abzudichten sucht, daß noch der kleinste Sonnenstrahl der Wirklichkeit und Wahrheit draußen bleibt.

Und damit bin ich beim zweiten Grund, der das kleine Weisband-Video so interessant macht. Es enthält nämlich eine Reflexion darauf, ob man nicht gerade deshalb, weil »die Rechten« — also alle, die nicht linksgrünwoke sind und von einer Eigendynamik der Wirklichkeit ausgehen — sich auf X tummeln, dort die linksgrünwoke Stellung halten müsse, um gegen »die Rechten« zu argumentieren und »die Wahrheit zu pushen«. Weisbands Antwort: »Äh, nein.« Und ihre Begründung: Eben weil diese Plattform die »Privatplattform« von Musk sei und er ihre Regeln und Algorithmen beherrsche und »insgesamt viele faschistische Sachen« mache, könne man dort nicht gegen ihn gewinnen.

Das ist im Brustton der Überzeugung vorgetragen und erkennbar falsch. So behauptet Weisband, daß linke Stimmen und die Berichterstattung zur Ukraine in X per Algorithmen unterdrückt werden, ebenso Links nach außen »auf vernünftigere Plattformen und zu Medien- und Factchecking«. Wer X kennt, kann hingegen jeden Tag die Erfahrung einer äußersten Vielstimmigkeit zu allen aktuellen Problemen machen, von der Einwanderungsdebatte über den Ukraine-Krieg bis hin zu Israels militärischem Vorgehen im Gazastreifen. Eine Präferenz »rechter« und eine Unterdrückung »linker« Stimmen ist nicht erkennbar.

Was freilich erkennbar ist, ist eine fast völlige Reduktion des Einflusses von sogenannten »Faktencheckern«, die vor der Übernahme von Twitter/X durch Musk dafür sorgten, daß Twitter/X ein Reinraum linksgrünwoker Debatten war. »Vor Musk« blieb das linksgrunwoke Milieu beinahe vollständig unter sich, weil man es meisterlich verstand, »rechte« Tweeds per Algorithmen und Scheißestürmen zum Schweigen zu bringen. Daß man dabei von staatlichen Akteuren assistiert wurde und die US-Geheimdienste mit eigenem Personal in der Twitter-Zentrale saßen, ist Weisband kein Wort wert, denn es hätte ihr Argument von der Meinungslenkung durch Twitter/X ins Gegenteil verkehrt.

Sie hätte zugeben müssen, daß Twitter lange Zeit ein Instrument war zur Unterdrückung »rechter« Ansichten und unangenehmer Fakten (im Hinblick auf die Wirksamkeit der Covid-19-Injektionen, die Wirksamkeit von Masken und die Sinnhaftigkeit von Ausgangsbeschränkungen), wenn diese der linksgrünwoken Weltsicht widersprachen. Sie hätte über die demokratische Verfaßtheit eines Mediums nachdenken müssen, das sich nicht scheut, den demokratisch gewählten Präsidenten der USA mit fadenscheinigen Gründen zu canceln. Und sie hätte anerkennen müssen, daß der neue Eigentümer Musk die politisch gewollte und algorithmisch und mit Geheimdienstpersonal vollzogene Meinungslenkung nicht nur (weitgehend) abgestellt, sondern diesen Sachverhalt auch öffentlich gemacht und damit im besten Sinne für Aufklärung gesorgt hat.

Es bleibt also von all den Vorwürfen nicht mehr als die einfache Tatsache, daß X nicht anders als andere Medienplattformen, die sich mit dem Adjektiv »sozial« schmücken, bestimmte Verlinkungen erschwert. Das geschieht aber erkennbar nicht aus politischen, sondern aus ökonomischen Gründen: Man will vermeiden, daß von X aus auf andere populäre, aber mit X konkurrierende Plattformen verlinkt und durch diese Links das Gewicht der Konkurrenz gestärkt wird. Das mag man unschön finden, und in der linksgrünwoken Welt ist das natürlich ein sicheres Zeichen für böse kapitalistische Machenschaften. Die aber haben, als X noch andere Eigentümer hatte, Frau Weisband und ihr Milieu nicht im geringsten gestört, solange es tapfer »gegen rechts« ging und der Geheimdienst dabei behilflich war.

Kurzum: Was Frau Weisband mit der linksgrünwoken Sezession zu Mastodon und Bluesky vorschlägt, ist nichts anderes als eine habituelle Diskursverweigerung. Man ist von dem, was man für die Wahrheit hält, so überzeugt, daß man die Debatte mit anderen, die Anderes für wahr halten, nicht einmal mehr sucht: auf X nicht, aber ganz gewiß auch auf Mastodon oder Bluesky oder irgendeiner anderen medialen Plattform nicht, und schon gar nicht in den staatlichen Kartellmedien oder in den Universitäten. Das »Äh, nein«, das Weisband äußert, betrifft nur auf den ersten Blick die mediale Plattform X und ihren Eigentümer, es betrifft auf den zweiten Blick vielmehr die öffentliche Debatte insgesamt, die nach linksgrünwoker Ansicht immer dann verweigert werden kann und verweigert werden muß, wenn andere als linksgrünwoke Meinungen geäußert werden und Argumente auf ihre Valenz hin geprüft werden könnten.

Darin zeigt sich, daß die Apperzeptionsverweigerung, die das gesamte linksgrünwoke Milieu durchzieht und zu einer orthodoxen Versteinerung geführt hat, notwendigerweise in ein anathema sit umkippt, also in den Versuch, einen Bannfluch über alle Nichtlinken auszusprechen. Will sagen: Der häretische Andersmeiner — der »Rechte«, der »Faschist« e tutti quanti — wird nicht nur aus der Gemeinschaft der vermeintlich Wohlmeinenden und all jener, die in der Gesellschaft den linken Willen willig vollstrecken, ausgeschlossen, sondern am besten auch gleich gesellschaftlich geächtet und zum Schluß wirtschaftlich ruiniert. Darin waren die Linksgrünwoken über viele Jahre mit Hilfe von Twitter, Facebook, Youtube und anderen »sozialen Medien« sehr erfolgreich.

Daß sie es nun nicht mehr sind und im linken Spiegel, in den sie voller Selbstbewußtsein und Überzeugung schauen, immerzu nur »Rechte«, »Faschisten« und »Verschwörungstheoretiker« sehen, ist ein gutes Zeichen. Denn was sie dort im Spiegel sehen, sind in Wahrheit sie selbst.


Der vorstehende Artikel erschien zuerst auf Achgut.com am 27. Dezember 2023, dort in reformierter Orthographie. Hier lesen Sie ihn in der klassischen deutschen Orthographie. Ein kleiner Lapsus wurde korrigiert.