Falscheintrag

Geschrieben von Uwe Jochum am 19.3.2018

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Uwe Jochum

Wissenschaftlicher Bibliothekar

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Die Tatsache, daß die Veröffentlichungsgebühren für wissenschaftliche Fachaufsätze bei digitalem »Open Access« stärker steigen als die Abonnementskosten für gedruckte Fachzeitschriften, ist eine für die »›Open-Access‹-Community« unangenehme Erkenntnis. Und unangenehm ist es natürlich auch, wenn man feststellen muß, daß bei »Open Access« Veröffentlichungsgebühren anfallen können, die die Grenze von 5000 Euro (pro Aufsatz natürlich) locker reißen und sich in der Spitze auf 11900, 14507 und 18802 Euro belaufen. So ist es, wie jedermann leicht selber nachprüfen kann, auf der von der »›Open-Access‹-Bewegung« betriebenen Plattform OpenAPC nachzulesen. Und so wurde es in diesem Blog mitgeteilt.

Ich hätte gewettet, daß man sich auf seiten der »Open-Access«-Befürworter angesichts dieses Befundes mit dem Argument zu salvieren versucht, es handle sich bei den hohen Veröffentlichungsgebühren um Ausreißer. Die Wette hätte ich verloren: Das naheliegende Argument kam bislang nicht. Vielleicht einfach deshalb, weil man in der Debatte über die Ausreißer auch hätte zugeben müssen, daß viele »Open-Access«-fördernden Einrichtungen sich längst an »Open-Access«-Publikationsgebühren gewöhnt haben, die weit über den öffentlich verbreiteten Durchschnittszahlen liegen: Die Max Planck Gesellschaft hat mit 7419 Euro kein Problem, der österreichische Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung findet 5405 Euro offenbar bezahlbar, die Universität Warwick auch noch 9028 Euro — immer für einen »Open-Access«-konform veröffentlichten Beitrag, versteht sich. Wie dem auch sei: Ich hätte die Wette verloren, denn es ist viel einfacher, wie sich inzwischen gezeigt hat, diese hohen und in der Statistik von OpenAPC zu findenden Veröffentlichungsbühren mit einem ganz anderen Argument beiseitezuwischen. Das Argument lautet: Es handle sich da um »Falscheinträge«. Und begleitet wird das Argument von dem Ansinnen, ich als Leser und Analyst der OpenAPC-Statistik hätte die Aufgabe, die dort zu findenden »Falscheinträge« als solche zu identifizieren und den Sachverhalt aufzuklären:

Falscheintrag [Abb. 1: Auf dem Twitter-Kanal von Stroemfeld.]

Das ist eine interessante Einstellung: Der kritische Leser wird öffentlich dafür gescholten, daß er die in der offiziellen Statistik zu findenden hohen Zahlen mitgeteilt hat, aber den Gedanken, daß die offizielle Statistik schon seit Monaten, nein: seit Jahren falsche Zahlen enthalten könnte, findet man nicht weiter beunruhigend. Beunruhigend und scheltenswert ist nur die öffentliche Mitteilung des möglicherweise Falschen, nicht das Falsche als solches.

An dieser Stelle wird die Sache freilich erst recht interessant. Denn wenn es so einfach wäre mit dem Falschen, wie Bernhard Mittermaier — Leiter der Bibliothek des Forschungszentrums Jülich, Inhaber eines LinkedIn-Kontos und offenbar begeisterter Twitterfreund mit für diese Medien typischen Gefolgschaften — meint, dann fragt man sich natürlich, wie diese in Mittermaiers Augen so offenkundigen Falscheinträge überhaupt in die offizielle »Open-Access«-Statistik gelangen konnten. Man müßte dann Fragen nach der Qualitätskontrolle bei der Erstellung der Statistik stellen. Man müßte fragen, ob nur diese oder auch andere Einträge und ob nur die hohen und nicht auch die niedrigen Einträge falsch seien.

Und wenn man all das gefragt und die »›Open-Access‹-Bewegung« darauf eine zureichende Antwort gegeben hätte, müßte man zum Schluß nach dem Verständnis von Aufklärung fragen, das in Sachen »Open Access« nicht nur bei Mittermaier waltet. Man müßte fragen, warum niemand im Bibliothekswesen und niemand in der Wissenschaftspolitik aufschreit, wenn die Münchener Max Planck Digital Library ein »Whitepaper« in Umlauf setzt, das der Wissenschaft als ein Unternehmen, dem es um kritische Klärung der Begriffe und Sachverhalte geht, offen ins Gesicht schlägt, indem es die wissenschaftliche Kritik durch einfache Propaganda ersetzt.

Aufklärung sieht anders aus: Aufklärung ist Aufklärung über die Begriffe und ineins damit Aufklärung über die Sachverhalte, die von den Begriffen abgedeckt werden oder auch nicht. Hätte Mittermaier also aufklären wollen, hätte er den von ihm vermuteten »Falscheinträgen« nachgehen müssen, statt sich bei Twitter in einer einfachen smartphoneinduzierten Wegwischgeste zu versuchen. Nun, es war ihm mit der Wegwischgeste »Falscheintrag« genug.

Das ist schade, um der Sache und um der Aufklärung willen. Denn hätte Mittermaier seinen Begriff vom »Falscheintrag« ernst genommen und wäre er der Spur gefolgt, die er selbst gelegt hat, hätte er Interessantes entdecken können. So aber… machen wir es besser als er und schauen einmal aufklärend auf die Sachverhalte, um die es geht.

18802

18802 Euro, das ist der Betrag, den die Universität Southampton lt. OpenAPC für einen »Open-Access«-konform veröffentlichten Beitrag bezahlt hat. Nun kann man auf der Website von OpenAPC schauen, welche Verlage denn die Universität Southampton mit besonders vielen »Open-Access«-Mitteln versorgt hat. Es sind dies, bei vollem »Open Access«, Springer Nature und die Optical Society of America (OSA). Schaut man sich genauer an, was da an die OSA gezahlt wurde, wird man dies finden:

Southampton-Optica [Abb. 2: Der Preis für einen »Optica«-Artikel. Quelle: OpenAPC.]

Der Link, der hier für »Optica« gesetzt ist, führt auf die Website der OSA, wo man sich leicht davon überzeugen kann, daß diese einer Wissenschaftsgesellschaft gehörende Zeitschrift für einen mit einer »CC-BY«-Lizenz ausgestatteten »Open-Access«-Artikel 3250 USD als Publikationsgebühr verlangt, und daß bei Beiträgen, die über acht Seiten hinausgehen, die Mehrseiten in Achtseitenblöcken zu je 145 USD extra abgerechnet werden:

Optica [Abb. 3: Veröffentlichungsgebühren für »Optica«. Quelle: OSA.]

Diese Listenpreise machen die bezahlten 18802 Euro durchaus erklärlich: Wenn hier ein überlanger Artikel mit »CC-BY«-Lizenz veröffentlicht wurde, dann fielen für die Überlänge offenbar erhöhte Lizenzgebühren (mehr als 3250 USD) und zusätzliche Gebühren für die zusätzlichen Achtseitenblöcke an. In der Summe eben 18802 Euro.

14507

14507 Euro zahlte die Universität Bangor laut OpenAPC als Veröffentlichungsbegühr für einen Beitrag in der »Open-Access«-Zeitschrift »Scientific Reports«, die zu Springer Nature gehört:

Springer-Nature [Abb. 4: Veröffentlichungsbühr für »Scientific Reports«. Quelle: OpenAPC.]

Springer bewirbt seine »Open-Access«-Policy nicht nur sehr wortreich, sondern bietet auch gleich noch eine Beratung an, die man in Anspruch nehmen kann, wenn man wissen will, wie man an die »Open-Access«-Fördertöpfe des jeweiligen Staates oder der jeweiligen Universität herankommen kann. Was die ganze Chose dann pro Aufsatz kosten kann, findet man nach einigem Klicken: Der Standardpreis für einen »Open-Access«-Artikel beträgt 1370 Euro. Keiner der angegebenen Preise, weder der Euro-, noch der Pfund-, noch der Dollarpreis läßt darauf schließen, daß es sich bei den 14507 Euro, die für einen Artikel gezahlt wurden, um einen einfachen Kommafehler handelt und etwa »bloß« 1405,70 Euro pro Aufsatz gemeint gewesen wären. Was hinter der hohen Veröffentlichungsgebühr steckt, bleibt also fürs erste das Geheimnis der Universität Bangor und der Zeitschrift »Scientific Reports«. Oder der Ersteller der Statistik von OpenAPC.

11900

Den Betrag von 11900 Euro hat die London School of Hygiene and Tropical Medicine (LSHM) laut OpenAPC für einen Aufsatz bezahlt, der in der »Open-Access«-Zeitschrift »Global Health Action« veröffentlicht wurde:

Global
Health [Abb. 5: Veröffentlichungsgebühr für »Global Health Action«. Quelle: OpenAPC.]

Die Zeitschrift gehört zu Taylor & Francis und verlangt für einen Artikel von bis zu acht Seiten Länge regulär 1400 Euro als Publikationsgebühr. Wird der Artikel länger, kostet das für jede weitere Seite 65 Euro. Wie die in der OpenAPC-Statistik zu findenden 11900 Euro zustande kamen, erschließt sich also auch hier durchaus nicht auf Anhieb, aber es spricht auch nichts dagegen, daß ein überlanger Artikel veröffentlicht wurde.

Aufklärung

Mit Blick auf die von OpenAPC statistisch erfaßten Publikationsgebühren und dem, was auf den Websites der Zeitschriften zu den Publikationsgebühren zu finden ist, wird man sagen müssen: Auszuschließen ist es nicht, daß es sich bei den hohen in OpenAPC genannten Preisen um Falscheinträge handelt, aber es ist auch nicht auszuschließen, daß die Zahlen richtig sind und in der Tat sehr hohe Publikationsgebühren für einzelnen Aufsätze gezahlt wurden. Wenn Mittermaier aus den bei OpenAPC veröffentlichten Statistikdaten auf eine Aufklärungspflicht schließt, dann liegt diese jedenfalls eindeutig bei den Erstellern von OpenAPC, und diese bilden bekanntlich eine personalstarke Truppe, sollten also über ausreichend Aufklärungskapazitäten verfügen:

OpenAPC: die
Macher [Abb. 6: Die Macher von OpenAPC. Quelle: OpenAPC.]

Und bei Gelegenheit dieser Aufklärung wäre es dann auch angebracht, über all die anderen in OpenAPC zu findenden hohen Veröffentlichungsgebühren Auskunft zu geben.

Solange wir auf solche Aufklärung warten müssen, wollen wir die OpenAPC-Daten für bare Münze nehmen, denn das wollen sie ja sein. Und sie sind es in der Tat, nur anders, als die Anhänger von »Open Access« dem Publikum seit Jahren einzureden versuchen: Sie zeigen im Detail, daß »Open Access« längst zu einer »Cash Cow« der Verlage geworden ist, die dank »Open Access« so gut als wie zuvor leben, wobei vieles dafür spricht, daß sie mit »Open Access« sogar noch besser leben.

Ein Blick auf die Details zeigt aber auch, daß die wissenschaftlichen Fachgesellschaften, die doch nach reiner »Open-Access«-Lehre als diejenigen zu gelten haben, die an einer altruistisch motivierten weltweit-digitalen Verbreitung von Wissenschaft das größte Interesse haben und folglich vollkommen hinter »Open Access« stehen sollten, im Alltag bei den »Open-Access«-Veröffentlichungsgebühren keine Faxen machen: Es spricht Bände, daß die der OSA gehörende Zeitschrift »Optica« die teuerste der drei hier analysierten »Open-Access«-Zeitschriften ist. Und das ist nicht per se ein Einwand gegen die OSA, sondern gegen die »Open-Access«-gängige Unterstellung, man könne dank »Open Access« sehr günstig volldigitale Zeitschriften in Umlauf bringen. Offenbar wissen die Amerikaner in der OSA besser als die »Open-Access«-Freunde in den deutschen Bibliotheken, welche kostendeckenden Gebühren es braucht, um »Open Access« am Laufen zu halten.

Schaut man also auf die Ökonomie von »Open Access«, bleibt es auch nach dieser Detailuntersuchung und erst recht nach dieser Detailuntersuchung bei der Feststellung, daß »Open Access« die kommerziellen Großverlage zu keiner Sekunde aus dem Geschäft gedrängt hat. Man muß es vor diesem Hintergrund mit Interesse zur Kenntnis nehmen, wenn Daniel Ropers, der neue Chef von Springer Nature, in einem Interview zu Protokoll gibt, wie sehr man in seinem Hause daran interessiert sei, Wissenschaft überall digital verfügbar zu machen — und also auch mit der »Open-Access«-Karte zu trumpfen. Um ihn zu zitieren (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.3.2018, S. 25):

»[W]ir sind, mit weitem Vorsprung, weltweit führend im Bereich ›Open Access‹, dem freien Zugang zu Wissenschaft im Internet.«

Man darf davon ausgehen, daß der Mann »Open Access« besser verstanden hat als die »Open-Access«-Bewegung sich selbst versteht. Warum das so ist, warum »Open Access« genau denen realökonomisch und politisch in die Hände spielt, gegen die es verbal den Aufstand simuliert, kann man jetzt bei Michael Hagner nachlesen.